Kapitel 10

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Janeik

„Vor mir stand ein Mädchen mit einem langen Zopf und schneeweißer Haut. Sie hatte die blausten Augen, die ich jemals gesehen hatte. Als hätten sich alle Meere, Seen und Flüsse darin getroffen.

Ihre Lippen waren schmal und rosig, so wie ihre Wangen. Die Sommersprossen, die sie früher gehabt hatte waren völlig verschwunden.

Ich kannte sie.

„Mira?" erstaunt musterte ich sie und sie verbeugte sich. „Prinz Janeik." Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Sie hielt ihren Blick gesenkt. „Früher hast du mich auch nur Janeik genannt." „Früher waren wir auch nicht in einem Schloss." „Dann nenn mir trotzdem wieder so. Ansonsten muss ich es dir befehlen." Sie lachte leise.

„Du bist hübsch, wenn du lachst." Ich musste Grinsen, als ihre Wangen noch rosiger wurden. Sanft strich sie über das Fell ihres weißen Pferdes. Unter all den anderen Pferden im Stall wirkte es seltsam fremd. Fast so wie sie.

Aber was tat sie hier? War sie sogar vielleicht mit den anderen Abgesandten gekommen? Ich realisierte, dass ich sie wahrscheinlich nicht bemerkt hatte, als die Konferenz stattgefunden hatte.

„Wohin wolltest du reiten?" Mira nahm mich mit ihren strahlenden Augen in den Blick. „Ich weiß nicht. Einfach weg." „Das klingt gut. Darf ich dich begleiten?" Sie schien nachzudenken und nickte. Ich zog Aragon durch das Tor aus dem Stall und schwang mich auf. Auch sie tat es und wir ritten den Berg hinunter in den Wald.

„Warum bist du hier?" „Ich wurde als Abgesandte hierhergeschickt." Obwohl es kaum möglich war, schien sie noch blasser zu werden.

„Ich hatte immer gedacht, dass du Magierin werden würdest." „Ja, das hatte ich auch gedacht." Erwiderte sie knapp. „Was ist passiert?" „Die Königin hatte mich zu anderen Zwecken gebraucht." „Und es macht dir nichts aus?" „Es ist in Ordnung. Wenn ich diese Aufgabe erledige, dann wird sie mich gut belohnen." Ich sah, wie sie ihre Lippen aufeinanderpresste, bis sie weiß wurden.

Der Wind wurde stärker und die Bäume um uns herum begannen zu knarren. „Du hast dich so verändert, seit wir in der Schule waren." „Du dich auch." „Du bist hübscher geworden." Ich grinste. „Ist das der Grund, warum du nun mit mir sprichst?" „Ich hätte wahrscheinlich auch damals mit dir gesprochen, hättest du deine Zeit mal anders verbracht, als die ganze Zeit zu lernen." Sie lächelte matt und sah mich an.

„Du warst mit Gina zusammen." „Und du mit Lysander." „Nein das war ich nicht! Auch wenn ihr das immer alle gedacht habt." Ich feixte und sie begann zu schmunzeln.

„Nein, ganz im Ernst. Wir waren bloß Freunde." „Ich hatte den Eindruck, dass er der einzige war, mit dem du sonst noch deine Zeit verbracht hast. Hast du überhaupt geschlafen?" übertrieben gekränkt sah sie mich an. Dann fing sie an zu lachen. „Ich hatte es eben nicht im Blut Magie zu erlernen." „Aber du warst – oder bist, ich weiß es nicht,- so begabt." Sie wurde wieder ernst und schüttelte ihren Kopf.

„Nein. Begabt war ich nie, bloß ehrgeizig. Aber trotz allem war ich immer ein Nefarier. Und das haben alle, außer Lysander, Gina und Elly an mir verachtet." Ein Schweigen breitete sich über uns wie ein Tuch aus.

Der Wind pfiff durch das Geäst und die Bäume begannen sich zu bewegen. Die Stille war mir unangenehm. Auf einmal schämte ich mich dafür, dass ich sie so verurteilt hatte. „Es tut mir leid, dass ich dir nicht die Chance gegeben hatte dich besser kennenzulernen." Sie lächelte traurig.

„Wir können es nicht ändern." Auf einmal überkam mich das enorme Bedürfnis, sie zu berühren. „Und wie geht es dir jetzt?" ihre Stimme war leiser und sanfter geworden. Ich überlegte ein wenig zu lange. „Janeik?" fragte sie plötzlich. „Was?" „Ist alles gut?" „Was... warum?" „Du hast nicht auf meine Frage geantwortet." „Wie lange denn?" sie lachte ruhig. „Fünf Minuten." „Oh. Ja..." ich nickte. „Es geht mir gut." Kam es gezwungen über meine Lippen. Sie schüttelte ihren Kopf.

AbluvionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt