Kapitel 16

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Mirabelle

„Wayne und ich vergaben uns. Alles was zwischen uns stand löste sich auf, denn nur zusammen konnten wir gewinnen, das war uns beiden klar. Denn jetzt, wo wir Rico vergiftet hatten und die Panik aus den Kämpfen der Krieger sprach, hatten wir eine Chance unser Land zurück zu gewinnen.

Gemeinsam ritten wir in die Schlachten, nährten unser Volk mit der Hoffnung und eroberten die ersten Regionen wieder zurück.

Dennoch konnte ich all die Leben nicht vergessen, die wir mit jedem Kampf verloren. Gewinnen würden wir niemals, nur das zurückbekommen, was uns sowieso gehörte. Janeik hatte seine Armee angeführt, doch nun, wo er fehlte, hatte es ein Loch in ihre Überlegenheit gerissen.

Eine weitere Sache, die unablässig an mir nagte war, dass sie Nathan gefangen genommen hatten, sowie tausend weitere von meinen Leuten.

Gina legte mir ihre Hand auf meine. Sie war eine der wenigen gewesen, die aus Nathans Gefolge zurückgekehrt waren. Die Stimmung am Feuer war am Tiefpunkt. Es blickten mich müde und traurige Gesichter an, die nach Hoffnung hungerten. Die Worte der Reden hatten sie genährt. Doch ich wusste nicht, was ich noch sagen konnte. Es sollten keine Lügen sein. Von den Vagabunden war ich es gewohnt, dass sie sich gegenseitig Geschichten erzählten und Lieder sangen. Warum also taten sie es nicht?

Ich drehte mich zu Nevis, welcher neben mir saß. Er war strikt dagegen, dass ich mich zum einfachen Volk ans Feuer setzte, doch ich wollte diese Barriere zwischen Adel und Bauern nicht mehr. Wie auch immer, wir allen waren dieselben Menschen.

Nevis wirkte nun, ohne seine Leibwächtertracht nicht mehr so stark und angsteinflößend, wie ich ihn sonst immer gesehen hatte. Mir waren vorher auch nie seine warmen Augen aufgefallen.

„Warum erzählen sie sich keine Geschichten? Warum sind sie so still?" „Sie kennen sie Geschichten nicht." Wisperte er und ich sah mich um. „Wieso?" „Weil die meisten unter ihnen und auch ihre Vorfahren nie schreiben und lesen gelernt haben. Die Geschichten sind verloren gegangen. Nicht mal im Schloss wurden sie noch erzählt. Woher kennt ihr sie alle?" Man hatte sie mir im Traum zu geflüstert.

„Durch meinen Bruder. Er hat die alten Schriften und Völker studiert. Und du? Kennst du sie?" Er nickte.

„Meine Mutter hatte sie mir damals in den langen Wintern erzählt." „Man darf sie nicht verlieren." Beschloss ich und begann mit meinen Worten, die Aufmerksamkeit der Menschen auf mich zu ziehen. Aber diesmal war es keine Erdrückende Aufmerksamkeit, welche mit dem Zweifel und der schweren Verantwortung verbunden war. Diesmal stärkten mich ihre glänzenden Augen.

„In der Nacht eines grausamen Sturms kam ein Kind zu Welt, ein einfacher Sohn eines Bauern, welcher den Namen Isian trug. Er wuchs heran und beschloss dem König zu dienen. Er und die junge Prinzessin Norda verliebten sich ineinander. Doch sie wussten, dass sie ohne das Einverständnis von Nordas Vater nicht zusammenbleiben konnten.

Doch ihr Vater akzeptierte einen einfachen Bauernjungen nicht für seine Tochter. Er schickte ihn los, großes zu vollbringen und dem Land zu dienen. Isian war bereit alles zu tun, um nur mit Norda zusammen zu sein. Er wurde Soldat und schnell zum General befördert. Doch es reichte dem König nicht, niemand war gut genug für sein Kind, denn er wollte sie nicht verlieren. Isian gab all die Kriege auf und ließ sich um Priester salben.

Jedoch hielten die beiden die Trennung nicht aus. Zusammen mit den anderen Priestern gründete er ein neues, heiliges Land, welches schnell größer wurde.

Wieder ging er zu Nordas Vater und bat ihn um die Hand seiner Tochter. Wütend schickte der König ihn fort. Die beiden ertrugen es nicht mehr und er nahm sie auf seinem Pferd mit zu einem der Tempel. Sie baten alle Priester sie zu trauen, doch niemand hatte genug Mut sich dem König zu wiedersetzen. Niemand bis auf Isians Freund, Dormetalius. Er erkannte die unendliche Liebe der Beiden."

Ich machte eine bedeutsame Pause und ließ für einen Moment das Knistern des Feuers auf mich wirken. Ich spürte, wie meine Augen feucht wurden. Eine ewige Liebe würde niemals existieren. Man konnte nicht ewig glücklich sein.

Sie dachten, ich würde an Wayne denken. Meinen Geliebten, der bereits schlief. Doch sie hatten wohl niemals erwartet, dass ich den Bruder ihres größten Feindes im Sinn hatte.

„Als jedoch der König davon erfuhr wurde sein Herz voll Hass und Trauer erfüllt, doch er konnte eine göttliche Bindung nicht trennen. Nur Dormetalius konnte es. Doch ließ er alle Folter über sich ergehen und stab schließlich für die Beiden.

Der Zorn der Götter erschlug Nordas Vater und sie und Isian konnten endlich ungehindert zusammenleben. Norda gebar ein Kind, welchem sie den Namen Oves gaben. Es wurde in Liebe von den Beiden aufgezogen, die nun Herrscher über zwei Länder waren. Oves wurde, wie sein Vater, ein Priester und begann durch das Land zu ziehen, um den Menschen Segen zu bringen.

Eines Tages überschritt er die Grenzen und kam in ein unbekanntes Land. Er ließ sich mit ganzem Herzen auf das fremde Volk im Westen ein und wurde ein Teil von ihnen. Oves lehrte ihnen all seine und die Weisheiten der Priester aus seiner Heimat. Auch die Geschichte seiner Eltern erzählt der den Menschen. Sie begannen ihn zu lieben und er heiratet die Prinzessin des Volkes. Norda und Isian hatten das Land die ganze Zeit gerecht und friedlich regiert und schliefen alt und gebrechlich zusammen ein. Nach ihrem Tod gab man den Ländern ihre Namen. Auch Oves ließ die Liebe verbreiten, nichts sollte sie aufhalten und der Westen wurde ebenfalls nach ihm benannt.

Dormetalius wurde nach seinem Tod von den Göttern empfangen und sah und sieht noch heute den Liebenden zu. Denn er weiß, was Liebe wirklich bedeutet und was sie einen Kostet. Die ganze Zeit hatte auch er Norda geliebt und wird es ewig tun." Meine Stimme erstickte, dennoch schien sie noch weiter in den Köpfen der Leute zu hallen.

Es war totenstill, nur ein leises Knistern war zuhören. Und dann meine Schritte, die mich weg vom Feuer trugen."

AbluvionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt