Kapitel 30

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Ich schlage mit der flachen Hand zart auf den Tisch und schaue ihn starr mit ernstem Gesicht an. »Dann überschreite ich eben diese imaginäre Grenze: Warum hast du diesem Arrangement zugestimmt? Ganz ehrlich, ich denke nicht, dass du es schwer haben solltest, jemanden zu finden, der dich liebt.«

Er zuckt kaum merklich zusammen, doch ich bemerke es zu seinem Bedauern sofort. Dank Stephanie habe ich eben ein Händchen für solche Kleinigkeiten entwickelt.

Sein Kiefer scheint sich zu versteifen, als er erneut über eine Antwort nachzudenken scheint. »Na ja, ich halte mich normalerweise von Mädels fern, weil die meisten nur an mir interessiert sind, weil ich gutaussehe, aber nicht meinen Charakter sehen, auf den es dann eigentlich ankommen würde – zumindest mal für mich. Ich brauche keine Freundin, die mich nur möchte, weil ich schön bin und damit sie mit mir vor anderen angeben kann. Scheinbar haben unsere Väter sich dann über uns unterhalten und ich bin eben kein Mensch, der seinen Eltern gerne widerspricht, also habe ich mich darauf eingelassen. Ich bin schon immer schlecht im Neinsagen gewesen«, er lacht scheinheilig, »Es ist nichts Großartiges oder eine besonders tiefgründige Story. Im nächsten Moment habe ich mir auch gedacht: ›Hey, wenn ich zuerst mit diesem unbekannten Mädchen schreibe, ihr aber kein Bild von mir zeige, könnte sie nicht vielleicht die erste Person sein, die wirklich mich sieht?‹ So was Lahmes halt.«

Eine Angestellte kommt zu unserem Tisch und unterbricht uns. Daher bestellen wir schnell und sobald sie auch schon wieder verschwunden ist, als wäre sie nie erst da gewesen, lehne ich mich auf dem Stuhl zurück und starre gedankenverloren an die Decke. Langsam verstehe ich, warum Mark das gerne macht. »Ich denke nicht, dass es nichts Großartiges oder nur eine lahme Geschichte ist«, ich richte meinen Blick mit einem sanften Lächeln wieder auf Mark, der mich nur verwundert anschaut, »Ich mein', es muss doch verdammt weh tun, wenn man nur auf sein Äußeres reduziert wird, oder nicht? Ich kann mir fast schon nichts Schlimmeres vorstellen, wenn man ständig aufpassen muss, dass man nicht wegen seines Aussehens nur benutzt wird. Dann bin ich doch lieber ultrahässlich, aber finde dafür jemanden, der auch wirklich an meinem Charakter interessiert ist. Ich finde, du solltest deine wahren Gefühle und Gedanken nicht so runterspielen.«

Daraufhin erscheint ein breites Lächeln auf seinem Gesicht und er muss seufzen. »Natürlich, das hast du wirklich gut gesagt. Dem kann man einfach nicht widersprechen. Gerade wünsche ich mir wirklich, dass ich mich eines Tages in dich verlieben werde. Immerhin siehst du wirklich mein Inneres.«

Ich schüttle den Kopf und wedle leicht mit der Hand, um seine Worte abzutun. »Lass das mal lieber. Das würde nur in einer Katastrophe enden.« Wirklich, mehr Aufregung brauche ich in meinem Leben sicher nicht. Es geht sowieso schon alles drunter und drüber.

»Warum?« Er scheint es wirklich nicht zu verstehen.

»Weil ich schon jemanden liebe«, antworte ich kurz und knapp. Dabei schaue ich ihm nicht in die Augen, denn ich kann mir seine Reaktion mehr oder weniger schon denken.

»Warum dann überhaupt dieses Arrangement!?", erhebt er die Stimme, doch, sobald er merkt, dass er etwas zu laut geworden ist, sodass einige Leute uns anstarren, entschuldigt er sich und führt leiser fort: »Ich meine, wäre das hier dann nicht nur ein Eigentor?«

»Nein, es ist eigentlich nur Ablenkung«, erwidere ich mit einem gequälten Lächeln. Dann blicke ich auf und sehe, dass er scheinbar auf eine Fortsetzung wartet. »Sorry, ich bin es nicht gewohnt, so offen über dieses Thema zu reden«, ich lege eine kurze Pause ein, »Zwar liebe ich bereits jemanden, aber diese Person liebt mich nicht. Daher das Ganze.«

»Warum sagst du das nicht deinem Vater? Dann wird er bestimmt verstehen, warum du noch keinen Freund haben willst und wird dich dann wahrscheinlich auch damit in Ruhe lassen.« Er scheint ernsthaft besorgt um mich zu sein – das verraten mir wieder einmal seine lebendigen Augen.

Ich muss grinsen. Irgendwie fühlt es sich erstaunlich gut an, mit jemanden reden zu können, der sich auch um einen sorgt. Andererseits möchte ich auch gar nicht, dass sich Stephanie überhaupt um mich sorgen muss. »Das ist ein absolutes Tabu. Deshalb erzähl das bitte auch niemandem weiter. Gerade mein Vater soll es nicht wissen. Einfach, weil es nur Streit bedeuten würde und ich auch nicht gerne von dieser unerwiderten Liebe erzähle. Ehrlich gesagt habe ich diesem Arrangement nur zugestimmt, weil ich mit meinem Vater eine Abmachung am Laufen habe. Lasse ich mich auf dich ein und es wird nichts, nervt er mich nie mehr mit diesem Thema. Hinterher hab' ich mir aber auch was gedacht: ›Vielleicht kannst du dich ja dadurch in jemand anderen verlieben und somit die andere Person vergessen? Wäre das nicht perfekt?‹ Na ja, nicht, dass ich wirklich daran glauben würde.«

Nun lehnt auch er sich zurück und legt Zeige- und Mittelfinger der einen Hand an seine Schläfe. Scheinbar bereitet ihm diese ganze Sache Kopfschmerzen. Irgendwie muss ich einfach lachen. »Denk nicht zu hart drüber nach. Es ist immerhin nicht der Rede wert.«

»Wer ist es?«, fragt er mich plötzlich wie aus heiterem Himmel. Daraufhin schaue ich ihn nur sprachlos mit offenem Mund an und erwidere nichts. Ich kann es einfach nicht. Was soll ich denn schon sagen? Dass ich Stephanie liebe? Nein, egal, wie wohl ich mich auch bei Mark fühlen sollte, ich kann ihn trotzdem noch nicht voll und ganz einschätzen. Was, wenn er mich nachher hintergehen würde? Dieses Risiko kann ich einfach nicht eingehen. »Wer ist die Person, die du liebst?«, wiederholt er und rückt näher. Seine warmen Augen fixieren mich mit einem solch intensiven Blick, dass mir das Blut förmlich in den Kopf schießt und mein Herz zu rasen beginnt.

›Hat er mich durchschaut? Könnte er ahnen, dass ich ein Mädchen liebe?‹

Ich will gar nicht erst daran denken.

Stattdessen würde ich den Augenkontakt am liebsten meiden, doch mein Körper schreit danach, seinem Blick standzuhalten. »Du starrst«, sage ich mit erschreckend fester Stimme.

Ich wüsste gerne, woher ich diese Standhaftigkeit gerade hergeholt habe.

Auf einmal werden seine Gesichtszüge wieder weicher und er entschuldigt sich plump dafür. Ich lache nur darüber und versuche damit das Unbehagen in meiner Magengegend zu überspielen. »Entschuldige, aber ich will es nicht wirklich sagen. Schließlich ist es eine Sache nur zwischen dieser Person und mir.«

Ich könnte wirklich heulen. Ich kann ja nicht einmal einem einfachen Jungen, der sogar ziemlich verständnisvoll diesem Thema gegenüber aussieht, von Stephanie und mir erzählen, also wie soll ich das jemals bei meinem Vater können? Vor allem weiß ich doch jetzt schon, dass es mit Mark nichts werden wird, egal, wie sympathisch er mir auch sein mag. Auch wenn wir diese Abmachung am Laufen haben, denke ich ehrlich gesagt nicht, dass mein Vater das einfach hinnehmen würde, und gerade das bereitet mir die größten Kopfschmerzen.

›Du hast deinem Vater den Anfang geboten. Wer verspricht dir, dass er nicht weiterhin versuchen wird, in dein Leben einzugreifen, wenn es bereits einmal funktioniert hat?‹

Ich würde ja gerne hoffen, dass seine Menschlichkeit ihn davon abhalten würde, allerdings bezweifle ich, dass ich sonderlich viel davon in ihm feststellen können würde.

Mein Magen beginnt, unangenehm zu rebellieren.

»Macht nichts. Vielleicht sagst du's ja bei einem der nächsten Treffen.« Sein warmes Lächeln umgibt mich, doch trotzdem überkommt mich unglaubliche Eiseskälte. Immerhin denke ich nicht, dass weitere Treffen mein Schweigen bei diesem Thema brechen würden. Was sollte ich denn spätestens dann sagen, wenn es darum geht, zu beschreiben, in welcher Beziehung wir beide zueinanderstehen? Dass wir eine Art Freundschaft-Plus-Beziehung haben? Ja ne, ist klar – nur über meine Leiche gebe ich das jemals freiwillig zu.

Never Be MineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt