42 - Schläge

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Ich halte für einen Moment die Luft an, als ich aus der Küche komme und mein Blick geradewegs Kilian entdeckt, der einem braunhaarigen Jungen die Faust mitten ins Gesicht schlägt. Während ich abrupt stoppe und mir die Hände vor den Mund halte, stürmt Luan weiter auf die Menschenmasse zu und versucht Kilian und den blutenden Jungen auseinanderzubringen.
Keinen Meter weiter versucht Elijah die Oberhand über den blonden Jungen zu bekommen, der versucht ihn unterzukriegen. Auch in Elijahs Gesicht entdecke ich frisches Blut an der Augenbraue. Es scheint sich wie eine Ewigkeit anzufühlen, in der ich in meiner Schockstarre verweile.
Erst, als sich noch weitere Leute außenrum beginnen hin und her zu schubsen und sich anzuschreien, löse ich mich und renne auf Kilian zu, dessen Kopf heftig zur Seite fliegt, als ihn eine Faust trifft. Ich sehe, wie er für eine Sekunde die Orientierung und das Bewusstsein zu verlieren scheint und das Blut, dass von irgendwoher aus seinem Gesicht spritzt.
„Kilian!", kreische ich wie unter Strom und renne beinahe gegen Luan, der verzweifelt versucht die beiden auseinander zu halten. Hektisch sehe ich hin und her, völlig überfordert, was ich machen soll. Als Elijah neben mir plötzlich zu Boden geht und mich beinahe mitreißt, drehe ich mich zu ihm und dem Typen, der weiter auf ihn einprügelt, obwohl er schon am Boden liegt.
„Hör auf damit!", schreie ich verzweifelt und versuche, kraftlos wie ich bin, den Fremden von Elijah zu schubsen. Er nimmt mich kaum wahr, während Elijah immer mehr die Kraft verliert, sich immer weniger wehrt und die Orientierung komplett zu verlieren scheint.
Panik macht sich in mir breit, als ich bemerke, wie Elijah weiter zusammensackt und ich beginne selbst auf den blonden, der uns schon zu Beginn so böse angeschaut hat, einzuschlagen. Auch das macht ihm kaum etwas aus und als ich plötzlich einen Ellenbogen in meinem Magen spüre, taumle ich zurück und fange mich erst wieder einigermaßen, als ich gegen etwas stoße. Verwirrt drehe ich mich um und sehe kaum eine Sekunde Kilians wutverzerrtes Gesicht, bevor ein weiterer Ellenbogen in meinem Gesicht landet. Ich spüre den Schmerz kaum, so schnell verliere ich das Gewicht und Bewusstsein.

„Alva?" Die Stimme klingt, als wäre sie ewig weit weg und schmerzt dennoch in meinen Ohren, als ich versuche, meine Augen zu öffnen. Es dauert, bis ich erkenne, dass jemand über mir lehnt und meinen Namen wiederholte Male sagt.
„Geht's dir gut?" Nach mehreren Anläufen schaffe ich es das Bild vor mir scharfzustellen und erkenne Luan mit einem besorgten Blick.
„Ich dachte schon ich muss den Krankenwagen rufen." Er seufzt auf und ich versuche, all meine Kraft zusammenzunehmen und mich aufzuraffen. Seiner Aufforderung noch liegen zu bleiben, gehe ich nicht nach. Als er das versteht, hilft er mir, mich aufzusetzen.
Mit schmerzverzogenem Gesicht fasse ich mir an den pochenden Kopf.
Ich kneife die Augen zusammen und sehe mich verwirrt im Raum um. Abgesehen von ein paar Landschaftsbildern, die wie ein Versuch wirken, den Raum zu füllen, ist er mehr oder weniger kahl.
„Wo sind die anderen?" Die Bilder der Schlägerei kommen mir wieder in den Sinn und obwohl Luan mir noch keine Antwort gegeben hat, versuche ich mich schon schmerzvoll aufzurichten.
„Alva, du solltest ..." „Sag mir nicht, was ich machen soll", murmle ich, fasse mir erneut an den Kopf und stütze mich an der Wand ab. Kopfschüttelnd steht er auf, greift mir unter die Arme und seufzt.
„Sie sind in Finns Zimmer nebenan."
Kaum hat er ausgesprochen, laufe ich so schnell es geht los, reiße die Tür auf und taumle erstmal orientierungslos in die falsche Richtung, bevor ich an der vermeintlich richtigen Tür anhalte. Ohne zu klopfen stoße ich sie auf und fünf Köpfe drehen sich überrascht zu mir um. Elijah, der mit einem Kühlpad am Kopf auf dem Stuhl neben Luan sitzt, der ein komplett verschrammtes Gesicht hat und das eine Auge kaum öffnen kann. Finn, der mit verschränkten Armen neben einem weiteren Typen steht und Noel, der mich entdeckt und erleichtert aufseufzt, bevor er auf mich zugeht und mich in eine feste Umarmung zieht.
„Oh, Gott, Alva. Geht es dir gut. Bin eben hochgekommen und habe direkt Angst bekommen, als ich dich hier nicht gefunden habe."
Als wir uns wieder lösen, nicke ich etwas benommen. Luan taucht hinter mir auf und legt mir eine Hand auf die Schulter, bevor er in Richtung Bett nickt.
Besorgt setze ich mich auf die Bettkante und meine Schmerzen sind wie vergessen, als ich meine Hand an Kilians zerkratze Wange lege. Ich weiß gar nicht, wo ich zuerst hinsehen soll; die aufgeplatzte Lippe und Augenbraue, die Kratzer, die blauen Flecken oder das so angeschwollene Auge, dass er kaum sieht.
„Was haben die Arschlöcher nur mit dir gemacht?"
Tränen steigen mir in die Augen. Es tut mir weh, ihn so zu sehen. Es erinnert mich an unschöne vergangene Momente, die noch weitaus lebensgefährlicher waren.
Auf einmal muss ich wieder an den Autounfall denken und an all die Momente, in denen er noch schlimmer aussah und ich dachte, ich würde ihn verlieren.
„Hör auf zu weinen", flüstert er und seine Mundwinkel ziehen sich leicht nach oben, als er die Hand hebt und mir über die Wange streicht.
„Scheiße", flucht er plötzlich und verzieht das Gesicht vor Schmerzen, als er sich an den Bauch fasst. Verwirrt ziehe ich die Augenbrauen zusammen. Als ich eine Vorahnung habe, schiebe ich die Decke zur Seite und ziehe sein Shirt ein Stück hoch, bis ich es entdecke. Tatsächlich ist es schlimmer, als meine Vermutung. Mit offenem Mund sehe ich zu den anderen, die mir ohne Emotionen entgegenblicken.
„Ist das eine Stichwunde?", frage ich fassungslos und schaue wieder zu Kilian, der seufzt.
„Sie ist nicht so tief", versucht er die Situation zu lockern und zieht die Decke wieder über die Wunde. „Er muss sofort ins Krankenhaus. Wieso habt ihr noch keinen Notarzt gerufen? Habt ihr ihn euch mal angesehen?" Aufgebracht springe ich vom Bett und deute auf Kilian, der meinen Namen immer wieder wiederholt.
Ich schüttle den Kopf, als ich keine großartige Antwort bekomme, außer Luans Seufzer.
„Und wer war das überhaupt? Und warum?"
„Du hast die Idioten doch gesehen", sagt Finn ruhig und läuft zur Tür, um sie wieder zu schließen. Erwartungsvoll, dass er mir mehr erklärt, sehe ich ihn an, doch er macht keine Anstalten mir erklären zu wollen, warum mein Freund verprügelt und fast abgestochen wurde auf einem harmlosen Geburtstag.
„Das ist kein Thema für dich", höre ich Kilians erschöpfte Stimme. Verdutzt drehe ich mich zu ihm.
„Das geht mich sehr wohl was an. Wieso ruft denn keiner die Polizei?" Noch völlig neben der Spur taste ich meine Hosentaschen nach meinem Handy ab.
„Hör auf", höre ich Elijahs ruhige, aber bedachte Stimme, ignoriere ihn jedoch.
„Alva." Ich suche weiter und antworte wieder nicht.
„Lass es!" Ich zucke zusammen, als er lauter wird und nach meinem Arm packt. „Bullen sind das letzte, was wir jetzt brauchen."
Er sieht mir so tief in die Augen, dass ich schwer schlucke. Erst, als ich nicke, lässt er mich los, lehnt sich wieder zurück in den Stuhl und hält sich das Kühlpad an den Kopf.
Mit pochendem Kopf setze ich mich wieder auf die Bettkante, vergrabe mein Gesicht in den Händen und stütze die Ellenbogen auf meinen Oberschenkeln ab. Auch Kilians Hand die ich auf meinem Bein spüre, beruhigt mich nicht.
„In was für Scheiße hast du dich nur wieder reingeritten?", murmle ich und bin mir nicht sicher, ob ich die Frage Kilian oder mir selbst stelle. 

Herz aus GlasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt