„Du siehst so geil darin aus, unfassbar." Kilian lässt seinen Blick langsam an mir runter fahren, als ich ihm die Tür meines Zimmers öffne.
Bereit für die Geburtstagsparty von Finn.
Es scheint das erste Mal zu sein, dass es mir nicht unangenehm ist und ich mich nicht am liebsten verstecken will.
Zufrieden sehe ich an meinem engen Jeanskleid hinab, das mir bis über die Knie reicht.
Tatsächlich habe ich vor allem eine große Veränderung an mir wahrgenommen in den letzten zwei Monaten, seit das zwischen Kilian und mir so ernst ist. Neben der Tatsache, dass ich fröhlicher und ausgeglichener bin, ist mein Selbstbewusstsein auch viel größer geworden. Kilian gibt mir das erste Mal richtig das Gefühl, dass jemand mich gut findet. Er zeigt und sagt mir, dass ich schön bin. Dass ich ihm gefalle. Und es sind nicht nur Worte, er gibt mir wirklich das Gefühl, dass ich mich für nichts an mir schämen oder mich hässlich fühlen muss. Nicht von außen und auch nicht von innen. Dass ich gut so bin, wie ich bin und dass er mich mag, mit all meinen Ecken und Kanten.
Ich fühle mich wohler in meiner Haut und kann mich besser akzeptieren.
Klar kommen meine Unsicherheiten noch oft hoch, aber er gibt mir auch in solchen Momenten etwas, woran ich mich festhalten und daran erinnern kann, dass genau diese Unsicherheiten und Selbstzweifel meist ungerechtfertigt sind.
Ich ziehe die Augenbrauen hoch und lege etwas den Kopf schief, bis er beginnt zu lachen.
„Entschuldige, ich meinte du siehst super schön aus."
Ich beginne zu lächeln, ziehe ihn rein und drücke ihm einen Kuss auf den Mund.
Als ich mich löse, lächelt er mich fröhlich an und ich lege meine Hand an seine Wange, während er nicht aufhört zu grinsen.
„Was ist los?", frage ich und beginne ebenfalls zu lächeln.
Kilian zuckt mit den Schultern und mustert mein Gesicht.
„Ich liebe dich." Ich brauche einige Momente, bis ich die Bedeutung seiner Aussage realisiere. Die Worte bleiben mir im Hals stecken und es bildet sich stattdessen ein dicker Kloß. Ich blinzle einmal, doch als ich die Augen wieder öffne, schaue ich nicht mehr in Kilians braunes Augenpaar, sondern geradewegs in die blauen von Milan.
Ich spüre Milans Hände an meiner Taille, seinen rauen drei Tage Bart unter meinen Fingern und seinen heißen Atem auf meinem Gesicht.
Ich höre Milans Milans Stimme ganz nah an meinem Ohr, als er mir zuflüstert, dass er mich liebe. Ich sehe, wie er sich wieder von mir löst, mit Tränen in den Augen, mir entgegensieht und nochmal betont, wie sehr er mich vermissen würde, wenn er gleich in das Flugzeug steigt. Das letzte Ich liebe dich, bevor er nie wieder zurückgekommen ist.
Verdutzter, als beabsichtigt, sehe ich ihm entgegen, bis er beginnt etwas zu lächeln.
„Es ist okay. Du musst es noch nicht erwidern." Trotz seiner verständnisvollen Worte und den nach oben gezogenen Mundwinkeln, sehe ich einen Hauch von Enttäuschung in seinen Augen.
Mit geschlossen Augen und der Hoffnung, Milan für einen Moment aus meinem Kopf zu bekommen, ziehe ich ihn zu mir und drücke meine Lippen auf seine.
Seine Zunge sucht sich den Weg in meinen Mund und ich stoße mit meinem Bein die Tür hinter ihm zu, während seine Hände meine Hüften hinab fahren.
Ich beginne zu grinsen, bis er mich plötzlich mit einem Ruck hoch hebt, seine Hände unter meinem Po platziert und ich kurz aufquieke, bevor ich lachend meine Arme um seinen Hals schlinge.
„Mein Kleid!", rufe ich, als er sich auf dem Bett über mich lehnt und es durch meine gespreizten Beine etwas hochgerutscht ist.
Sein Blick wandert an mir hinab und er zieht den Bund extra noch weiter hoch, um mich zu ärgern.
„Kilian!", rufe ich und versuche, es wieder runterzuziehen, kann jedoch nicht aufhören zu lachen, bis er sich wieder hinab beugt und seine Lippen auf meine legt.
Das Kribbeln macht sich wieder in mir breit und jede Stelle, die er berührt, fühlt sich unfassbar schön an.
Ich bin süchtig nach dem Gefühl seiner Lippen auf meinen, seinen Händen an meinem Körper und dem aufregenden Kribbeln in mir und dennoch habe ich bisher nicht mehr zugelassen, als solche Küsse.
Die Lust in mir wird immer größer. Mein Kopf dreht sich immer mehr und während der Kuss immer intensiver und fordernder wird, will ich ihm mit jeder Sekunde näher sein.
Und während sich alles in mir dreht, alles kribbelt und alles nur für ihn brennt, spüre ich diese Hand.
Ich spüre die Hand, wie sie immer tiefer geht und wie sie sich unter den Jeansstoff schiebt.
Ich will es. Ich will, dass er mich berührt. Ich rede mir ein, dass ich bereit bin.
Ich schmiege mich noch näher an ihn, ziehe ihn noch stärker zu mir und rede immer weiter auf mich ein, während die Nervosität steigt.
Doch in dem Moment, als ich die Finger spüre, wie sie sich unter den Stoff meiner Unterwäsche schieben wollen, sehe ich ihn. Ich sehe Milan am Flughafen, als ich mich ein letztes Mal weinend nach ihm umdrehe und ihn dort stehen sehe. So verloren in der Menschenmasse mit dem einen Koffer und der einen Träne, die ihm die Wange hinab läuft und an seinem Mundwinkel hängen bleibt, der sich nach oben zieht.
Und plötzlich ist da dieses Bild. Er, allein, verloren. Aber nicht mehr traurig lächelnd am Flughafen zwischen den Menschen, sondern verletzt und einsam im Wald. Sterbend.
„Ich kann das nicht!", rufe ich panisch, greife nach seiner Hand und schiebe ihn so plötzlich von mir, dass er beinahe von der Matratze fällt.
Schwer atmend schwinge ich meine Beine über die Bettkante und vergrabe mein Gesicht in den Händen.
„Ich kann das nicht", wispere ich erneut und versuche mich zu beruhigen.
„Alva, ich, ich wollte nicht... Es tut mir leid", stottert er überfordert und will nach meinem Arm greifen, doch ich springe schnell auf und sehe diesem völlig überraschten Augenpaar an, dass das hier genau so eine Situation ist, die er vor ein paar Wochen beschrieben hat, vor denen er Angst habe.
„Ist okay", sage ich leise und schließe für einen Moment die Augen.
Bis ich sie wieder öffne, ist er bereits aufgestanden und nähert sich mir langsam.
Als ich diesen Ausdruck in seinen Augen sehe, atme ich tief aus und schließe meine Arme fest um ihn, als er seine um mich legt.
„Ich wollte nichts tun, was du nicht willst."
Ich nicke kaum merklich.
„Ich weiß. Ich weiß."
Für einige Momente starre ich bloß aus dem Fenster an der gegenüberliegenden Wand und lausche seinem Atem, in dem Versuch, mich wieder zu sammeln und zu sortieren.
„Es fällt mir manchmal noch so schwer. So sehr", flüstere ich und diesmal ist es Kilian, der langsam nickt.
„Ich weiß. Ich weiß."
Tatsächlich bin ich mir selbst noch nicht ganz im Klaren, warum ich damit immer noch so ein Problem habe.
Ich dachte zwei Monate würden mir reichen, um endlich diese Gedanken, die mich daran hindern, mich auf ihn einzulassen, endlich ablegen zu können. Zumal wir uns natürlich schon länger, als diese zwei Monate, kennen und ich eigentlich auch schon davor versucht habe sie abzulegen.
Tatsächlich war das gerade auch das erste Mal seit einigen Wochen, dass ich so reagiert habe und wieder so einen Rückschritt gemacht habe.
Ich bemerke kaum, als ich beginne zu weinen, Kilian mir sanft über die gelockten Haare fährt und mir sagt, dass alles wieder gut werden würde.
Aber wann ist es soweit? Wann wird wieder alles gut?
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Herz aus Glas
Teen FictionEin Jahr ist es her, dass Alvas fester Freund verstorben ist. Der Verlust von Milan und kurz darauf der von ihrer Mutter, hat das junge Mädchen in ein tiefes Loch gerissen. Zusammen mit ihrem Vater und jüngerem Bruder, will die 19-Jährige in einer...