Kapitel 50

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»Ihr kennt euch?« erkundige ich mich, aber werde dann lediglich ignoriert.

»Was machst du hier? Woher weißt du, wo ich wohne?«

Meine Lehrerin winkt ab. »Beruhig dich. Ich bin nur mit deiner Tochter ein Lehrer-Schüler-Gespräch am Führen.« Okay, wenn sie gefeuert wird, bin ich unschuldig. Sie hat sich selbst verraten.

Das ist gerade aber sowieso zweitrangig. Wichtiger ist doch, woher sie sich kennen! Das kann doch alles kein Zufall sein.

»Sprechstunden bei einer Schülerin Zuhause und ohne Aufsicht der Eltern? Ich könnte das deiner Schule melden. Du würdest unverzüglich gefeuert werden.« Sie klingt unheimlich ernst und trotzdem schwingt Unsicherheit in ihrer Stimme mit. In meinem Inneren tut sich sogar leichte Nervosität auf und langsam fange ich an, um meine Lehrerin zu bangen. Immerhin ist es meine Mutter. Sie würde nicht zögern, ihre Drohung zu verwirklichen.

Andererseits... Diese Unsicherheit kenne ich sonst nicht von ihr.

Daraufhin lacht Frau Karls aber nur und scheint äußerst amüsiert. »Ich bitte dich. Ich kenne dich und das würdest du nicht tun. Dafür ist dir die kleine Erika doch zu sehr ans Herz gewachsen, als dass du ihr wirklich jemals willentlich Schaden zufügen könntest.« Ihr Blick verspricht wahnwitzige Zuversicht, aber mein Herz beruhigt sich sogar allmählich. Unser Gespräch vorhin hat mir bewiesen, dass ich ihrer Zuversicht vertrauen kann. Sie wird wissen, was sie tut.

Meine Mutter seufzt nur und wirft sich kopfschüttelnd auf den beigen, alten Sessel, der schräg gegenüber der Couch aufzufinden ist.

Das war's? Diese eine Aussage hat ausgereicht, um ihr die Luft aus den Segeln zu nehmen? »Hast du nach mir gesucht?« Ihr Blick fällt unweigerlich auf mich und alle meine Muskeln spannen sich automatisch an. Ich will wirklich nicht in dieses Gespräch verwickelt werden. Es ist mir lieber, der stille Zuschauer zu sein, wenn ich zuvor sowieso schon nur ignoriert worden bin.

Meine Lehrerin schüttelt den Kopf. »Es war reiner Zufall. Wobei ich schon immer so ein Gefühl hatte, aber woher sollte ich es denn wissen? Sie besitzt nicht einmal deinen Familiennamen und ihr seht euch nun einmal nicht sonderlich ähnlich. Ich habe gar keine Chance gehabt, dich durch sie aufzuspüren.«

»Und trotzdem sitzt du vor mir. Erklär mir das erst einmal, bevor du mir Predigten vom Unmöglichen hältst.« Sie verschränkt die Arme und runzelt ungläubig die Stirn.

Ein gefährlich provokantes Lächeln umspielt Frau Karls' Lippen. »Weil ich einer Schülerin helfen wollte, die sich nebenbei als deine Tochter herausgestellt hat. Scheinbar bist du eine echt miserable Mutter.«

Sofort schaue ich bedrückt zu Boden, ehe ein böser Blick seitens meiner Mutter auf mir ruhen kann. Leider spüre ich ihn trotzdem nur allzu gut. »Es ist mir rausgerutscht.« Warte. Warum muss ich gerade Rechenschaft ablegen? Dabei habe ich doch eigentlich nichts falsch gemacht. Für mich fühlt es sich aber dennoch falsch an, dieses Geheimnis ausgeplaudert zu haben.

»Es ist nicht ihre Schuld. Es war ein Satz und danach hat sie ihn auch ständig verleumdet«, sie zuckt kopfschüttelnd mit den Schultern, »Ich komme gar nicht dazu, die Wahrheit herauszufinden.«

»Könnte ich erst mal die Wahrheit zwischen euch beiden herausfinden? Noch besser wäre es, wenn ihr mich erst gar nicht ignorieren würdet«, werfe ich bissig ein.

Frau Karls lacht. »Entschuldige. Es ist aber nur eine wirklich langweilige Geschichte«, sie lehnt sich zurück, »Ich bin nur die kleine Schwester des Mannes, den deine Mutter von ganzem Herzen geliebt hat. Ich kenne sie, seit ich klein war.«

Mir bleibt der Mund offenstehen. Langweilig? Das ist die Geschichte ganz sicher nicht. Noch viel eher weckt sie die Neugier in mir. »Erzählst du mir die ganze Geschichte?« Ich schlucke schwer. Eigentlich habe ich gedacht, meine Mutter wäre mir völlig egal – dass ich sie vielleicht sogar hassen könnte –, aber das stimmt nicht. Das tat ich nur, weil ich sie nie verstehen wollte. Jetzt möchte ich aber wissen, warum sie mich angeblich so sehr hasst – in welchen Punkten wir uns so ähnlich sein sollen. Ich will diese Frau kennenlernen und verstehen. Vielleicht könnte ich sie dann irgendwann auch zu lieben lernen.

Never Be MineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt