klopfende Türen

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Every night that I'm out on my own
All I ever think about is you and I'm wrong.

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Es war dieser eine Moment, der Chiron aus der Bahn warf.
Dieser eine Moment, der Dinge veränderte und den 20-Jährigen mit sich riss.
Ein Moment, so unvergesslich in seinen Augen.
Unverzeihlich für Menschen wie ihn.
Es war dieses enorme Schuldgefühl, dass sich in seinem Kopf ausbreitete, ein loderndes Feuer das immer größer wurde
Das Schuldgefühl, das ihm sagte er hätte sie nicht aus den Augen lassen sollen, er hätte bei ihr bleiben sollen.
Er hätte diesen Typen gleich verprügeln sollen, als er die Pille in das Getränk gleiten sah.
Er hätte sie davor bewahren können, doch wie hätte er wissen sollen, dass dieses Getränk wahrscheinlich genau für seine kleine Schwester bestimmt war.
Wie hätte er wissen sollen, dass auch in dieser Schule solch grausame Dinge geschahen.
Wie hätte er all das wissen sollen?

Und der Schmerz überkam ihn sofort, als er die Augen öffnete. Eines seiner Augen war verwundet, war nur schwer offen zu halten und er versuchte sich an das schwache Licht und die Umgebung zu gewöhnen. Er lag auf dem kalten Asphalt Boden, die Kälte bohrte sich sofort in seine Gliedmaßen und ließen ihn frieren. Er zitterte, zog scharf die Luft durch einen Spalt ein. Kurz leckte er sich über die trockenen Lippen, schmeckte Blut und seufzte kläglich. Er zischte vor Schmerz, als er sich versuchte aufzurichten. Sofort brummte sein Schädel und ihm wurde schwindelig.
Ohne es sich zurück halten zu können übergab sich Chiron auf dem Boden, stützte sich mit seinen Armen ab. Es war grauenvoll, sein Magen drehte sich, schmerzte von Prellungen und Blutergüssen. Er brauchte ärztliche Hilfe, doch wie sollte er diese finden? Sein Handy war Schrott und das nächste Krankenhaus Meilen weit entfernt.
Alles was er tun konnte war, sich an der Laterne neben ihm nach oben zu ziehen, versuchen auf den Füßen stehen zu bleiben. Doch seine Beine waren wackelig, gaben einmal nach bevor er sich wieder mit all seiner letzten Kraft nach oben zog.
Er schluckte schwer, erkannte die Umgebung als den Park, in dem er so oft schon war.
Der kalte, leere Park der ihn immer wieder heimsuchte. Er sah den Platz, auf dem er Yoongi das erste Mal küsste, er sah etwas weiter weg die Bank auf der er sich voller Wut nieder gelassen hatte. In seinen schlimmen Nächten, doch diese nun war die Schlimmste.
Mit humpelnden Schritten, sein Schienbein schmerzte, versuchte er sich an irgendwelche Wege zu erinnern. Wege, die ihn irgendwo hinführen würden wo er sicher war.
Er kannte den Weg zu Hoseoks Wohnung noch auswendig, so oft hatte er ihn mitten in der Nacht aufgesucht. Doch Chiron erinnerte sich an eine Wohnung, die noch näher war: Jins.
Damals, in den betrunkenen Nächten mit Namjoon, hatte dieser ihm oft erzählt wo sein Geliebter wohnte. 'An dem kleinen Brunnen vorbei, dann rechts von dem Donut Geschäft' rief Chiron sich ins Gedächtnis, stapfte kraftlos in diese Richtung. Es kam ihm vor wie Stunden, dabei dauerte der Weg nur knappe fünf Minuten vom großen Park aus.

>Kim Seokjin< stand auf dem kleinen Postfach geschrieben, der Schwarzhaarige hielt sich daran fest ehe er versuchte die Klingel zu betätigen. Ein schrilles, nervtötendes Geräusch ertönte. Chiron hatte keine Ahnung wie spät es überhaupt war.
Er wartete einige Minuten, klingelte dann erneut.
Ein kurzes Piepen gab die Sprechanlage von sich, ehe Jins verschlafene Stimme ertönte: ,,Wer ist da?''
,,Ch-Chiron.'', sagte er, benommen und versuchte zumindest eines seiner Augen offen zu halten.
,,Chiron? Es ist halb fünf Uhr morgens, was ist los?''
,,N-Na..Namjoon.'', kam es aus ihm, unverständlich und er leckte sich wieder über die verletzte Lippe.
,,Bist du betrunken?'' Es herrschte Stille, viel zu lange hätte Chiron gebraucht seinen Zustand zu erklären. ,,Man, Chiron. Deine Aktionen sind echt unüberlegt, Namjoon schläft. Er hatte harte Tage, komm morgen wieder.'', waren die letzten Worte ehe der kurze Piepton wieder ertönte.

~Irgendwie konnte ich es nachvollziehen. Warum sollte er mich rein lassen, bei all dem was ich ihm und Namjoon bei unserem letzten Treffen an den Kopf geworfen hatte. Ich war ein Nichtsnutz, ein Taugenichts und er wusste das. Ohja, Kim Seokjin wusste das.~

Länger, einige Minuten blieb Chiron unter der Überdachung vor Jins Wohnung stehen. Starrte auf das Schild am Postfach, schloss erschöpft die Augen.
Er hatte keine Kraft mehr, er wollte nur schlafen bis alles wieder in Ordnung war. Bis alles vorbei war.
Mit einem Ruck stieß er sich wieder von der Wand ab, an der er sich fest gehalten hatte, und stapfte weiter. Er ging weiter durch diese kalte, einsame Nacht unter dem hellsten Sternenhimmel, den er je gesehen hatte.

~Wäre es mir nicht so gegangen, wie's mir eben ging, hätte ich diesen Himmel schön genannt.~

Wie gerne wäre er mit Yoongi durch die Gassen gestrichen, Hand in Hand, den Himmel bewundernd. Wie gerne hätte er ihn nun bei sich gehabt. Doch der Weg zu ihm war schwer.
Das nächste Apartment, das er erreichte war das, in dem Hoseok wohnte.
So oft hatte er betrunken, unter Drogen oder einfach nur traurig davor gestanden und hatte Hoseok aus dem Bett geklingelt. Ein Blick auf sein Handy verriet ihm aber, dass er ihn definitiv nicht anrufen konnte.
Und somit überlegte er einige Zeit, fragte sich ob er wirklich das halbe Haus wecken sollte. Fragte sich, ob sein Zustand es wert war anderen ihren wohl verdienten Schlaf zu rauben.
Er war es nicht, dachte er sich und ließ sich dumpf auf die Bank neben der Eingangstür fallen.
Seinen Kopf, der wie wild brummte, ließ er hängen und versuchte mit geschlossenen Augen wieder zu sich selbst zu finden.
Er lebte, doch er fühlte sich innerlich leblos.
Er wartete, ohne Uhr und ohne überhaupt die leiseste Ahnung wie lange er warten müsste.
Und bevor er ins Land der Träume entwischen konnte, auf der Bank erfror, öffnete sich die Tür neben ihm und eine Frau Mitte vierzig stand plötzlich vor ihm.
,,Ach du meine Güte.'', sagte sie erschrocken, hielt sich die Hand vor den Mund. ,,Warum sitzt du denn hier? So zerstört und frierend.''
Chiron sah zu ihr auf, betrachtete ihr gelocktes Haar und ihre besorgten Augen. Sie schien entweder eine Frühaufsteherin zu sein oder zur Arbeit zu müssen. Chiron dachte nicht näher darüber nach, konnte nicht mal einen normalen Gedanken fassen.
,,Entweder du wartest auf jemanden, der hier drin wohnt.'' sie zeigte dabei demonstrativ auf das Gebäude, in dem Hoseok wohnte ,,oder du sitzt zum Spaß total verprügelt hier rum.''
Sie betrachtete Chirons verletztes Auge näher und zischte dann mitfühlend. ,,Das sieht nicht gut aus, hast du denn kein Handy um Jemanden anzurufen?''
Chiron kramte sein Handy aus seiner Hosentasche, hielt es vor ihre Nase und sie seufzte kläglich. ,,Sag mir auf wen du wartest und ich rufe denjenigen an.''
,,J-Jung Ho-Hoseok.'', brachte er heraus, ehe er sich vor Anstrengung an die schmerzenden Rippen fasste.
,,Ach, dachte ich mir schon.'', murmelte sie, während es so aussah als würde sie seine Nummer wählen. Sekunden später hielt sie ihr Handy an ihr Ohr, wartete eine Zeit lang.
,,Hallo Hoseok. Ich denke dieser Junge hier vor unserem Haus gehört zu dir. Schwarze Haare, sieht ziemlich zerschlagen aus und du solltest ihn entweder schnellstens ins Krankenhaus bringen oder gut versorgen.''
Chiron hörte nicht, dass Hoseok geantwortet hatte, stattdessen hatte dieser aufgelegt und zwei Sekunden später ging im Gang ein Licht an. Sofort schoss Chirons Kopf in diese Richtung, er hätte heulen können so froh war er als er Hoseok im Pyjama an der Tür sah.
Hoseok war immer schon seine Rettung gewesen.
Der Schwarzhaarige versuchte aufzustehen, humpelte etwas unbeholfen zu dem Rothaarigen. ,,D-a-anke.'', murmelte Chiron noch, schenkte der Frau ein warmes Lächeln.

One More Light | BTS √Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt