Wunden müssen versorgt werden

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Mia betrat das unbewohnte Wohnhaus und stieg die Treppen hinauf bis zum zweiten Stock. Dort ging sie in einen Gang und direkt ins erste Zimmer. Es war verwüstet, wie wahrscheinlich alle Zimmer in diesem Gebäude. Das Mädchen ging ins Bad und betrachtete sich in einem zersprungenen Spiegel. Ihre blonden Haare im Zopf waren zerzaust, die Lippe war aufgesprungen und blutete, ihre blauen Augen waren rot vom vielen Weinen, ihr Gesicht war schmutzig und an ihrer Stirn links oben klaffte eine große Wunde, vom Stein, den Hugo ihr gegen den Kopf geschlagen hatte. Das Blut ist an der Seite des Gesichts herabgelaufen und hat einen großen roten Fleck auf ihrer Schulter hinterlassen. Auch eine paar Haarsträhnen waren mit Blut durchtränkt. Mia spürte wieder diesen stechenden Schmerz im Bauch und schaute an sich herab. Dort war ein Blutfleck zu sehen. „Ah" stöhne das Mädchen. Eine Kugel, die Heinrich Buchner abgeschossen hatte, war wohl durch Jasons Körper durchgeflogen und hat Mia, die hinter ihm stand, ebenfalls getroffen. Durch den Tritt ihres Bruders ist sie noch tiefer in ihren Bauch gedrungen. Mia war zu erschöpft, um sich großartig um die Wunde zu kümmern. Außerdem würde sie ohne dem entsprechenden Werkzeug nicht sehr weit kommen. Sie zog ihre Jacke aus. Die brauchte sie ja nun nicht mehr. Sie ging aus dem Bad und kauerte sich in eine Ecke. Gedanken an ihren Vater - und ihre Mutter - kamen ihr ins Gedächtnis. Nun war nicht nur ihre Mutter tot, sondern auch noch ihr Vater. Er war oft auf irgendwelchen Missionen gewesen und selten bei ihr, aber nach dem Tod ihrer Mutter hat Mia sich umso mehr an ihn geklammert - und an Natasha und Clint. Jedes Mal, wenn Jason auf eine Mission gegangen ist, konnte sie nicht schlafen, weil sie Angst um ihn hatte. Sie hatte Angst, dass auch er, wie schon seine Frau umgebracht werden könnte. Sie hatte Alpträume von dem Tod ihrer Mutter und das auch Jason sterben würde, weshalb sie dann oft bei Natasha schlafen durfte. Clint und Natasha haben zur Aufmunterung dann oft mitten in der Nacht Brett- oder Kartenspiele mit ihr gespielt, eine Nachtwanderung gemacht oder ihr etwas vorgelesen bis sie wieder eingeschlafen ist. Nun kamen Mia die alten Erinnerungen wieder hoch und sie dachte an die Angst, die sie um ihren Vater hatte. Jetzt war es eingetreten, wovor sie sich so sehr gefürchtet hatte: Jason war tot. Er würde nie wieder kommen, sie würde ihn nie wieder sehen, nie wieder umarmen können. Mia fing heftig an zu schluchzen und schlang einen Arm um ihre angewinkelten Beine, den anderen legte sie auf ihren Kopf, den sie zwischen ihren Knien vergraben hatte. Sie konnte nicht aufhören zu weinen. Ihr war alles egal. Sie fühlte sich so hilflos. Hilflos mit dem so starken Schmerz umzugehen. Es war ganz genau derselbe Schmerz, der beim Verlust ihrer Mutter ausgelöst wurde, wenn nicht sogar schlimmer. Als ihre Mutter gestorben war, hatte Mia sich geschworen, alles zu tun, um so eine erneute Situation zu verhindern. Aber jetzt hatte sie versagt, nur elf Jahre später.
„Hey....Mia?". Eine Stimme riss das Mädchen aus ihren schmerzhaften Gedanken. Eine Hand legte sich vorsichtig auf ihre Schulter. „Mia, es tut mir so leid." Es war Natasha. Mia hob traurig den Kopf und sah in Natashas mitleidiges Gesicht. „Komm her", sagte die Rothaarige und nahm sie in eine sanfte Umarmung. Mia schluchzte in Natashas Armen. Ihre Augen brannten schon vom vielen Weinen. Natasha hätte ihr gerne gesagt, dass alles wieder gut wird. Aber das war wahrscheinlich das Letzte, woran Mia im Moment glauben würde. „Ich bin für dich da, Mia", sagte sie anstattdessen. „Danke, Natasha", schluchzte das Mädchen leise. Sie blieben noch eine Weile in dieser Umarmung, als Natasha Mia ein Stückchen von sich drückte, damit sie sie genauer betrachten konnte. Auf Mias dunkelblauen T-Shirt war ein dunkler Blutfleck an der linken Schulter. Natasha sah etwas hoch und bemerkte, dass er von der Wunde am Kopf stammte. Mias linke Wange war mittlerweile blutverschmiert. „Lass mal sehen", bat die Rothaarige und strich Mias Haare über der Wange zurück, um die Wunde besser sehen zu können. „Da hast du aber ganz schön was abbekommen", bemerkte sie. Das Mädchen schnaufte nur. „Tut das weh?" fragte Natasha und berührte Mias Stirn in der Nähe der Wunde. Die Jüngere zuckte zusammen und sagte, ihre Reaktion überspielend: „Es geht". „Das sehe ich" entgegnete Natasha und lächelte schief. „Komm mal mit", sagte sie daraufhin, stand auf und reichte dem Mädchen die Hand. Mia nahm sie und versuchte aufzustehen, wodurch sie das Stechen im Bauch wieder durchfuhr und sie ein Stöhnen nicht unterdrücken konnte. Natasha musterte sie besorgt. „Alles ok?" fragte sie. Mia nickte. Plötzlich spürte sie die ganze Erschöpfung vom Kampf, aber auch von der Trauer und wie müde sie auf einmal war. Die Rothaarige nahm das Mädchen an der Hand und führte sie zum Bad, wo Mia bereits gewesen war und schaute sich um. Das Mädchen stand im Türrahmen und hielt sich eine Hand vor den Bauch, da er so wehtat und auch, um den Blutfleck zu verstecken. Sie musste wieder stöhnen und krümmte sich etwas zusammen. Wieso tat die Wunde auf einmal so weh? Natasha drehte sich zu ihr um. „Mia...?" fragte sie und inspizierte das Mädchen genauer. „Was hast du da?" fragte sie weiter und machte mit dem Kopf eine Bewegung in Richtung Mias Bauch. „Nichts", presste Mia unter Schmerzen hervor und stöhnte. „Zeig mal her", sagte Natasha bestimmt und machte einen Schritt in Mias Richtung. „Es ist nichts", entgegnete diese schnell und drehte sich ein bisschen weg. Natasha legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Mia... es ist ok. Lass es mich mal ansehen. Ich will dir doch nur helfen", sagte sie. Mia war zu müde zum Streiten und gab schließlich nach. Langsam nahm sie ihre Hand vom Bauch weg und sah sie an. Frisches Blut klebte an ihrer Hand, was darauf schließen ließ, dass die Verletzung immernoch bluten musste. Besorgt sah sich Natasha die Wunde an. „Komm, setz dich mal hier hin", forderte sie Mia auf und führte das Mädchen auf die Toilette, wo sie sich drauf setzte. Dort zog Black Widow ihr das T-Shirt etwas hoch, um besser einschätzen zu können, wie ernst es war. „Du hast Glück gehabt. Die Kugel steckt nicht allzu tief. Aber die Wunde blutet stark. Wir müssen die Kugel möglichst schnell da rausholen, sonst verlierst du immer mehr Blut", sagte Natasha monoton. „Hey, alles klar bei euch?" hörte Mia plötzlich Clints Stimme. „Hey Clint." sagte Natasha, „ich könnte deine Hilfe brauchen, Mia hat sich eine Kugel eingefangen. Wir müssen sie möglichst schnell entfernen". „Eine Kugel?" fragte er überrascht nach und sah das Mädchen besorgt an. „Ist nicht so schlimm..." sagte Mia, um möglichst wenig Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. „Das lass mal uns beurteilen" konterte Natasha, zwinkerte ihr zu und ging zum Waschbecken, um ein Tuch nass zu machen. „Darf ich mal sehen?" fragte Clint das Mädchen. Dieses nickte und zog das T-Shirt ein Stück hoch, fühlte sich aber sichtlich unwohl dabei. Sie stand nicht gerne im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Clint zog scharf die Luft ein und legte eine Hand auf Mias Schulter. „Wir bekommen das wieder hin", munterte er sie auf. Als Natasha mit dem nassen Tuch zurück zu Mia kam, tupfte sie das Blut um die Wunde herum ab, um bessere Sicht auf die Kugel zu bekommen. „Ich schaue mal, ob ich hier irgendwo einen Erste-Hilfe-Kasten finden kann", sagte Clint und verließ nach einem Nicken von Natasha den Raum. Mia war so erschöpft, dass sie auf der Stelle hätte einschlafen können. Allerdings tat die Wunde zu stark weh und außerdem würde sie sowieso nicht einschlafen, selbst wenn sie die Möglichkeit hatte, weil sie den Tod ihres Vaters erstmal verdauuen musste. Bei dem Gedanken an Jason fing Mia wieder an leise zu schluchzen. Natasha, die vor ihr in der Hocke saß, um Mia die Wunde am Kopf zu reinigen, schaute sie besorgt an. „Hey... Mia", fing sie an, „Es tut mir so leid, was mit deinem Vater geschehen ist. Er stand mir auch sehr nahe, er war so ein guter Mensch. Deswegen werde ich ihn auch immer so, als guten Freund und Anführer, in Erinnerung behalten. Wir alle werden das." Sie strich ihr über die Haare und fügte hinzu: „Mia, du weißt, das ich jederzeit für dich da bin." Die Rothaarige nahm das Mädchen, so weit es die Wunde möglich machte, in eine Umarmung. „Ja" schluchzte Mia. Sie merkte, wie wohltuend diese Umarmung von einer für sie so wichtigen Person nach so einem harten Tag war. Clint kam gerade die Tür wieder rein. Tatsächlich hatte er einen Erste-Hilfe-Kasten gefunden. „Mia...?" fragte er, als er das Mädchen so sah. Weinend lag sie in Natashas Armen. Ihre Augen waren rot mit tiefen Rändern, aber trotzdem war der Rest des Gesichts sehr blass. An ihrer linken Stirnseite klaffte ein blutige Wunde und auch ihre Hände waren wund und bluteten an vereinzelten Stellen. „Das mit Jason tut mir leid", sagte auch Clint und schaute traurig zu Boden. „Wir werden ihn rächen, das verspreche ich dir!" versicherte er ihr bestimmt. Natasha löste sich aus der Umarmung und nickte zustimmend. „Aber zuerst müssen wir uns um dich kümmern", fügte sie hinzu und wischte Mia mit dem Daumen eine Träne von der Wange. Clint öffnete den Erste-Hilfe-Kasten und holte eine große Pinzette heraus. „Die kommt uns gerade recht, ich hatte gehofft, dass hier etwas Brauchbares drin ist". Natasha sah Mia ernst an. „Mia, das kann jetzt ziemlich weh tun", sagte sie und nahm Mias Hand, während sie mit dem Daumen beruhigt über ihren Handrücken streichelte. Das Mädchen nickte müde. Noch mehr Schmerzen war das Letzte, was sie jetzt wollte, aber anders ging es nicht. Da musste sie jetzt durch. „Ok, leg dich vielleicht besser auf den Boden, dann komme ich besser an die Wunde ran", bemerkte Clint und streckte ihr eine Hand entgegen, um ihr beim Aufstehen vom Klodeckel zu helfen. Mia nahm sie widerwillig an und versuche genug Kraft aufzuwenden, um jetzt nochmal aufzustehen. Es gelang ihr einigermaßen, auch wenn Clint sie zusätzlich hochziehen musste. Kaum stand Mia auf beiden Füßen, schwankte sie auch schon nach vorne. Natasha bekam das sofort mit und eilte einen Schritt vorwärts, um Mia abzustützen. „Hoppla", sagte Clint und fing sie mit auf. „Hey, ganz langsam Mia", kam es von Natasha und legte sie mit Clints Hilfe mit dem Rücken auf den Boden. Die Rothaarige setzte sich ebenfalls auf den Boden und platzierte den Kopf des Mädchens auf ihrem Schoß. Sie sah mitleidig zu ihr herab und streichelte ihren Kopf. Clint gab Black Widow ein Kissen aus dem Schlafzimmer nebenan und sagte ihr, sie solle Mias Arme festhalten. Natasha lächelte das Mädchen aufmunternd an und legte ihr das Kissen unter den Kopf, bevor sie aufstand, um sich neben Mia zu hocken und ihre Arme festzuhalten. „Bereit?" fragte Clint die Jüngere? Mia nickte stumm. „Du auch?" fragte Clint Natasha. Diese nickte ebenfalls. „Ok, dann wollen wir mal" sagte der Bogenschütze und kurz darauf merkte Mia, wie sich etwas spitzes kaltes in ihre Wunde bohrte. Sie zuckte vor Schmerz zusammen und versuchte sich dagegen zu wehren, doch Natasha hielt ihre Arme fest und sah sie mitleidig an. „Alles wird gut", flüsterte sie ihr zu. Doch das Mädchen nahm das gar nicht richtig wahr und versuchte gegen den starken Schmerz in ihrem Bauch anzukämpfen. „Mia, du schaffst das", versuchte Natasha sie zu beruhigen. Aber ihre Stimme schien Mia auf einmal so unendlich weit entfernt. Ihr Blick verschwamm langsam vor ihren Augen. „Bitte", sagte das Mädchen unter Tränen. „Mia, du hast es fast geschafft! Bleib bei mir!" flehte die Rothaarige mit deutlicher Unruhe in ihrer Stimme. Das war das Letzte, was Mia wahrnahm, bevor sie aufhörte sich zu wehren und langsam in die Bewusstlosigkeit glitt.
„Mia?" fragte Natasha, als das Mädchen sich nicht mehr rührte. Sie fühlte ihren Puls. Er ging nur noch sehr schwach, aber er war da. „Hab sie!" rief Clint und zog die Pinzette mit der Kugel aus der Wunde. „Gute Arbeit!" lobte Natasha ihn und lächelte ihren Freund erleichtert an. „Wir müssen sie schnell zu Bruce bringen, sie hat das Bewusstsein verloren" sagte die Rothaarige hektisch. Clint reagierte schnell, nahm Mia auf den Arm und rannte so schnell es ging den Gang entlang und die Treppe nach unten. Draußen angekommen liefen ihnen die besorgten Avengers engegen. Steve meinte, Bruce solle sich Mia im Quinjet ansehen, damit sie möglichst schnell hier weg können, weil sie noch nicht außer Gefahr waren. Der Quinjet brachte sie wieder Richtung Heimat.

Einen Tag später wachte Mia in ihrem Zimmer im neuen Avengers Haupsitz wieder auf. Neben ihr auf einem Stuhl saß Natasha. Sie sah sehr müde aus und hatte Ringe unter den Augen. „Hey... wie geht es dir?" fragte Black Widow besorgt und nahm ihre Hand. Mia hustete und lächelte schwach. Sie wollte etwas sagen, doch die aufsteigenden Gedanken an den Tod ihres Vaters hinderten sie daran. Tränen stiegen ihr in die Augen. „Mia, alles in Ordnung?" fragte Natasha mit aufsteigender Sorge. Als Mia sie nur weinend anschaute, fügte Black Widow hinzu: „Ich bin so erleichtert, dass du es geschafft hast! Du bist stärker als du denkst". Das Mädchen lächelte müde und Natasha setzte sich zu ihr aufs Bett und umarmte sie. Als die Rothaarige wieder ablies sagte sie: „Bruce hat deine Wunde vorhin erst wieder versorgt, sie blutet schon gar nicht mehr. Aber die Narbe wirst du wohl dein Leben lang tragen, meinte er". Tony kam rein. Er sah schon wieder recht erholt aus. „Hey Kleine!" sagte er und sah Mia musternd an. „Hallo Tony" antwortete diese. „Wie geht es dir?" fragte er weiter. „Es geht schon", antwortete Mia traurig. Tony sah sie intensiv an. „Hör zu Kleine, wir werden ihn rächen und Buchner zur Strecke bringen. Auch wenn ich dafür meinen sonntäglichen Mittagsschlaf opfern muss." meinte er ernst. Wenn er sogar bereit war, seinen Mittagsschlaf zu opfern, muss das schon was heißen, dachte Mia. „Danke" sagte sie und grinste ihn an. „Ruh dich aus", sagt er nur und verschwand wieder aus dem Zimmer. Keine Minute später kam Clint ins Zimmer, gefolgt von Steve, Wanda und Vision. Auch sie drückten ihr Beileid aus und Steve sagte, dass in zwei Tagen die Beerdigung stattfinden sollte. Sie hatten ihr schon die ganzen Organisationen abgenommen. Mia wollte eigentlich nicht damit konfrontiert werden, aber es war nunmal Tatsache, dass ihr Vater gestorben war. Vision und Wanda erzählten noch eine Menge zur Ablenkung, z.B. dass sie gestern Abend Essen waren und der Sonnenuntergang atemberaubend war und dass da ein Hund war, der die ganze Zeit auf Visions Schoß springen wollte. Normalerweise hätte Mia gelacht und sich für den schönen Abend, den die beiden hatten, gefreut. Aber jetzt fühlte sie sich einfach nur noch erschöpft und hilflos mit der Situation, in welcher sie sich befand. Sie merkte, wie die Stimmen um sie herum immer leiser wurden und sie langsam in einen tiefen Schlaf glitt.

Avenge our family (Abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt