Kapitel 20

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Erneut tritt eine lange Stille ein und ich bin verwirrt. Warum sagt sie nichts?

»Steph? Was ist los?«

»Ich will nicht, dass du dich mit ihm triffst«, erwidert sie mir geradewegs heraus mit gereizter und durchaus ziemlich geladener Stimme und ich verstehe sie noch weniger.

»Was? Warum sollte es dich stören?« Ich stehe auf und schiebe den Vorhang auf. Das hab' ich den ganzen Tag vergessen und irgendwie muss man sich doch gerade von seinen dummen Gedanken ablenken.

›Du hast immerhin schon jemanden gefunden, den du weiter treffen willst und sogar ziemlich gernhast. Es stört mich auch, aber ich akzeptiere es. Warum kannst du das nicht auch einfach?‹, schießt es mir durch den Kopf, doch ich schüttle ihn daraufhin nur vehement. Nein, so sollte ich nicht denken, aber..., selbst wenn es eigentlich ziemlich unwahrscheinlich wäre, wäre es möglich, dass ich ihr mehr bedeute, als ich dachte?

›Träum ruhig weiter.‹ Meine innere Stimme lacht über mich.

»Weil ich nun mal nicht gerne teile.« Bin ich ein Gegenstand oder was? Ich muss seufzen. Was bin ich eigentlich nur für ein Idiot gewesen, wirklich denken zu wollen, dass sie mehr empfinden könnte? Es ging doch schon immer nur alles von mir aus. Sie sieht mich lediglich als ihre beste Freundin. So war es schon immer und so wird es auch immer bleiben. »Außerdem gefällt mir der Gedanke einfach nicht, dass du dich mit einem Jungen allein treffen sollst. Ich mag es einfach nicht«, fügt sie mit ruhiger und dennoch trotziger Stimme hinzu.

Schön, mein Herz ist währenddessen aber alles andere als ruhig. Es rast fast schon förmlich. Ich will nicht erröten, aber ich kann nicht anders. Verdammt ey. Dieses Mädchen bringt mich echt um jeden logischen Menschenverstand.

»Könntest du bitte aufhören, so was zu sagen?«, flehe ich sie mit zittriger Stimme an. Ich kann das nicht. Ich kann nicht so tun, als hätte ich es nicht gehört. Noch weniger kann ich aufhören, alles misszuverstehen. Es macht mich verrückt.

»Warum denn? Ich bin nur ehrlich.« Sie hört sich verwirrt an. Ich runzle die Stirn. Schön. Während sie also gerade gar nichts ahnt, bringt sie mich um. Hat auch was.

»Und gerade diese Ehrlichkeit tut weh«, würde ich am liebsten sagen, doch unterdrücke das Verlangen mit einem erneuten Seufzen. Nein, ich kann ihr das nicht sagen, denn ich könnte es mir niemals selbst verzeihen, wenn sie sich dadurch erneut nur wieder von der Ehrlichkeit distanzieren würde.

Dann lasse ich mich auf mein Bett plumpsen und sortiere meine Gedanken neu. »Hör mal, mach dir einfach keine Sorgen. Wenn mein Vater einen raussucht, wird er mir schon nichts tun – besonders, weil Mum ihn auch noch im Auge behalten wird. Außerdem wird unser erstes Treffen wahrscheinlich irgendwo an einem belebten Platz stattfinden – im Kino oder so. Ich würde sowieso in diesem Punkt nicht mir verhandeln lassen«, ich stoppe kurz und entscheide mich, es doch zu sagen, »Im Übrigen bin ich nicht einmal an ihm interessiert – wer auch immer das sein mag. Ich liebe dich, Steph, vergiss das nicht. Es wird nie jemand anderen geben und erst recht keinen dahergelaufenen Jungen.«

»Selbst wenn ich wollte«, setze ich in Gedanken dazu.

»Hmmm.« Sie scheint zu überlegen. Die Frage ist doch, was es überhaupt zu überlegen gibt. Ich tu' es ja nicht freiwillig und eine andere Wahl hab' ich ebenso wenig. Selbst wenn sie noch weiterhin dagegen wäre, könnte ich rein gar nichts ändern. »Gut, wenn du meinst. Pass aber auf dich auf und lass dir von niemandem das Herz stehlen, ja?«

Ich muss schmunzeln. »Ja ja ja.« Dieser Befehl ist ziemlich grausam. Es tut nämlich verdammt weh, in jemanden verliebt zu sein, der sich allmählich in jemand anderen verliebt und man diesen langsam schleichenden Prozess mit eigenen Augen mitansehen muss, aber seine eigenen Gefühle nicht ändern darf.

Dann wechselt Stephanie abrupt das Thema und beginnt mir wieder von ihrem Julian zu schwärmen, während ich ihr aufmerksam zuhöre. Ihre Story interessiert mich nicht wirklich – auch, weil ich sie eigentlich gar nicht hören will –, aber ihrer Stimme lausche ich gerne. Wie sie aufgeregt erzählt und sich an den Höhenpunkten richtig glücklich anhört. Das wollte ich immer erreichen und jetzt hab' ich – oder eher Julian – es geschafft. Es sollte mich eigentlich für sie freuen. Das tut es aber nicht.

Danach erzähle ich von dem gestrigen Ereignis und wie es überhaupt dazu gekommen ist, aber lasse gekonnt die Details meiner eigenen Gefühle und Gedanken aus, die sie besser nicht wissen sollte.

Mittlerweile wünsche ich mir fast schon förmlich diesen Jungen, der mir vielleicht mein Herz klauen könnte. Immerhin wäre es mir lieber, als Stephanie dabei zuzusehen und zuzuhören, wie sie von Julian schwärmt. Und ich würde sie damit vielleicht auch nicht verlieren. Schließlich ist sie meine beste Freundin und dann könnten wir eventuell wieder...normale beste Freundinnen sein? Es würde sich ohnehin nicht viel ändern. Auch weiterhin würde ich für sie alles Mögliche tun, nur würden die Gefühle wegfallen – genauso wie die Küsse und den ganzen Rest. Wir wären einfach wieder am Anfang unserer besten Freundschaft.

Wäre dann nicht alles wieder perfekt? So, wie es eigentlich schon immer zwischen uns beiden hätte sein sollen?

»Steph?« Meine Stimme war kaum mehr als ein Hauchen. Ich will es eigentlich gar nicht erst wissen. Eigentlich will ich sogar eher hoffen, dass sie mich nicht gehört hat.

»Ja?« Fehlanzeige.

»Wäre es schlimm, wenn ich mich irgendwann in jemand anderen verlieben sollte?«

Kurze Stille.

»Ja.«

Never Be MineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt