Kapitel 39

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[Stephanie:]

Ich muss mich ihr stellen.

Ich seufze. Ja, das weiß ich, aber mein Herz bringt mich gerade wirklich um. Ich will es immer noch nicht hören. Was, wenn sich meine Vermutungen jetzt doch bewahrheiten sollten? Dann hätte ich es lieber gar nicht gehört.

Ahh, trotzdem will ich es nicht einfach hinnehmen. Ich möchte es von Anna persönlich wissen, was zwischen ihr und Mark ist – welche Rolle ich noch für sie spiele. Kann das, was ich mir ausmale, in der Realität überhaupt noch schlimmer kommen? Nein, eigentlich nicht, oder?

Ich nehme einmal tief Luft.

›Also beiß die Zähne zusammen und gib dir 'nen Ruck, Stephanie‹, versuche ich mir innerlich einzureden und lasse die Worte auf mich einwirken. Ja, das sollte ich zur Abwechslung mal wirklich tun.

Erst jetzt springe ich von meinem Platz auf, packe meine Sachen zusammen und eile heraus. Ich bin wirklich spät dran. Kann es nicht sein, dass Anna schon auf mich wartet? Das will ich ihr wirklich nicht antun. Schließlich sollte sie selbst auch wirklich angespannt und aufgeregt sein – was auch immer sie mir beichten muss. So, wie ich sie kenne, wird sie wohl auch geplant haben, es mir zu erzählen, wenn wir uns wiedersehen – sprich: In dieser Pause.

Sobald ich jedoch im Raum unseres Mathekurses ankomme, erkenne ich viele Gesichter, aber darunter finde ich Annas nicht. Um sicherzugehen, gehe ich hinein und schaue mich ein weiteres Mal um, aber nichts. Sie ist nicht da.

Ich ziehe eine Augenbraue hoch. Das sieht ihr gar nicht ähnlich. Normalerweise ist es sogar eher so, dass sie die Erste von uns Beiden ist, aber dass ich es heute bin? Obwohl ich sogar noch getrödelt habe? Das kann nicht sein.

Deshalb entschließe ich mich dazu, zu ihrem Erdkunderaum zu gehen.

Könnte es denn sein, dass sie krank ist? Dass es ihr nicht gut geht und ich nichts davon weiß? Plötzlich kommen die Sorgen in mir hoch. Unter anderen Umständen hätte sie mir bestimmt geschrieben, aber ich könnte es ihr wohl nicht verübeln, wenn sie es diesmal nicht getan hätte. Immerhin habe ich sie am Samstag abgewürgt. Vielleicht ist sie auch wütend auf mich? Schließlich habe ich auch ganz schönen Mist gebaut. Sie wollte mir gerade etwas beichten, was bestimmt eine Menge Überwindung gekostet hat, und dann lege ich einfach auf.

Ich schlucke schwer, während mich die Schuldgefühle zerfressen. Bevor Anna mir überhaupt nur irgendwas beichten wird, sollte ich mich wohl zuerst bei ihr entschuldigen.

Diesen Gedanken hege ich – bis ich sie mit Mark zusammen reden sehe. Daraufhin bleibe ich abrupt stehen und versuche die Szene, die sich vor meinen Augen abspielt, erst einmal zu verarbeiten. Die Beiden reden. Ich reibe mir die Augen und werfe einen erneuten Blick auf die Beiden. Sie reden noch immer – Mark und Anna.

Also während ich mich einem Gefühlschaos stellen musste, hat sie sich hier mit einem Jungen vergnügt – ausgerechnet auch noch mit diesem einen bestimmten? Nein, das schmerzt wirklich auf allen Ebenen.

Sobald ich sie Beide lachen sehe, brennen die Sicherungen endgültig durch. Hat es sie überhaupt jemals gekümmert? Wie ich mich dabei fühlen könnte, wenn sie Mark so ansieht? Sobald er sie so anschaut? Zorn kämpft sich seinen Platz empor und was soll ich sagen? Ich lasse es einfach zu.

(Anna:) »Ich liebe dich, Steph, vergiss das nicht. Es wird nie jemand anderen geben und erst recht keinen dahergelaufenen Jungen.«

War das etwa gelogen? Warst du es insgeheim leid, gerade mich zu lieben, weil ich deine Gefühle nicht erwidert habe? Weil du nicht wolltest, dass ich dein Treffen mit anderen oder unsere Freundschaft zerstöre, bevor erst etwas Richtiges zwischen euch Beiden läuft?

Oder wusstest du einfach nicht, dass sich Dinge auch ändern können? Dass deine Gefühle für mich nicht ewig sein können? Dass dieser Junge deine Gefühle vielleicht für sich gewinnen könnte?

Ich balle die Hände zusammen und beiße mir wütend auf die Unterlippe, während ich mit aller Mühe versuche, die aufkommende Übelkeit niederzukämpfen. Ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Alles dreht sich nur um Mark und Anna, während der Rest für mich völlig unsichtbar wird. Ich kann nur sehen, wie die Beiden reden und lachen. Reden und lachen. Reden und lachen.

Wie dieser Junge bis über beide Ohren hinweg strahlt und Anna gänzlich in seinen Bann zu ziehen scheint. Wie sie ihn mit ihren normal so eiskalten Augen, die nun so voller Wärme erscheinen, ansieht. Wie sie sich ihm voll und ganz hingibt. Wie er sie mit seinen gierigen Augen anschaut. Wie er ihre Gefühle für sie nicht einmal ansatzweise versteckt. Wie ihr das nicht einmal etwas auszumachen, nein, ihr das sogar zu gefallen scheint.

Ich kann nicht mehr nur zuschauen.



[Anna:]

»Mal zur Abwechslung eine einfache, normale Frage: Wie geht's dir denn so?« Mark lächelt mich an und ich erwidere es. Sobald ich seine Augen erblicke, verliere ich mich in ihnen. Ich bin wirklich verdammt neidisch auf sie. Ich hätte auch gerne die gleichen warmen, braunen Augen, denn ich kann nicht oft genug sagen, wie sie mich wirklich jedes Mal an meine Mum erinnern. Ihre Augenfarbe wäre mir um Einiges lieber, als ständig an meinen Vater erinnert zu werden, sobald ich nur einen Blick in den Spiegel werfe.

»Anna, komm mal mit«, unterbricht Stephanie harsch unser Gespräch. Ich drehe mich überrascht zu ihr um. Wie lang steht sie dort schon?

»Kann das nicht noch etwas warten? Ich bin gerade mit Mark am Reden«, platzt es auf einmal einfach aus mir heraus, ohne dass ich es selbst wirklich verstehe.

›Liegt wahrscheinlich an ihrem herrischen und scharfen Tonfall, der in dir das trotzige Kind geweckt hat.‹ Meine innere Stimme lacht.

Möglich ist es.

»Jetzt. Keine Widerrede«, befiehlt sie – ja, ihr Ton lässt keine Zweifel übrig: Sie zwingt mich praktisch dazu, denn sie ist einen Schritt davor, die Abmachung anzusprechen, wenn ich ihr nicht freiwillig folgen würde.

Ich wende mich wieder Mark zu, der ihr einen wütenden Blick zugeworfen hat. Er ist wirklich eine der wenigen Ausnahmen, die nicht an ihr Interesse zeigen. Immerhin ist sie bildhübsch. Ich hätte es ihm nicht verübeln können, denn schließlich bin ich selbst auch ihrem Charme verfallen. »Tut mir leid, Mark. Ich muss los«, verabschiede ich mich von ihm und will gerade gehen, als er mich am Arm packt und mich fragt: »Lässt du das wirklich einfach so mit dir machen? Sie kann dich nicht dazu zwingen.« In seinen Augen blitzt die Wut auf – ich würde vermuten, auf Stephanie. Ich muss schmunzeln. Mir gefällt es, wie immun er gegen ihren Charme ist und dass er sich tatsächlich um mich sorgt. Er ist nicht wie die anderen Jungs, die höchstens auf mich zukommen wollen würden, weil sie über mich näher an Stephanie heranwollen.

»Nein, aber ich muss es trotzdem tun. Wollen wir nach der Schule weiterreden?« Ich mag ihn, ja, aber ich würde ihm sicherlich nicht jetzt schon alle Geheimnisse offenbaren.

Ein breites Grinsen zieht sich bis über seine beiden Ohren und sein Gesicht strahlt vor Freude. »Gerne. Treffpunkt vor der Schule?« Ich nicke und gehe dann. Ich freue mich jetzt schon auf das Treffen. Es wird bestimmt lustig und entspannt.

Never Be MineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt