Kapitel 16

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Nach dem Zähneputzen gehe ich direkt in mein Zimmer und lasse mich mit dem Rücken voran aufs Bett fallen. Ich schließe meine Augen und denke nach. Ich bin verdammt erschöpft.

Was soll das überhaupt? Ich will keinen Freund und noch weniger einen, den ich nicht einmal aus freien Stücken kennenlernen darf. Selbst wenn ich Stephanie nicht bereits schon hätte, wie soll ich mich in jemanden verlieben, den ich aufgrund arrangierter Umstände treffen werde? Das ist ja mal so was von verkorkst und allein der Gedanke gefällt mir schon nicht. Ich hasse es, meine eigenen Freiheiten nicht zu haben und besonders hasse ich es, etwas befohlen zu kriegen. Allerdings nicht in allen Dingen. Ich hab' definitiv kein Problem damit, später irgendwo in einem Supermarkt zu arbeiten und herumkommandiert zu werden. Nur zumindest in meiner privaten Zeit will ich meine Ruhe davon haben und da kann ich so einen Vater nicht gebrauchen.

Ich schlage meine Augenlider auf und bemerke jetzt erst, dass ich vergessen habe, das Licht anzuschalten. Auch egal. Ich gehe ohnehin gleich schlafen.

Dann suche ich nach meinem Handy, aber finde es zunächst nicht, bis ich mich wieder daran erinnere, es in die Ecke geworfen zu haben. Panik überfällt mich, als mir auch wieder einfällt, dass ich es ausgeschaltet habe. Verdammt, das hab' ich ja völlig vergessen! Was, wenn mir Stephanie irgendetwas Wichtiges geschrieben hat? Sie vielleicht meine Hilfe gebraucht hätte? Oder einfach nur ein offenes Ohr zum Zuhören benötigt hätte? Wie könnte ich es mir dann jemals verzeihen, das verpasst zu haben? Nur, weil ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt gewesen bin!

Ich schalte das Handy sofort ein und bete, dass mich Stephanie in dieser Zeit gar nicht erst aufgesucht hat. Es würde mich schon irgendwie traurig stimmen, da es bereits zehn Uhr ist, aber es wäre besser, als nicht für sie da gewesen zu sein, wenn sie mich wirklich gebraucht hätte. Allein bei dem Gedanken läuft es mir eiskalt den Rücken runter. Nicht schon wieder. Bitte, lass mich nicht schon wieder nicht für sie da sein.

Lass mich nicht wieder zu spät sein.

Eine Nachricht nach der anderen poppt auf, sobald ich mein Handy entsperre und ich gerate kurz in Panik. Erst als ich die Nachrichten lese, schwindet sie:

Hey Anna

Kann gerade nicht telefonieren, aber ich habe gute Neuigkeiten: Ich glaube, mir gefällt Julian doch mehr als anfangs gedacht! Ich werde heute sogar bei ihm übernachten – kannst du das überhaupt fassen?? Er hat mich sogar danach gefragt! So richtig cool und nicht so nervös wie im Klassenzimmer. Aber diese Seite ist auch richtig süß an ihm!! 😊

Ah, aber keine Sorge, wir werden es heute nicht miteinander treiben. Schließlich meine ich es ernst – zumindest ernster als bei den ganzen anderen zuvor. Ich will ihn mir lieber noch warmhalten und etwas zappeln lassen, um zu schauen, ob das wirklich was für länger wäre!

Meld' dich bald mal und ich wünsch' dir noch eine gute Nacht, Anna <3 Ich werde auf jeden Fall eine haben!

Okay, nochmal langsam. Also ist Julian dieser Junge, dessen Name ich bis eben nicht einmal kannte? Und er hat es wirklich geschafft, Stephanies Interesse zu wecken? So was hat sie noch nie geschrieben – wirklich noch nie. Sie hat immer nur so was gesagt wie ›Ich finde den echt heiß. Vielleicht spiele ich noch etwas länger mit ihm‹, aber es blieb nie bei etwas Ernstem. Das hier gerade ist wirklich ein Ereignis, das wohl nur alle tausend Jahre stattfinden würde.

Wow, ich bin echt sprachlos. Ohne dass ich es überhaupt bemerke, gleitet mir mein Handy aus der Hand und fällt nahezu lautlos aufs Bett.

Ich starre nach unten und doch weiß ich nicht einmal, was ich mir da anschaue. Meine Gedanken spielen so verrückt, dass ich nicht einmal weiß, wo oben und unten ist. Ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren soll.

Ich wollte das immer. Ich wollte, dass Stephanie ihr Glück findet und jetzt scheint es zum Greifen nahe. Warum sollte ich mich nicht für das Glück meiner besten Freundin freuen? Es ist nur so, dass...dass das Ziehen in meiner Brust nicht aufhören will. Es tut so verdammt weh, dass mir selbst das Atmen plötzlich schwerfällt.

»Freut mich für dich, Steph«, murmle ich vor mich hin und lächle sanft, weil ich es wirklich für sie tue, doch bereits im gleichen Atemzug laufen mir Tränen über die Wangen. Ich hab' mir so sehr gewünscht, dass Stephanie jemanden findet, der ihr das geben kann, was ich niemals können werde, der sie wirklich vollkommen glücklich stimmen kann, bei dem sie wirklich das Gefühl hat, geliebt zu werden und lieben zu können, denn eins davon reicht nicht. Sie braucht all das, um alte Wunden verheilen zu lassen und sich dann endlich richtig auf ihr Leben konzentrieren zu können. Sie soll ehrlich werden, auch wenn sie es nur bei diesem Julian sein kann. Sie braucht immerhin einen, der sie vollends verstehen kann und niemals von ihrer Seite weichen würde. Dem sie sich jederzeit anvertrauen kann und bei dem sie keine Angst haben muss, vor ihm ihr wahres Selbst zu zeigen. So jemanden wünsche ich ihr.

Das versteht mein Kopf, wirklich, aber mein Herz weigert sich strikt, es zu akzeptieren. Es will weiterhin gegen etwas ankämpfen, gegen das es zu verlieren bestimmt ist. Ich kann Stephanie nicht für mich gewinnen. Das geht einfach nicht. Trotzdem will mein Herz daran glauben – egal, wie aussichtslos es auch ist.

Es gibt die Hoffnung einfach nicht auf.

Ouh, das klingt ja super. Ich freue mich wirklich für dich! Ich muss gleich noch meiner Mutter helfen, also muss ich mich kurzhalten. Ich hoffe, du hast ganz viel Spaß bei Julian. Ich will morgen auf jeden Fall alle Details!

Gute Nacht <3

Ich hasse es abgrundtief, Stephanie so schamlos anzulügen. Noch mehr hasse ich es aber, mir selbst etwas vorzumachen. Ich will es nicht wissen. Ich will rein gar nichts wissen. Ich will nicht einmal, dass sie nur eine Sekunde länger bei ihm ist. Es gefällt mir einfach nicht, dass er etwas in ihr erobert hat, was ich niemals erreichen konnte – niemals können werde.

Verdammt, ich hasse diese Eifersucht!

Never Be MineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt