Kapitel 38

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[Anna:]

Ich habe ständig versucht, Stephanie zu erreichen, aber Fehlanzeige. Ich verstehe einfach nicht, was denn nur auf einmal los ist – warum sie am Samstag einfach plötzlich aufgelegt und sich seither nicht mehr gemeldet hat. Habe ich denn was Falsches gesagt?

Ich seufze.

Ich verstehe es vielleicht nicht, aber die Sache mit diesem Wochenende will ich ihr eigentlich wirklich nicht schreiben, denn für mich ist das keine simple Sache, die man mal so nebenbei in einer Nachricht hinterlässt. Nein, ich will Stephanie nicht das Gefühl geben, sie wäre es nicht einmal mehr für mich wert, ihr das persönlich mitzuteilen. Entweder werde ich es also in einem Telefonat oder in einem Gespräch von Angesicht zu Angesicht los. Da sie nicht an ihr Handy geht, bleibt mir letztlich ohnehin nur noch eine Variante.

Immerhin kann sie mir in der Schule auch nicht einfach aus dem Weg gehen, wenn ich mich ihr notfalls aktiv in den Weg stellen würde. Leider haben wir die ersten beiden Stunden nicht zusammen, sodass ich mich dazu entschließe, es ihr in der ersten großen Pause zu erzählen.

›Wird sie es verstehen?‹

Es ist vielleicht echt ätzend und wirklich unschön für sie, dass ich unser Treffen absagen muss, aber sie wird es verstehen. Ich werde es auch garantiert wiedergutmachen. Sollte es sie dann noch immer wirklich stören und sollte sie wirklich gar nicht damit einverstanden sein, werde ich das Treffen mit Mark auch vielleicht einfach absagen. Egal, wie gern ich Mark hab', wenn ich durch ein einzelnes Treffen meine beste Freundin verlieren könnte, will ich das nicht.

Ich will ganz einfach kein Risiko eingehen.

»Hast du gut geschlafen, Schatz?«, fragt mich meine Mutter, sobald ich mich verschlafen an den Esstisch schleppe, um die Schüssel Müsli zu verschlingen, die bereits fertig auf dem Tisch steht.

»Mhmm«, brumme ich zustimmend, wende den Blick jedoch nicht von der Schüssel weg.

»Du bist wirklich unverbesserlich.« Sie schüttelt seufzend den Kopf.

Ich zucke hingegen mit den Schultern. »Wenn ich das schon nicht zeigen kann, wenn Vater hier ist, muss ich es jetzt vollkommen auskosten«, verteidige ich mich. Ich muss mich einfach über jede freie Sekunde ohne ihn freuen und ich hätte Freudentänze machen können, als ich erfahren hab', dass er für mehrere Wochen auswärts unterwegs sein wird.





Nachdem ich das Essen mehr heruntergeschlungen, als wirklich gegessen habe, lege ich die Schüssel und den Löffel in die Spülmaschine, putze mir in Windeseile die Zähne und drücke meiner Mutter einen flüchtigen Kuss auf die Wange, bevor ich danach eilig davonziehe.

Vielleicht sollte ich meinen Wecker mal so stellen, dass er früher klingeln würde? Dann würde ich auch früher aufwachen und hätte dementsprechend morgens mehr Zeit.

Ich schüttle den Kopf. Nein, ich würde nur den Wecker ausschalten und bis zur gewohnten Uhrzeit, zu der ich selbst dann kaum aus dem Bett komme, weiterschlafen. Nein, vermutlich würde das nur dafür sorgen, dass ich am Ende noch eher verschlafen könnte.

Die letzten hundert Meter sprinte ich zur Schule, sobald ich bemerke, wie spät ich eigentlich dran bin. Trotzdem bleibe ich einigermaßen gelassen, denn das ist sowieso schon zu einem Teil meiner Morgenroutine geworden. Außerdem bleibe ich dadurch erstaunlich gut in Form.

In den ersten beiden Stunden ist meine Zeit für Erdkunde geblockt. Eigentlich mag ich dieses Fach sogar noch ziemlich, aber ich bin wirklich ein faules Stück, was Lernen anbelangt. Noch dazu wandern meine Gedanken eher immer wieder zu der Frage, wie ich Stephanie am besten von dem Treffen mit Mark erzählen soll. Ich meine, egal, wie schlimm die Wahrheit auch letztlich sein mag – auch wenn es hier eigentlich nicht sonderlich schlimm ist –, meine Wortwahl und Darbietung könnte immer alles verschlimmern oder verharmlosen.

Leider tendiere ich oft dazu, alles in einer Katastrophe enden zu lassen.

Sobald das Klingeln des Schulgongs die Pause einleitet, packe ich sofort meine Sachen zusammen und will mich mit schnellen Schritten zum nächsten Raum begeben, um Stephanie dort abzufangen und ihr von der Sache zu erzählen. »...na!« Ich gehe weiter. »Anna!«, höre ich eine Stimme rufen und drehe mich überrascht um.

Mark eilt mir schnell hinterher und bleibt schließlich vor mir stehen. Ich spiele peinlich berührt mit meinen Haaren. »Sorry, ich hab' dich nicht gehört. War keine Absicht.«

Er winkt ab und lacht nur. »Ach, ist schon okay. Was ist? Siehst so aus, als hättest du deine Gedanken sonst wo.«

Ich schweige kurz. Soll ich es ihm wirklich erzählen? Oder lieber ausweichen? Oder gleich lügen? Ich denke tatsächlich, dass ein bisschen Ehrlichkeit nicht schaden kann. »Um ehrlich zu sein, haben Stephanie und ich eigentlich schon, bevor du gefragt hast, abgemacht, uns dieses Wochenende zu treffen. Ich bin gerade auf dem Weg gewesen, sie zu fragen, ob wir das Treffen verschieben könnten«, gestehe ich und lache gekünstelt. Auf einmal fühle ich mich echt schlecht. So, wie das gerade klingt, wirkt es so, als würde ich Mark dafür die Schuld geben, falls es dadurch zu Streit zwischen ihr und mir kommen könnte.

»Wir können das Treffen auch verschieben. Du hast recht – ich kann sie absolut nicht leiden –, aber das Letzte, was ich will, ist, dass ihr euch wegen mir zerstreitet und du deshalb unglücklich werden könntest.« Sein warmes Lächeln umgibt mich und ist mal wieder gänzlich ansteckend.

»Ach nein, ist schon okay. Schließlich hab' ich dir doch gesagt, dass es geht, und mit Stephanie werd' ich das bestimmt auch geklärt kriegen und wenn nicht, kann ich immer noch auf dein Angebot zurückgreifen. Mach dir darüber mal besser keine Sorgen.« Obwohl ich gerade so selbstbewusst und sicher klinge, ist wohl eigentlich genau das Gegenteil der Fall. Ich weiß nämlich absolut nicht, wie Stephanie reagieren könnte. Erwische ich einen schlechten Tag, könnte ich damit möglicherweise auch den nächsten Weltkrieg herbeiführen, aber ich hoffe einfach, dass es nicht so weit kommen wird – selbst wenn ich ein Händchen dafür habe, Katastrophen auszulösen.

Never Be MineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt