28 - Vermutung

173 17 0
                                    

Als wir hinter der Treppe angekommen sind und uns somt nicht mehr im Trubel der Leute befinden, weiß ich kaum, wie ich beginnen soll.
„Vater war vorhin kurzfristig bei mir. Er hat mir gesagt, von wem er das mit den Drogen tatsächlich hat."
Unbeeindruckt zieht er eine Augenbraue hoch und ich erkläre weiter.
„Es war Aaron."
Tatsächlich kann ich nun doch etwas verstehen, weshalb mein Vater Noel ungern sagen wollte, dass es sein bester Freund war.
Zwar verstehe ich es dennoch nicht, warum er dafür mich hat ins offene Messer laufen lassen, aber ich kann nachvollziehen, wie sehr Noel das verletzten würde, wenn sein bester Freund zum eigenen Vater geht, wegen einer Sache, die man ihm anvertraut hat.
„Soll das ein Scherz sein?"
„Nein", entgegene ich.
Er scheint zu denken, dass das nur ein weiterer billiger Versuch ist, damit ich mich rausreden kann. 
„Nach all dem Mist, der damals passiert ist, hatte Aaron Angst, dass dir erneut etwas passieren könnte, wenn du wieder Drogen nimmst.
Deshalb hat er unseren Vater angerufen und ihm davon erzählt. Nicht, weil er dich verletzten oder dich verraten wollte. Im Gegenteil, er hat sich um dich gesorgt und das aus verständlichen Gründen.
Aber Dad wusste, dass dich das treffen würde.
Er wollte eure Freundschaft nicht aufs Spiel setzten, deswegen hat er aus dem Moment heraus gesagt, dass er das von mir hat, in der Hoffnung, dass unsere Beziehung das eher verkraften würde, als die zwischen Aaron und dir."
Dabei lasse ich weg, wie schwachsinnig ich das finde.
Das Wichtigste ist nur, dass wir das endlich hinter uns lassen können.
Er fehlt mir schließlich unglaublich.
Er ist der Einzige hier, der mir so unfassbar nah steht und der mich schon so lange kennt.
„Ich habe dich nicht verraten, Noel. Ich war es nicht."
Das erste Mal, seit einer gefühlten Ewigkeit, lächle ich ihn wieder an und Freude steigt in mir auf.
Ich wusste, dass ich ihn wirklich sehr vermisst habe, aber wie sehr, das wird mir erst jetzt wirklich bewusst.
Als ich jedoch meine Arme um ihn legen will, geht er einen Schritt zurück und zieht die Augenbrauen zusammen.
Verwundert lege ich den Kopf schief. 
„Selbst, wenn das stimmt, was ich stark bezweifle, warum tust du so, als wäre damit alles geklärt? Warum tust du so, als wäre das das Einzige, was du getan hast?"
Ich habe mit jeglicher Antwort gerechnet. Mit einer glücklichen Umarmung, purer Erleichterung oder, dass er erst noch mit unserem Vater sprechen will, bevor er mir glaubt, jedoch nicht damit, dass es ihm nicht nur um die Drogengeschichte geht.
„Versuch doch nicht, alles nur auf diese eine Sache zu reduzieren. Es geht schon lange nicht mehr nur darum."
„Was ..." Ich kann nicht mal meinen Satz vollenden, so überrumpelt bin ich. Vor allem, als er zu lachen beginnt.
„Und jetzt das typische Hallo, ich bin die unschuldige Alva und weiß von nichts Getue. Vielleicht solltest du in Zukunft mit anderen Leuten über solche Themen sprechen, wenn du nicht willst, dass ich es erfahre."
„Von was sprichst du?"
Ich kann ihm kaum noch folgen.
Selbst, als ich jegliche Szenarien, in denen ich mit jemandem gesprochen habe, durchegehe, fällt mir nicht ein, was er versucht anzudeuten.
„Na, gut. Du willst es nochmal hören, dann gebe ich dir wohl ein paar Beispiele.
Ich war in der ganzen Zeit nach dem Tod von Mum nicht für dich da.
Stattdessen war ich bloß unterwegs und habe vor so viel Alkohol und Drogen kaum noch etwas mitbekommen.
Bloß eine witzige Geschichten von vielen, Alva."
„Du willst mich verarschen, oder?"
All diesen Schwachsinn, den er von sich gibt, ist nur auf einen Scherz zurückzuführen.
Anders kann ich mir das nicht erklären, doch anstatt zu lachen und zu sagen, es sei nur ein Witz, kommt er mir so nah, dass mein Rücken an die Wand stößt.
Nun ist selbst das sarkastische Lachen verschwunden und er sieht nur noch wütend aus. 
„Wieso sollte ich das tun? Wenn du deinen Freundinnen Lorina und Noella alles erzählst, musst du damit rechnen, dass Lorina eventuell misstrauisch wird und mir davon erzählt, schließlich stehen auch sie und ich uns nahe.
Aber weißt du, was die lustisgte Geschichte von allen ist, die du erfunden und rumerzählt hast?"
Ich traue mich gar nicht zu antworten. Zumal ich nicht mal eine Antwort habe. „Die über unsere Mutter."
Ich schlucke schwer und er schüttelt leicht den Kopf. Für einen Moment sehe ich einen zerbrechlichen, tief enttäsuchten Noel, bevor wieder Wut aus ihm spricht.
„Du sagst, ich wäre derjenige, der Schuld an ihrem Tod ist, dabei bist du es, Alva.
Du ganz allein bist Schuld, dass unsere Mutter weg ist. Tot ist.
Wer von uns beiden hat sich in dieser Nacht bei einem Gewitter irgendwo draußen betrunken herumgetrieben, weil sie ein Alkoholproblem hat und traurig war wegen Milan?
Wer von uns beiden ist nach Aufforderung nicht nach Hause gekommen, sondern hat stattdessen unsere Mutter losfahren lassen, um dich suchen zu gehen?
Wer von uns beiden hat in Kauf geommen, dass sie bei all dem Eis, Schnee und Regen von der Straße abkommt und dabei stirbt? Sag mir, wer das war, Alva."
Tränen steigen mir in die Augen, mein Hals ist wie zugeschnürt und die Wut überkommt mich.
„Du warst das. Du ganz allein.
Und du allein bist auch Schuld an ihrem Tod."
Es dauert keine Sekunde, so schnell ist sein Kopf zur Seite geflogen.
Mit nassen Wangen halte ich mir meine brennende Hand und Noel verharrt einige Sekunden in dieser Position, bis er seinen Kopf wieder zu mir dreht, ihn schüttelt und mich zurücklässt.
Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen und ich trete langsam hinter der Treppe hervor.
Als ich rechts, wenige Meter weiter, Noella und Lorina sehe, wie sie kichernd gemeinsam hinter der Ecke verschwinden, habe ich eine böse Vermutung.

Herz aus GlasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt