Es ist komisch, dass wir Menschen uns oftmals so bedeutend vorkommen oder bedeutend sein möchten.
Dass wir unbedingt erfolgreich sein wollen.
Wir arbeiten teilweise unser Leben lang darauf hin.
Gehen zur Schule, lernen, gehen zur Universität, studieren, gehen arbeiten und noch mehr arbeiten.
Grundsätzlich ist das nicht schlimm, doch vergessen wir neben all dem Lernen und Arbeiten nicht manchmal auch zu leben? Einfach mal die Unterlagen, den Stift und den Laptop beiseite zu legen und aus dem Fenster zu schauen?
Wir wollen unbedingt keine Zeit verschwenden, um endlich unser Ziel zu erreichen.
Alles, nur um am Ziel anzugelangen.
Doch, was ist das Ziel?
Es ist Erfolg, ein toller Job, vielleicht auch Geld.
Und wenn wir beinahe unser ganzes Leben lang gearbeitet haben, und endlich diesen Beruf und diesen sozialen Status erlangt haben, ist es trotzdem noch nicht vorbei.
Wir müssen trotzdem noch weiter schuften, um diese Position nicht zu verlieren.
Ansonsten werden wir schneller ausgetauscht, als wir schauen können.
Wir stecken all unsere Energie und Zeit in unseren Erfolg, den wir unbedingt beibehalten wollen, um für später ausgesorgt zu haben.
Und genau das ist der entscheidende Punkt.
Wir machen alles nur für später. Für irgendwann.
Aber sollten wir nicht im Hier und Jetzt leben?
Wir gehen zur Schule und lernen dort, um später an eine gute Universität zu kommen. Wir gehen zur Uni, studieren, um später mal einen guten Beruf zu erlangen. Wir gehen Arbeiten, um genügend Geld zu verdienen, für später mal. Schieben alles in den Hintergrund, was wir vielleicht manchmal lieber getan hätten. All unsere Bedürfnisse.
Und dann, irgendwann, wenn die grauen Haare endgültig nicht mehr zu verstecken sind, wir mit dem Arbeiten aufhören müssen, ist der Moment gekommen.
Vielleicht sitzen wir dann in einem gemütlichen Sessel in unserem Haus, zusammen mit Hund und einem Partner, den wir mal bei der Arbeit kennengelernt haben, finanziell abgesichert und einem netten Auto in der Garage.
Vielleicht befinden wir uns jetzt genau in dieser Situation und haben eigentlich das erreicht, was wir unser Leben lang wollten und worauf wir unser Leben lang hingearbeitet haben.
Aber dennoch sitzen wir da, sehen aus dem Fenster in den Abendhimmel und fragen uns trotzdem, was wir nun im Leben gemacht und erreicht haben.
Was haben wir, abgesehen vom Arbeiten, getan? Was haben wir wirklich für uns selbst, für unser Inneres, getan, woran wir uns immer erinnern werden und uns ein Lächeln aufs Gesicht zaubern wird?
Woran werden wir denken, wenn unser Leben zu Ende geht, und werden sagen Das ist einer der Momente, die mich wirklich glücklich gemacht haben? Die es wert waren, zu leben? Die der Grund sind, dass ich dieses Leben geliebt habe?
Ja, vielleicht hat uns all das Schuften auch ab und an Freude gebracht. Wenn wir einen guten Notendurchschnitt erreicht haben. Wenn wir bei einem Job angenommen wurden oder ein gelungener Auftrag viel Geld gebracht hat.
Doch das ist keine tiefe Freude.
Keine Freude, die ich auch am Ende meines Lebens noch in mir trage und die mich dann immer noch genauso glücklich macht, wie sie es in dem Moment getan hat.
Sind es nicht die menschlichen, nicht greifbaren Dinge, die uns viel mehr im Leben bringen?
Ich will nicht bestreiten, dass es gut ist, einen tollen Beruf zu haben oder viel Geld zu besitzen.
Aber wir sollten den passenden Mittelweg finden, zwischen Karriere, Materiellem und den wertvollen Dingen, die wir nicht in Form von Geld in unseren Händen halten können, sondern, die wir ganz allein für unser Herz und unsere Erinnerungen festhalten.
Im Endeffekt können wir nichts mit ins Grab nehmen.
Kein Geld, keine großen Autos und auch keinen Erfolg.
Vielleicht können wir auch keine Liebe und kein Glück mit ins Grab nehmen.
Sollten wir Menschen nach dem Tod tatsächlich einfach heruntergefahren werden, wie ein Computer, werden uns Gefühle und Erinnerungen ebenso wohl kaum weiterhelfen.
Das ist auch nicht das, was ich sagen will. Ich will sagen, dass wir einfach keinem strikten Plan im Leben folgen sollten. Schlussendlich erleben wir alle dasselbe Schicksal.
Egal, ob arm, reich, erfolgreich, erfolglos, dünn oder dick, Arbeiter, Arbeitslose.
Wir alle werden ganz allein ins Grab gehen. Also wozu der ganze Stress, der oftmals so unfassbar erdrückend ist, jedoch am Ende nichts bringt, anstatt einfach für sich selbst zu leben?
Einfach mal nach oben in den Himmel zu sehen, anstatt immer geradeaus ins Trübe? Einfach mal ins Universum zu blicken und sich klarzumachen, wie unfassbar klein und bedeutungslos man für diese Welt, für dieses ewige Universum ist?
Also; es ist komisch, dass wir Menschen uns oftmals so bedeutend vorkommen.
Dass wir denken, wir wären die g
Größten, sobald wir etwas erreicht haben. Die Welt schert sich einen Dreck um uns. Das Universum schert sich einen Dreck um uns.
Im Endeffekt können wir nur für uns selbst und uns Nahestehenden bedeutend sein. Also kümmern wir uns doch lieber um uns selbst und pflegen lieber die Beziehungen zu anderen Personen, anstatt uns etwas Großes aufzubauen, was im Endeffekt keinen mehr interessiert, wenn wir Tod sind und einfach ausgetauscht werden.
Wir müssen uns immer bewusst sein, dass wir nur ein winzig kleines Sandkorn in diesem Meer aus Sternen und Planeten sind.
Also machen wir das Beste aus dieser kurzen Zeit, in der wir die Möglichkeit haben, zu leben.
Machen wir, was uns wirklich glücklich macht und leben in den Moment, und nicht nach einem vorgelegten Plan.
Immer noch erschöpft vom gestrigen Abend greife ich nach meiner Tasse Tee, die neben meinem Stuhl auf dem Boden steht. Ich ziehe die Beine wieder eng an mich und puste die heiße Flüssigkeit an.
Geruch von fruchtigen Beeren steigt mir in die Nase und mein Blick geht wieder in den blauen Himmel, der Größtenteils von Wolken bedeckt ist.
Ich war heute weder in der Uni, noch sonst irgendwo.
Stattdessen habe ich ewig meinen Rausch ausgeschlafen, einen Stuhl vor das große Fenster gestellt und mir Gedanken über so viele Dinge gemacht.
Vor allem über Milan.
Denn genau er ist es, der mir diese Sichtweise über das Leben ermöglicht hat. Doch genauso widersprüchlich ist es, dass genau ich diejenige bin, die ihr Leben wie eine Leiche nur vor sich hinlebt und es keineswegs schön gestaltet.
Milan war schon immer ein großer Freund von Spontanität.
Egal, ob bei Kleinigkeiten, wie kurzfristig mit mir auszugehen, oder großen Projekten, wie für mehrere Wochen nach Afrika zu gehen, um dort Kindern zu helfen.
Es war eine Eigenschaft, die ich geliebt und gehasst habe zugleich.
Er hat immer wieder betont, wie wichtig es ist, jeden Moment im Leben auszunutzen.
Dass es ja ständig vorbei sein könnte.
Es klingt so kitschig manchmal und oft ist es vielleicht das typische Gerede von den Leuten.
Aber Milan ist einer der wenigen, die es wirklich verstanden haben.
Einer, der auch genau nach diesen Vorstellungen gelebt hat.
Wie oft gab es die Situation, dass ich wieder schlecht gelaunt auf dem Sofa gelegen bin, er unbedingt etwas unternehmen wollte und ich gar keine Motivation hatte?
Ich kann mich noch genau an die Situation erinnern, als ich auf dem Rücken auf meinem Bett gelegen habe, Milan am Bettende saß und sein Gesicht nur vom Mond und meiner Lichterkette beschienen wurde.
Ich weiß noch, wie er den Kopf schief gelegt hat, als ich zum zehnten Mal gesagt habe, dass ich keine Lust habe, mich mit den anderen zu treffen, um auf diese bescheuerte Feier zu gehen.
Alva, ich stehe noch weniger auf Feiern als du. Aber deine beste Freundin kommt doch auch mit und bisher ist es jedes Mal lustig geworden. Alles ist besser, als hier rumzuliegen und Trübsal zu blasen.
Es war einer der Momente, in denen er mir vorkam wie ein schlechter Motivationstrainer.
Nachdem ich als Antwort bloß gezeufzt habe, hat er aus dem Fenster in den Sternenhimmel gezeigt und gesagt:„Sieh mal. Was ist, wenn einer dieser Sterne ein großer Meteorit ist, der mit einer unfassbar großen Geschwindigkeit direkt auf dein Haus zusteuert und hier einschlägt? Das Letzte, an was du dich erinnern wirst, ist, wie du mal wieder genervt auf dem Sofa gelegen hast.
Du wirst dich ärgern, dass du nicht stattdessen lieber etwas Schöneres erlebt hast."
Damals habe ich ihm nur den Vogel gezeigt und bin dann widerwillig mitgekommen.
Heute verstehe ich ihn und bin ihm dankbar, da es einer meiner lustigsten Abende überhaupt war.
Genau einer von den Momenten, die mich für die Ewigkeit glücklich gemacht haben und die der Grund sind, dass ich mir in vielen Jahren denken werde, was für schöne Erinnerungen ich habe.
Einer der Momente, an die ich am Ende denken und lächeln werde.
Es war eine der Situationen, mit denen Milan mir klar machen wollte, wie schnell alles vorbei sein kann.
Damals habe ich den Meteoriteneinschlag für genauso unwahrscheinlich gehalten, wie die Situation, dass er mal für einige Wochen nach Afrika reist und dort entführt und getötet wird.
Ein verzweifeltes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen und verpasst mir eine Gänsehaut.
Es ist ein komischer Schachzug des Schicksals, genau diesen Menschen so füh aus dem Spiel zu nehmen.
Einerseits kann man sagen, dass Milan schließlich genau für diesen Fall so ausgiebig gelebt hat.
Andererseits hätte gerade er es doch verdient, lange zu leben, da er es so wertschätzt.
Ich schüttle den Kopf über mich selbst und nehme einen Schluck.
Jeder hat es verdient zu leben, doch solche Gedanken, wie, dass Milan es am meisten verdient hätte, kann ich schwer unterdrücken.
Ich denke, das, was ihn so besonders für mich gemacht hat, ist seine Vielfältigkeit.
Ja, er hat vielleicht viele kitschig wirkende Dinge gesagt.
Hat viel über das Leben gesprochen und ja, vielleicht sagen einige, dass Milan mit seinen 18 Jahren doch gar keine Ahnung hat.
Dass er bloß Sachen erzählt, von denen er nichts weiß und dass er bloß Anderen Dinge nacherzählt.
Aber die Tatsache, dass er all das auch wirklich umgesetzt hat und das er trotzdem noch ein ganz normaler 18 jähriger war, der auch mal dumme Dinge gemacht hat, macht es so glaubwürdig.
Er war nie ein großer Schwätzer, der in Anwesenheit seiner Freunde und mir eine Show abgeliefert hat.
Er war einfach Milan, der dich hin und wieder aufgebaut hat.
Er war der junge, gutaussehende Typ, mit den braunen Haaren, den blauen Augen und dem verschmitzten Lächeln.
Der verrückten Lache, dem komischen Humor und den dummen Witzen, die dennoch alle lustig fanden.
Der Romantische, der mir mal Blumen geschenkt hat und gleichzeitig der absolut unromantische Typ, der bei Romanzen nur lachen konnte.
Er war ganz normal und trotzdem so besonders.
Er kam bloß in einzelnen, passenden Momenten, und hat dir einen Rat gegeben, hat dich aufgebaut oder dir einfach nur etwas erzählt.
Denn das hat er meistens getan.
Er hat kaum direkt gesagt Mach das doch lieber so oder Sei lieber mal besser gelaunt.
Meistens hat er Geschichten erzählt.
Hat über das Leben, das Universum oder andere Dinge gesprochen, allerdings so geschickt, dass du dir selbst deinen Rat daraus ziehen konntest.
Deine Hilfe.
Wieder muss ich Lächeln, doch diesmal füllt es mich kurz ein wenig mit Wärme.
Allerdings dauert es nicht lang, bis die altbekannte Kühle wieder zurückkehrt.
Denn eines tut mir besonders weh.
Dass ich all diese Geschichten, all diese Worte, so langsam aber sicher vergesse.
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Herz aus Glas
Roman pour AdolescentsEin Jahr ist es her, dass Alvas fester Freund verstorben ist. Der Verlust von Milan und kurz darauf der von ihrer Mutter, hat das junge Mädchen in ein tiefes Loch gerissen. Zusammen mit ihrem Vater und jüngerem Bruder, will die 19-Jährige in einer...