Freitagabend eile ich dann mal wieder viel zu spät aus dem Gebäude in Richtung Parkplatz.
„Konntest du dich mal wieder für kein Outfit entscheiden?", ruft Kilian mir zu, als ich über den leeren Gehweg jogge.
„Du kennst mich zu gut", schmunzle ich und sehe noch einmal an meinem beigen Rock und der weißen Bluse hinab, bevor ich ihm in Richtung Straße folge.
Da unser Zielort sich ganz hier in der Nähe befindet, hat Kilian mich davon überzeugt den Weg zu Fuß zu gehen.
Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir das Auto genommen, auch wenn wir hier von wenigen Minuten Fußweg sprechen.
„Wie sieht's eigentlich mit Noel aus?", will er wissen und steckt seine Hände in die Jeansjacke, die ich an ihm so liebe. Als Antwort zucke ich erstmal mit den Schultern und beobachte die Sonne, die immer tiefer am Himmel steht. „Genauso schlecht wie sonst auch.
Ich weiß langsam wirklich nicht mehr was ich machen soll."
„Selbst wenn dein Vater weiterhin dicht hält, irgendwann wird Noel von ganz allein wieder zu dir kommen, weil er dich vermisst."
Ich erwidere Kilians Blick und versuche mir meine Verzweiflung nicht ganz so anmerken zu lassen.
„Aber wann ist irgendwann?
Hätte mich jemand vor unserem Streit gefragt, wie lange wir es ohneeinander aushalten, hätte ich niemals die Menge an Zeit genannt, die wir jetzt tatsächlich schon ohneeinander verbringen.
Ich halte es auch nicht mehr aus, aber er anscheinend ohne Probleme.
Von dem her bin ich mir gar nicht mehr so sicher, dass er tatsächlich in naher Zukunft auf mich zukommen wird."
Ich seufze und senke den Blick, bevor mir wieder Tränen in die Augen steigen.
Die Bäume ziehen an uns vorbei und wir befinden uns schon in einer anderen Wohngegend.
Die Häuser, die hinter jeweils einem schönen Vorgarten stehen, sehen größer und moderner aus.
Die meisten sind in weiß gehalten und einige haben sogar große Fensterwände.
Kilian bleibt vor einem verhältnismäßig eher kleinen Haus stehen, das dennoch schön und groß wirkt und hält plötzlich die Arme auf.
Ein kleines Lächeln bildet sich auf seinem Gesicht, als er meine Verwirrung bemerkt.
„Komm mal her."
Das lasse ich mir nicht zweimal sagen, also nehme auch ich ihn in die Arme und schließe die Augen.
„Er fehlt mir so."
„Ich weiß", flüstert auch er und ich atme sein Parfüm tief ein.
Ich könnte den ganzen Tag hier so stehen, doch eine laute Stimme lässt mich aus der Umarmung zurückschrecken.
„Da bist du ja!"
Ein blonder Junge kommt mit einer Bierflasche in der Hand durch den kleinen Vorgarten auf uns zu und haut Kilian fest auf den Rücken bei der Umarmung.
„Und eine Begleitung hast du auch gleich mitgebracht", ruft er ebenso laut und fährt sich durch das zerzauste Haar, bevor er mir die Hand hinhält.
„Aber warum gleich so eine große?"
Ich lächle wegen der Bemerkung über unseren Größenunterschied und reiche ihm meine Hand.
Tatsächlich ist er ein ganzes Stück kleiner als ich, was mir bis zu seiner Erwähnung gar nicht wirklich aufgefallen ist, da ich es inzwischen gewohnt bin oftmals größer als die mir gegenüberstehende Person zu sein.
„Kommt doch rein."
Mit einer passenden Handbewegung in Richtung Haus unterstreicht er seine Einladung und ich schließe das kleine weiße Tor hinter mir, bevor auch ich den schmalen Weg durch den Vorgarten passiere.
Drinnen angekommen verschwindet der Junge wieder, von dem ich vermute, dass er der Gastgeber ist.
Für einen Moment fällt mir ein, dass ich ganz vergessen habe zu fragen wie er heißt, obwohl ich mir das wahrscheinlich sowieso nicht hätte merken können.
„Was zu trinken?"
Kilian nickt in Richtung Küche und ich folge ihm ebenso nickend.
Von innen ist das Haus sehr minimalistisch eingerichtet.
Die Räume sind offen, weswegen ich schnell fast das ganze Erdgeschoss auf einen Blick mustern kann.
Ein paar Leute tanzen, ein paar haben sich auf den verschiedenen Sitzmöglichkeiten platziert und reden, während im Hintergrund etwas Musik läuft.
Alles in einem wirkt es eher entspannt, als hätten sich ein paar Freund zum Quatschen getroffen.
„Was möchtest du?"
Kilian selbst schenkt sich eine pinke Flüssigkeit in einen weißen Plastikbecher und zwei Mädchen verlassen die Küche, sodass wir allein zurück bleiben.
„Hauptsache ..."
„... keinen Alkohol?"
Er grinst und schenkt mir etwas Fanta ein.
„Ich kenne dich inzwischen."
Auch ich nehme grinsend den Becher entgegen und trinke einen Schluck, bevor ich ihm wieder zu den anderen Leuten folge.
Er steuert auf ein kleines Sofa im hinteren Teil des Raums zu und begrüßt dabei ein paar Jungs und Mädchen, die ihm zuwinken oder Hallo durch den Raum rufen.
„Wie kommt es, dass Elijah und Luan nicht dabei sind?
Normalerweise geht ihr drei doch immer zusammen überall hin.
Vor allem auf irgendwelche Feiern."
Ich lasse mich neben ihm nieder und drehe meinen Körper zu ihm, sodass ich meinen rechten Arm auf der Rückenlehne platzieren kann.
„Weil ich nicht möchte, dass mir wieder ein Blondschopf dazwischenfunkt."
Er wirft mir ein seltsames Lächeln zu und trinkt dann seinen Becher mit einem Zug leer.
Für einige Momente bin ich still und versuche, seine Antwort richtig zu interpretieren, traue mich allerdings nicht zu fragen, ob er von Elijah spricht.
Weiß Kilian vielleicht von Elijahs kleinem Vortrag an der Geburtstagsfeier?
„Außerdem", fügt er hinzu, „kennen die beiden Julian nicht mal."
Ich gehe davon aus, dass Julian der Gastgeber ist und lasse das Thema damit sein.
„Wer ist das?", lenke ich dann ab und deute auf das braunhaarige Mädchen, das einige Meter weiter tanzt und immer wieder zu uns rüber sieht.
Wenn ich in etwas ein Profi bin, dann dabei zu ermitteln, wer mich beobachtet.
„Meine Ex."
Er stellt seinen leeren Becher auf den Boden neben dem Sofa und dreht sich dann wieder zu mir.
Mit dieser plumpen Antwort hätte ich nicht gerechnet, daher weiß ich für einige Sekunden nicht so recht, was ich antworten soll.
„Du müsstest mal dein Gesicht sehen", lacht er und schüttelt dabei den Kopf.
„Lachst du mich etwa aus?"
Sein Lachen steckt mich an und ich schlage ihm beleidigt gegen die Schulter.
„Wie leicht man dich immer aus der Fassung bringen kann."
Ich verstehe ihn kaum noch, so laut lacht er, während ich meinen Kopf bloß gespielt böse wegdrehe.
Doch als ich im nächsten Moment seinen Kopf auf meinem Schoß spüre, schnellt mein Blick wieder in seine Richtung und für ein paar Augenblicke hat er mich tatsächlich aus der Fassung gebracht.
Doch keine Sekunde später bildet sich ein Lächeln auf meinem Gesicht und er erwidert es, als er zu mir aufsieht.
„Machst du das jetzt wegen ihr?", necke ich ihn und sehe kurz zu seiner Ex Freundin, die uns tatsächlich einen ebenso kurzen Blick zuwirft.
„Vielleicht", neckt er mich zurück, grinst verschmitzt und stupst mich in die Seite, sodass ich grinsend zusammenzucke.
„Du bist süß."
„Und du bist heute echt komisch", erwidere ich schmunzelnd über sein Verhalten heute und versuche dabei das kribbelnde Gefühl in meinem Bauch auszublenden.
Als Ablenkung trinke ich einen großen Schluck, stelle den Becher auf dein kleinen Glastisch neben dem Sofa und mache es mir bequemer, während Kilians Kopf immer noch auf meinem Schoß liegt.
Dabei versuche ich die nicht identifizierbaren Blicke seiner Ex-Freundin auszublenden.
„Warum ist das zwischen euch kaputt gegangen?"
Ich versuche mein großes Interesse bezüglich der zu Bruch gegangenen Beziehung der beiden nicht all zu sehr zu zeigen.
Seufzend hievt er sich hoch, setzt sich wieder neben mich und breitet einen Arm aus.
Für einen Moment bin ich verwirrt und weiß nicht so recht, was er von mir möchte. Das scheint er zu merken, also zieht er mich zu sich, sodass mein Kopf auf seiner Brust ruht und er seinen Arm um mich legen kann.
Mein Körper verkrampft sich augenblicklich und ich versuche ebenso krampfhaft, mich wieder zu entspannen.
„Ich spreche nicht gerne über sie."
Es fällt mir in dieser Situation extrem schwer mich auf seine Worte zu konzentrieren und die Gänsehaut die er auf meiner Haut auslöst, indem seine Fingerspitzen sanft über meinen Oberarm streicheln, macht es nicht besser.
Ich atme seinen Duft ein und kann mir ein Lächeln nicht verkneifen.
„Wieso?", frage ich in dem Versuch entspannt zu klingen und mich nicht zu sehr davon ablenken zu lassen, dass ich in den Armen von Kilian liege und mein Körper allein dabei schon abdreht.
„Wenn es sie nicht gäbe, würde meine Schwester vielleicht noch leben."
Und dass ist der Moment, in dem mein Lächeln verschwindet, das aufregende Gefühl durch Fassungslosigkeit ersetzt wird, die schöne Gänsehaut verschwindet und ich einfach nur das unschuldig aussehende Mädchen anschaue, wie sie tanzt, lacht, ihre langen Haare hin und her schwingt und absolut nicht danach aussieht, als wäre sie schuld an dem Tod eines Mädchens.
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Herz aus Glas
Teen FictionEin Jahr ist es her, dass Alvas fester Freund verstorben ist. Der Verlust von Milan und kurz darauf der von ihrer Mutter, hat das junge Mädchen in ein tiefes Loch gerissen. Zusammen mit ihrem Vater und jüngerem Bruder, will die 19-Jährige in einer...