Kapitel 3

244 19 41
                                    

Mirabelle

„Carlee und ich saßen in dicken Decken eingewickelt neben einem Kamin. Der Stoff war kratzig und erinnerte mich an alte Säcke, doch keiner von uns wagte sich zu beschweren.

Amaranda war schließlich das größte Glück, dass uns zugestoßen war. Zusammen mit ihren beiden Enkeln lebte sie in einem schlecht isolierten Haus, das nur der Kamin warmhielt. Ihre Hände waren schwielig, sowie die der Kinder, die kaum sechs Jahre alt sein konnten und ich sah, wie die beiden Kleinen bewundernd unsere glatten Finger betrachteten.

Amaranda erhob sich zitternd von ihrem Stuhl und Carlee sprang mit ihr auf. Sie legte der alten Frau ihre Hände auf die Schultern und lächelte.

„Ich mache das.", sagte sie und ging in die Küche, in der Amaranda uns eine Suppe aufgewärmt hatte. Es klirrte, dann kam sie schließlich mit mehreren Schüsseln wieder.

Sie drückte erst Amaranda, dann den beiden Kindern und schließlich mir eine in die Hand und stellte ihre eigene auf den Boden.

Aus ihrer Satteltasche beförderte sie ein Rosinenbrot und brach es in zwei ungleiche Teile. Den größeren gab sie Amaranda.

Als die Kinder die Rosinen sahen quiekten sie begeistert, nahmen das Brot an, wie ein heiliges Relikt. Der kleine Junge schnappte es sich und rannte damit unter einen Tisch, wie ein Kätzchen, dass seine Beute in Ruhe verspeisen wollte.

Marina, seine ältere Schwester strich sich das Haar aus der Stirn und blickte zu mir auf. Sie sah aus, als würde sie mir beweisen wollen wie erwachsen sie doch war. Langsam begann sie an dem Brot zu knabbern, doch man konnte ihr ansehen, dass auch sie verzückt lächelte.

Der Sturm rüttelte an den Fenstern und die Kälte drang ins Haus, doch ich fühlte mich hier sicher.

„Ihr seid Magierinnen, nicht wahr?", brach Amaranda das Schweigen uns sah uns an. Ich biss mir auf die Lippen und selbst Carlee zögerte. Wieder entstanden in meinem Kopf die dunkelsten Szenarien und ich spürte bereits die Ketten auf der Haut, mit denen die Soldaten uns verhafteten und zurück nach Cylnie brachten.

Doch Amaranda lächelte bloß und zeigte uns die Einkerbung an ihrem Handgelenk, mit dem der alte König von Norda damals alle Magier gekennzeichnet hatte. „Ich erkenne Magie doch schon von weitem. Euren Glanz solltet ihr wohl besser zu verbergen lernen, wenn ihr auf der Flucht seid."

Ich verschluckte mich fast an meiner Suppe und Carlee setzte ihr charmantes Lächeln auf. „Wir sind doch...", doch Amaranda unterbrach sie.

„Keine Angst, ich werde nichts sagen. Ihr seid hier richtig, dass hier scheint wohl ein Nest aus Deserteuren zu werden." Sie tunkte ihr Brot in die Suppe und Marina neben ihr ließ uns mit ihren großen, grauen Augen nicht los.

„Wie meinst du das?", fragte Carlee und Amarandas Lächeln wurde traurig.

„Ich habe damals desartiert, der Mann meiner Tochter hat es getan und nun ist mein Enkel Nathan ebenfalls an ihrem Hof, mal sehen wie lange das gutgeht."

Der kleine Junge, der bisher zu schüchtern war mir seinen Namen zu sagen, kroch wieder hervor und Krümel hafteten auf seinem Pullover. Er beäugte neidisch seine Schwester, machte drei Schritte vorwärts und klaute ihr das Brot. Dann flitzte er in die Küche und Marina rannte ihm kreischend hinterher. Es tat irgendwie gut diese kindischen Spielerein zu sehen und die Anspannung ließ ein wenig von mir ab.

„Gib Marina das Brot zurück.", rief Amaranda und wand sich dann wieder uns zu. Sie schnalzte mit der Zunge. „Wir wissen nicht einmal ob unser Junge noch lebt."

„Was ist mit den Eltern der beiden?", fragte ich leise und war mir dabei nicht ganz sicher, ob diese Frage angemessen war. Ich begann meine geflochtene Strähne aufzulösen, nur um sie dann wieder zusammen zu flechten.

AbluvionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt