Kapitel 26

384 33 4
                                    

Unsere Zungen spielten weiter ein kämpferisches Spiel und wir versanken immer mehr in den Kissen als mein Handy klingelte. Mein reguläres Handy. Geschockt löste ich mich geräuschvoll von Matzes Lippen und versuchte so schnell wie möglich mein Handy aus der Hosentasche zu fischen.
Mein allseits bekannter Klingelton von Snoop Dogg dröhnte durch das kleine Holzhäuschen und ich spürte wie mir das Blut in die Wangen schoss.
Matze kannte meinen Klingelton. Er war schon öfter anwesend gewesen als mein Handy geklingelt hatte.
Mit nervös zittrigen Fingern hatte ich das Handy schließlich herausgefischt und nahm den Anruf an, ohne auch nur auf den Display zu gucken.
"Hallo?", fragte ich und versuchte meinen Blick so gut es ging von Matze fern zu halten.
Ich konnte mir seinen verwirrten Blick gerade einfach nicht antun.
"Erik Schatz", hörte ich die schluchzende Stimme meiner Mutter und sofort saß ich wieder aufrecht.
"Mama? Was ist los? Was ist passiert?", fragte ich besorgt.
Wenn ihr was passiert war, könnte ich mir das niemals verzeihen.
"Erik", schluchzte sie erneut, "dein Vater... Er-... Er hatte in Peru einen Schlaganfall und liegt jetzt im Krankenhaus! Er ist momentan noch im Koma und weil die Leute keinen Kontakt mit der Krankenkasse aufnehmen können, beziehungsweise die die Rechnungen nicht zahlen kann, müssen wir jetzt zehntausend Euro für den Einsatz und den Krankenhausaufenthalt bezahlen!"
Ich war sprachlos. Mein Vater lag Kilometer von Kilometern weit von mir entfernt in einem lebensbedrohlichem Koma und ich war hier mit Matze, meinem Teamkollegen und ließ mich von ihm weichvögeln.
Eine Träne rollte meine Wange hinab und sogleich folgte ihr eine Zweite.
"Dean?", fragte Matze vorsichtig und sah unsicher zu mir.
Ich erwiderte seinen Blick während weitere Tränen meine Wangen hinab rollten und meine Sicht langsam glasig wurde.
"Ich nehme den nächsten Flug nach Peru und werde bei deinem Vater bleiben bis er wieder ausreisen kann", informierte mich meine Mutter.
"Ich bezahl dir den Flug und die Unterkunft", antwortete ich beinahe sofort, auch wenn ich wusste, dass ich nicht das Geld hatte ihr beides zu bezahlen.
"Danke mein Schatz. Ich meld mich wenn ich bei deinem Vater angekommen bin. Mach dir nicht zu viele Gedanken. Es wird alles wieder gut. Ich liebe dich mein Junge", entgegnete meine Mutter mit weinerlicher Stimme und mich überkamen wieder die Tränen während ich mir auf die Unterlippe biss.
"Ich liebe dich auch Mama. Guten Flug und pass bitte auf dich auf", schluchzte ich und kurz darauf hatten wir beide aufgelegt.
Noch immer geschockt starrte ich in die Leere und ließ mein Handy von meinem Ohr sinken.
Mein Vater hatte einen Schlaganfall. In Peru. Er lag im Koma. In Peru. Und wir mussten alle Kosten übernehmen, die sowohl meine Eltern als auch ich nicht übernehmen konnten.
"Dean, hey", holte mich Matze wieder aus meinen Gedanken und legte vorsichtig eine Hand an meine Wange um mir die Tränen wegzuwischen, "was ist passiert?"
Seine blauen Augen waren auf mich fixiert und er sprach mit so viel Ruhe in der Stimme.
"Mein Vater er-... Er hatte einen Schlaganfall..."
"Oh Gott... Dann lass uns schnell zu ihm fahren!", schlug Matze vor, doch ich schüttelte nur den Kopf.
"Nein. Er liegt im Koma. In Peru. Er hatte den Schlaganfall bei einer Geschäftsreise", informierte ich ihn und er schien seine Hand an meiner Wange vor Schock zu senken.
"Oh Gott...", murmelte er nur, "das tut mir so leid Dean."
Kurz darauf spürte ich auf einmal Matzes Arme um mich. Er hatte mich in eine Umarmung gezogen und drückte mich fest gegen sich. Meine Augen wurden daraufhin wieder glasig und mir stiegen die Tränen erneut empor. Hilflos und verloren klammerte ich mich an ihn und weinte einfach in seine Schulter. Ich war so froh, dass er da war. Ohne ihn wäre ich in diesem Moment wahrscheinlich durchgedreht.
Beruhigend strich er mir über den Rücken und drückte mich an sich, bis meine Tränen wieder einigermaßen versiegt waren.
"Besser?", hauchte er leise an mein Ohr und ich nickte ehe ich mich wieder ein Stück von ihm löste.
"Komm. Wir gehen erstmal zu mir und da bekommst du eine heiße Schokolade. Außerdem musst du deine Maske nochmal nachziehen. Durch das Weinen ist alles komplett verschmiert."
Erneut überkam mich bei den Worten die Panik. Was wenn meine Maske so verschmiert war, dass er erkannt hatte, wer ich war? Oder hatte er anhand des Klingeltons schon längst gewusst wer ich wirklich war?
"Keine Sorge. Es sieht immer noch unkenntlich aus", beruhigte mich Matze.
Er griff nach seinen Shorts und meinem Slip, den er mir anschließend reichte.
"Danke...", krächzte ich hervor und begann mich wieder anzuziehen.
Nachdem wir beide wieder unsere Kleidung an hatten, packten wir den Essenskorb, die Decke und die Kissen zusammen und begaben uns zu Matzes Auto.
"Dein Klingelton. Der kommt mir übrigens so bekannt vor", äußerte Matze als wir beide angeschnallt in seinem Auto saßen.
Ich antwortete daraufhin nichts und Matze startete den Motor um zu seinem Haus zu fahren.
"Du kannst dich ruhig eine Runde duschen gehen. Ich geb dir ein paar Sachen von mir und dann bleibst du die Nacht erstmal bei mir. So aufgewühlt kann ich dich nicht durch Dortmund laufen lassen", meinte er als wir sein Haus betreten hatten, "und keine Widerrede. Du bleibst."
"Aber ich-", setzte ich an, aber Matze unterbrach mich sofort.
"Nichts 'aber'. Du bleibst und Punkt. Wenn du nicht willst, dass ich dich erkenne, kann ich dir gerne ein Kopftuch oder blaue Sprühaarfarbe geben."
"Aber meine Maske-"
"Ich hab noch eine Schlafmaske von meiner Ex-Freundin da, die du benutzen kannst", antwortete Matze sogleich, "du wirst hier nicht vor morgen aus dem Haus kommen Dean. Also hüpf jetzt unter die Dusche und ich bring dir ein paar Sachen rein."
Ich merkte, dass ich keine Chance hatte mich meinem Teamkollegen zu widersetzen, auch wenn es ein unheimlich großes Risiko birgte hier zu übernachten. Matze würde mich beinahe ohne meine Maskerade sehen und die Wahrscheinlichkeit aufzufliegen war unheimlich groß.
Ich nickte schließlich nur und nahm die Schritte hinauf zu Matzes Schlafzimmer, um dort das angrenzende Bad zu betreten. Ich schnappte mir ein Handtuch und betrachtete mich zunächst im Spiegel.
Meine Schminke war wirklich komplett verlaufen und ich sah aus als hätte ich bis eben drei Stunden lang geheult. Meine Augen funkelten durch die Kontaktlinsen grell-gelb und meine Brille saß schief auf meiner Nase. Das Pink in meinen Haaren war auch nicht mehr so intensiv wie zu Beginn und ich spürte auch wie sich das Tape unter meinem Shirt langsam abrollte.
Nach und nach zog ich mir meine Kleidungsstücke aus, bis ich schließlich nackt vor dem Spiegel stand. Noch einmal atmete ich tief durch, senkte den Kopf und ging tief in mich.
Genau in diesem Moment spürte ich einen muskulösen Arm um meinen Bauch und kurze Zeit später ein Paar Lippen ganz zart und sanft an meinem Schulterblatt. Ich hob den Kopf wieder an und drehte mich ein Stück um Matze in die Augen sehen zu können. Dieser lächelte mich nur liebevoll an.
"Die Klamotten liegen auf dem Klodeckel. Nimm dir so viel Zeit wie du brauchst. Ich mach uns derweil was zu essen", hauchte er und kurz darauf spürte ich wieder seine Lippen auf meinen.
Seine Küsse waren inzwischen zu einem beständigen Teil in meinem Leben geworden. Sie gaben mir Rückhalt, Schutz und irgendwie auch Geborgenheit. Es tat unheimlich gut Matze zu küssen, da er dafür nie mehr im Gegenzug verlangte.
Ich erwiderte den Kuss und ließ ihn sich nur ungern wieder von mir lösen.
"Bis gleich", hauchte er und damit war er aus dem Raum verschwunden.
Erneut betrachtete ich mein Spiegelbild und seufzte. Mein Leben war ein reines Chaos und es gab keine Sicht auf Besserung.
Ich wand mich letztendlich vom Spiegel ab und betrat die große Dusche. Das angenehm warme Wasser auf meinem Rücken würde mir vielleicht helfen meine Gedanken etwas besser sortieren zu können.

A Secret To KeepWo Geschichten leben. Entdecke jetzt