Dr. Min

73 18 2
                                    

>>

I couldn't wait until I could feel nothing better at all.

<<

~Ich muss mich gut fühlen, ich darf nicht wie ein seelisches Wrack vor ihm wirken. Ich will nicht diagnostiziert werden. Ich will nicht, dass mir etwas aufgezwungen wird.~

,,Ich bin wirklich sehr froh, dass du dich entschieden hast doch noch zu kommen, Chiron.''
Dr. Min lächelte kurz, überschlug seine Beine und musterte den Schwarzhaarigen genau. Dieser saß auf einem Sofa in dem Büro des Psychologen. Er zupfte an dem Ärmel seines Pullovers und sah aus dem Fenster. Es fiel ihm schwer, Dr. Min ins Gesicht zu sehen. Auch wenn es Yoongis Onkel war, er war ein Fremder der mehr über Chiron wissen wollte, als dem Jugendlichen lieb war.

,,Sie haben mein Notizbuch gelesen, sie sollten alles wissen.'', sagte Chiron knapp, Dr. Min schüttelte langsam den Kopf.
,,Ich habe es nicht gelesen, ich habe es gefunden und kurz angesehen.''
,,Ach.'', schnaubte Chiron, verschränkte seine Arme vor der Brust.
,,Sie sagen also sie haben es ausversehen gefunden?''
,,Ganz genau, es war in den Sachen meines Neffens, ich dachte es wäre seines.'', sagte er ruhig, hob nie seine Stimme auch wenn Chiron ihn beschuldigte.
,,Es steht 'Eigentum von Pak Chiron' auf der ersten Seite. Yoongis Namen schreibt man anders.''
Immer noch hatte Chiron dem Älteren keinen Blick geschenkt. Draußen hatte sich die Sonne hinter einigen Wolken versteckt, das Wetter wirkte trüb.

,,Ich verstehe, warum du dich hintergangen fühlst. Es tut mir leid, falls ich deine Privatsphäre gestört habe.'', gab er nun zu, Chiron nickte nur halbherzig. ,,Können wir anfangen? Ich möchte so schnell es geht hier raus.''
,,Nun gut, Chiron. Ich muss dich zuerst fragen, wie es dir momentan geht.''

Kurz lachte Chiron etwas spöttisch, dann zuckte er mit den Schultern. ,,Es geht mir gut.'', log er, sah den Psychologen zum ersten Mal in die Augen.
,,Ich bin sehr froh, dass Yoongis und deine Bindung sich gestärkt hat. Ich sehe ihr steht euch sehr nahe.'', lächelte Dr. Min, sah Chiron dabei zu wie sein Blick auf das Gummiband an seinem Handgelenk glitt. ,,Wir kennen uns gut.''

,,Ich stelle dir nun einige Fragen, ich wünsche mir dass du sie ehrlich und aus dem Gefühl und Herzen heraus beantwortest.''
Chiron nickte langsam, beobachtete den Älteren der einen Zettel und Stift zur Hand nahm. Sein Klemmbrett lag bereits auf seinem Schoß, Chiron konnte jedoch nicht sehen was darauf stand.

,,Gibt es in deiner Familie einen Substanzmissbrauch? Zum Beispiel eine Alkoholabhängigkeit, Medikamentenmissbrauch, Drogenkonsum.''
,,Nein, meine Familie hat damit nichts am Hut.''
Dr. Min kritzelte auf dem Papier, Chiron biss sich auf die Unterlippe.
,,Nimmst du regelmäßig Drogen, trinkst Alkohol oder nimmst Medikamente?''
Chirons Blick glitt auf den Boden. ,,Ich nehme keine Medikamente.''
Wieder schrieb der ältere Mann etwas auf das Stück Papier, sah dem Schwarzhaarigen kurz ins Gesicht.
,,Hast du im Wesentlichen noch dieselben Ziele für dein Leben wie die, die du vor zwei bis drei Jahren hattest?''
,,Ich hatte nie irgendwelche Ziele.'' Chiron dachte nach ,,doch, ich wollte mal Songwriter werden.''

Dr. Min verzog keine Miene, keine Reaktion kam von seiner Seite. ,,Fällst du manchmal stimmungsmäßig in ein tiefes Loch, eine Angst oder fühlst du dich von deinen Gefühlen unterdrückt?''
,,Manchmal passiert es, dass ich gar nichts fühle. Manchmal fühle ich zu viel, ich..weine, ohne Grund.''
Es fiel Chiron schwer ehrlich zu sein, doch er hatte es Yoongi versprochen. Dieser saß nur einige Meter weg, vor der Tür und wartete bis Chiron fertig war.

,,Hegst du zu manchen Menschen eine recht extreme Beziehung, das heißt du liebst sie sehr, sie können dich aber auch oft zur Weißglut bringen?''
,,Positiv.'' dabei war Chiron sich sicher, er hegte starke Gefühle zu Yoongi. Nahezu so stark, dass er sie nicht einschätzen konnte.
,,Fällt es dir schwer längere, stabile Freundschaften zu pflegen?''
,,Ich hatte einen besten Freund, Namjoon.'', erzählte Chiron ,,doch wir haben keinen Kontakt mehr zueinander.''
,,Mhm.'', kam es konzentriert aus dem Mund des Doktors, der vertieft in das Blatt vor ihm starrte.
,,Verletzt du dich selbst? Bist du anfällig für kleinere und größere Unfälle?''
Dr. Min warf einen Blick auf Chirons Handgelenk.
,,Ich ritze mich nicht, falls sie das denken.'' ,,Es ist nicht immer ritzen.'', sagte der Psychologe ruhig, Chiron dachte sofort an Yoongis blasse Arme, übersäht von Narben. Yoongi wurde davon nicht verschont.
,,'Ich weiß, wer ich binˋ, trifft diese Aussage auf dich zu?''
,,Negativ.''

,,Interessant.'', meinte der Ältere überrascht.
,,Bist du dir manchmal nicht sicher, in welche Richtung es dich im sexuellen Sinne zieht?''
,,Was hat das damit zu tun?'', fauchte Chiron etwas betroffen ,,Öfters können Menschen mit psychischer Labilität nicht einordnen, zu welchem Geschlecht sie sich eigentlich hingezogen fühlen.''
Chiron presste die Lippen aufeinander, warum fragte dieser Mann Dinge, die genau auf ihn zutrafen?
,,Hattest du in deinem Leben schon das eine oder andere Mal das Gefühl, die Kontrolle über dich zu verlieren, "auszuklinken" oder "auszurasten"?''
,,Positiv.''

,,Setzt du manchmal Aktionen oder triffst Entscheidungen, ohne über die Folgen ausreichend nachzudenken?''
,,Viele sagen mir, ich reagiere oft zu impulsiv und denke über meine Taten nicht nach.''
,,Wenn du extrem unter Stress stehst, hast du manchmal ein bedrohliches Gefühl, du könntest "durchdrehen", den Boden unter den Füßen verlieren oder völlig die Kontrolle über dich verlieren?''
,,Positiv.''
,,Hast du große Angst davor, von den Menschen die du liebst, verlassen zu werden?''
,,Ich denke, das ist meine größte Angst.''
Dr. Min nickte, sah dem jungen Mann in die Augen und zeigte dann auf den kleinen Tisch vor ihm.

,,Ich möchte, dass du dir ein Papier hier nimmst und drei Dinge aufschreibst, die dir im Leben wirklich etwas bedeuten.'' Chiron erblickte sofort den kleinen Stapel Papiere am tiefen Glastisch, nahm eines und einen Stift zu sich. Kurz überlegte er, kritzelte wie vorgetragen die drei Dinge auf das Papier, die ihm wichtig waren. Als er es dem Psychologen gab und sich wieder zurück ins Sofa fallen ließ, blickte er kurz wieder aus dem Fenster. Mittlerweile hatten sich die Wolken in ein dunkles Grau gefärbt, die Bäume wedelten durch den Wind hin und her.

,,Diese Frage ist nun etwas weit her gegriffen, ich möchte dass du dich nicht angegriffen fühlst.'', erklärte der Doktor, Chiron nickte zustimmend.
,,Ist es vorgekommen, dass du innerhalb der letzten Jahre Selbstmordgedanken hattest?''

Chiron war überrascht über diese Frage, sein Herz fing an zu rasen und ihm wurde beinahe etwas übel. Ein schwindeliges Gefühl breitete sich in seinem ganzen Körper aus, er wollte nicht antworten.
Er schien jedoch antworten zu müssen, warum belästigte dieser Mann ihn so? Warum konnte er nicht einfach mit Yoongi im Bett liegen und an die Decke starren?
Yoongi war sein Seelenklemptner, er vertraute ihm.
Yoongi musste keine Fragen stellen, er bekam so oder so Antworten.
Doch auf diese Frage, wollte Chiron keinem antworten.

Nicht mal sich selbst.

One More Light | BTS √Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt