13 - Wut

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Nachdem Luan und ich rein gegangen sind, habe ich mich auf eine der Bänke gelegt und bin relativ schnell eingeschlafen.
Kilian und Elijah, die mir gegenüber gelegen sind, waren schon längst im Tiefschlaf.
Schon morgens um zehn Uhr sind wir zurück an die Universität gefahren und auf meinen Wunsch hin bei Luan mitfahren zu dürfen, ist Kilian allein gegangen.
Ich muss den gestrigen Abend erstmal sacken lassen, deswegen bevorzuge ich vorerst keine Gesellschaft und erst Recht nicht die von Kilian oder Elijah.
„Dein Bruder war überhaupt nicht da", beginnt Luan ein Gespräch und ich hebe meinen Kopf von der Fensterscheibe, um ihn anzusehen.
„Ich weiß auch nicht, warum. Noel lässt sich sowas eigentlich nicht entgehen."
Für einen Moment erwidert er meinen Blick, bevor er wieder grinsend auf die Straße schaut.
„Du siehst aus wie ein Waschbär."
„Danke", antworte ich lächelnd und fahre mir über die Augenlider, um meine verschmierte Schminke zu entfernen.
Noch ein Grund, warum ich nicht mit Kilian fahren wollte.
„Tim hat übrigens nichts rausgefunden, Noel scheint also nicht überall und mit jedem zu kiffen, oder was er sich sonst nich reinziehen mag."
Ich seufze, frage mich allerdings, inwiefern es mich weitergebracht hätte, wenn Luans Cousin mir die Dorgensache bestätigt hätte.
Schließlich wusste ich das auch schon vorher.
Ohne einen weiteren Kommentar zu dem Thema öffne ich die Autotür und steige in die Kälte des Morgens.
Nur vereinzelte Studenten laufen über den Platz und telefonieren, Blättern in Büchern oder sprechen mit einer weiteren Person.
„Gehst du noch zu den restlichen Kursen?", will ich wissen und werfe einen Blick auf mein Handy, das mir schon Viertel vor elf anzeigt.
„Wahrscheinlich nicht, gehe später noch meine Schwester besuchen und dann klappt das eher nicht mehr."
Beide noch etwas müde laufen wir den Weg am Haupteingang vorbei.
„Klappt also genauso wenig wie der Plan neben einem Mädchen nach der Party zu schlafen?"
Ich lache über mich selbst und auch Luan steigt mit ein.
„Seit wann bist du denn so bösartig geworden?", fragt er und hält sich gespielt verletzt ans Herz.
„Eins zu null für dich, aber ich habe neben dir geschlafen."
Tatsächlich hat er seine Bank direkt neben meine gestellt, da wir noch ein wenig geplaudert haben.
Somit haben wir dann mehr oder weniger nebeneinander geschlafen.
„Bis dann, Alva."
Er schließt mich zur Verabschiedung kurz in die Arme, als wir an meinem Eingang ankommen und ich sehe ihm ein paar Momente hinterher, bevor ich die Tür wieder hinter mir schließe und die Treppen hoch trotte.
Noch bevor ich das passende Stockwerk erreiche, scrolle ich durch meine Kontakt und wähle anschließend die Nummer meines Vaters.
Tim hat mich nicht weitergebracht, also muss ich wieder auf meinen Vater zurückkommen, denn sein Verhalten ist mir weiterhin ein Rätsel.
Nach dem sechsten Klingeln nehme ich das Handy seufzend von meinem Ohr, als plötzlich die Stimme meines Vaters leise aus dem Lautsprecher dringt.
„Alva?"
„Hallo."
Die Wut, die ich in den letzten Tagen meinem Vater gegenüber verspürt habe, kommt wieder hoch, allerdings versuche ich dennoch ruhig zu bleiben. Zumindest erstmal.
Etwas ratlos laufe ich durch den Gang, da ich nicht so recht weiß, wie ich dieses Gespräch beginnen soll.
„Kannst du mir endlich sagen, was hier vor sich geht? Ich verstehe die ganze Situation immer noch nicht."
Am anderen Ende der Leitung höre ich ein Seufzen,weswegen ich fortfahre.
„Noel nimmt Drogen. Du sprichst ihn darauf an, woraufhin er mich beschuldigt, dir das verraten zu haben, obwohl ich nebenbei nicht mal etwas davon wusste. Anschließend ist er sauer auf mich und anstatt dass du ganz einfach sagst, dass es nicht ich war, bestätigst du Noels falsche Annahme und lässt mich weiterhin im schlechten Licht dastehen.
Was ist denn los mit dir?"
Pure Verzweiflung spricht aus mir, als ich die Tür mit einer Hand öffne und feststelle, dass Noella nicht da ist.
„Ich habe ihn in der Annahme, dass du es warst, nicht bestätigt."
Eine Sache habe ich eindeutig von meiner Mutter, und zwar die Impulsivität.
Während ich innerhalb von einer Sekunde laut und wütend werde, bleibt mein Vater immer ruhig und kontrolliert.
Es gibt nur selten Momente, in denen er richtig ausflippt, doch ich kann nicht sagen, wann das das letzte Mal war.
„Doch, indirekt hast du das getan. Indem du nichts gesagt hast, hat er sich bestätigt gefühlt. Was soll denn das? Ist dir klar, dass er mich immer mehr auf dem Kicker hat?"
„Lass es gut sein, Alva!"
Seine erhobene Stimme lässt mich kurz inne halten.
„Ich will doch bloß Noel schützen."
„Indem du zulässt dass er sich mit mir streitet?"
Seine Aussagen machen mich immer wütender und ich habe das Gefühl, mich ständig wiederholen zu müssen und dennoch keine richtige Antwort zu bekommen.
„Wovor beschützen?"
Ich bin kurz davor komplett auszuflippen, kicke mit aller Kraft gegen meinen Schrank und laufe aufgebracht durch den Raum.
„Wovor beschützen?", wiederhole ich mich. „Unsere Familie ist doch sowieso schon längst kaputt!"
„Halt jetzt den Mund, Alva!"
Ich zucke zusammen und bleibe abrupt stehen.
Seine laute Stimme, die nur so vor Wut trieft, hallt in meinem Kopf nach und ich beobachte mich in dem schmalen Spiegel, der nur einen halben Meter weiter steht.
Tränen steigen mir in die Augen und ich kann kaum mehr atmen, so sehr zieht sich mein Hals zu.
„Halt endlich deinen Mund!", wiederholt er sich und ich weiß nicht, welche Emotion mich mehr überrollt.
Ich weiß nicht, ob ich zuerst weinen oder schreien will.
Sein lautes Schnaufen wird immer leiser, während ich das Handy von meinem Ohr entferne und auf den roten Knopf drücke.
Für einige Momente beobachte ich mich noch im Spiegel.
Die glasigen Augen, das verschwitzt Gesicht, die feuchten Wangen wegen der Tränen und ich habe das Gefühl, eine Fremde anzustarren.
Erschöpft wende ich mich ab, gehe mit drei großen Schritten auf mein Bett zu, werfe mich drauf und vergrabe mein Gesicht in dem Kissen.
Mein Weinen klingt, als würde ich beinahe ersticken und als ich tatsächlich zu wenig Luft bekomme, drehe ich mich auf den Rücken. Tränen laufen mir seitwärts die Wangen hinab, an meinen Ohren vorbei bis in meine Haare.
Wie kann er bloß so herzlos sein?
Merkt er nicht, wie mich der Streit zwischen Noel und mir belastet?
Er weiß doch wohl am Besten, wie schlecht es Noel und mir nach dem Tod unserer Mutter und dem von Milan geht. Als wäre das nicht genug, haben wir all unsere Freunde zurückgelassen und sind so gut wie allein.
Die Bindung zwischen meinem Bruder und mir war stärker denn je, wir zwei waren alles was wir hatten in diesem ganzen Chaos und dann mutet unser eigener Vater uns einen Streit zu, der total ungerechtfertig ist.
Meine Wut nimmt wieder Überhand und als mein Handy neben mir klingelt nehme ich an, ohne nachzusehen, wer es ist. 
„Willst du endlich die Wahrheit sagen oder warum rufst du an? Du solltest ..." 
„Alva?"
Augenblicklich sitze ich kerzengerade auf meinem Bett und mache große Augen. Ich erkenne die weibliche Stimme, die eindeutig nicht von meinem Vater stammt, sofort. 
„Juna?"



Herz aus GlasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt