Kapitel 15

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»Du verkaufst unsere Tochter gerade für deine Arbeit! Für ein bisschen Erfahrung! Schämst du dich eigentlich nicht?«, schreit Mum ihn an und ich höre ihren Zorn und ihre Besorgnis um mich klar heraus. Nach außen hin kriege ich immer noch nichts zustande, aber immerhin muss ich innerlich schmunzeln. Ich bin froh, dass ich zumindest Mum wichtig bin und für sie nicht nur materiellen Wert besitze.

Mein Vater hingegen hebt die eine Hand beschwichtigend in die Höhe und mit der anderen fasst er sich mit Mittel- und Zeigefinger an die Schläfe, als habe er mit Kopfschmerzen zu kämpfen. »Jetzt reg dich doch nicht gleich so auf. Ich habe nie gesagt, dass sie sich zu küssen oder es gar weiter zu treiben brauchen. Sie müssen ja nicht einmal Händchen halten. Sie sollen sich nur kennenlernen und wenn es zwischen den Beiden funktioniert, dann nur zu. Wenn nicht, dann soll es eben so sein. Ich zwinge sie ja nicht dazu, mit ihm intim zu werden. Ich möchte ja wohl bitten. Wo sind wir hier denn?«, er wirkt empört, »Ich bin Vater und kein Zuhälter.« Hat sich vorhin aber stark danach angehört.

Ich schnaube innerlich. Vielleicht sollte ich diesen Mann doch besser hassen, aber ich kann es nicht. Es ist schwer zu beschreiben, wie ich mich ihm gegenüber fühle. Es ist aber nichts Positives. Mein Vater kriegt es durch und durch hin, mir nur seine negativen Seiten zu zeigen. Trotzdem entgehen mir seine Worte nicht und ich muss eingreifen, bevor er es sich vielleicht nochmal anders überlegt: »Das heißt, ich soll ihn nur mal treffen und wenn wir merken, dass wir uns nicht verstehen, brauche ich ihn nicht mehr zu treffen?«, er nickt und ein selbstbewusstes Grinsen breitet sich auf meinem Gesicht aus, »Gut, du wolltest, dass ich erwachsen werde, hier ein erwachsener Deal: Ich werde ihn treffen – von mir aus sogar mehrmals –, aber sollte es zwischen uns Beiden nicht funktionieren, mischst du dich nie mehr in mein Liebesleben ein. Ich werde mich auch nicht querstellen. Ich werde nett zu ihm sein und mich auf ihn einlassen. Ist es nicht das, was du willst? Das würdest du nicht bekommen, wenn du mich dazu zwingen würdest und das weißt du.« Liebe lässt sich nämlich ganz bestimmt nicht erzwingen.

Ich sehe, wie mein Vater angestrengt nachdenkt und dann sieht er plötzlich auf – grinsend. Oh Gott, ich weiß echt nicht, was Mum so an ihm findet. Ich finde ihn gerade einfach nur furchteinflößend. »Gut, das nenne ich durchaus fair. Vielleicht bist du tatsächlicher erwachsener als gedacht.« Er scheint wirklich sehr zufrieden mit mir und zum ersten Mal überkommt mich in seiner Nähe das Gefühl der Freude – und des Stolzes. Es fühlt sich so gut an, wenn der eigene Vater, der einen normalerweise nur in Grund und Boden zu kritisieren weiß, einen auch mal lobt. Es ist so überragend. Ich brauche keine Drogen, um high zu sein, ich fühl' mich jetzt schon so – ohne überhaupt zu wissen, wie es ist, so zu sein.

Aber ich hatte recht: Ich hasse ihn nicht. Würde ich ihn hassen, würde ein Kompliment von ihm mich nicht so glücklich stimmen. Besonders mögen tue ich ihn jetzt aber auch nicht.

»Kriege ich trotzdem ein paar Wochen Schonfrist, bevor unser erstes Treffen stattfindet? Ich muss mich erst einmal mental darauf vorbereiten. Schließlich ist das komplett neu für mich«, lüge ich – na ja, so halb. Natürlich ist es erstunken und erlogen, dass das völlig neu für mich sei. Zwar noch nie mit einem Jungen, aber mit Stephanie hab' ich trotzdem schon allerlei Erfahrungen gesammelt – mehr, als mir eigentlich lieb ist. Allerdings muss ich mich wirklich mental darauf vorbereiten, aber eher dafür, wie ich es Stephanie beibringen soll – wenn ich es ihr überhaupt sage. Ich hasse Geheimnisse und alles, aber ich will es ihr wirklich nicht erklären müssen. Andererseits gäbe es hinterher nur mehr Stress, wenn sie es später aus zweiter Hand herausfinden würde. Es gefällt mir nicht, aber ich muss es ihr wohl früher oder später sagen – wohl eher später als früher. Am liebsten gar nicht, aber das geht ja nicht. Genauso wenig geht es, mich gar nicht erst mit dem Jungen zu treffen. Daher versuche ich es einfach möglichst lange aufzuschieben. Immerhin liebe ich Stephanie bereits und ich liebe sie schon verdammt lange – da werden sich meine Gefühle nicht plötzlich wegen eines dahergelaufenen Jungen verändern. Bestimmt nicht, aber vielleicht...

›...Wäre es gar nicht mal so schlecht, wenn du dich in ihn verlieben könntest?‹

Dann bräuchte ich Stephanie immerhin nicht länger mit meiner Liebe auf die Nerven zu gehen. Es wäre nur vorteilhaft – für alle Beteiligten.

»Von mir aus. Ich verstehe das schon. Außerdem wird es ohnehin eine ganze Weile dauern, bis dieser besagte Sohn informiert und alles geklärt ist. Drücken kannst du dich aber nicht mehr – verstanden? Erwachsene handeln Verträge aus und halten diese ein. Das hier ist gerade so einer. Halte also deinen Teil ein, sonst werde ich meinen genauso wenig einhalten und dich noch mehr damit konfrontieren.« Ach Gott, das geht?

Was hab' ich mir da eigentlich gerade nur eingebrockt? Seine Augen funkeln und ich könnte schwören, dass ich darin Gefahr sehe, aber das muss wohl Einbildung sein. Schließlich habe ich viel zu viel Angst vor diesem Mann.

»Im Übrigen hoffe ich für uns Beide, dass dieser Sohn anständig ist, sonst haben wir Beide später ein Problem.« Ich suche eigentlich keinen Streit, aber trotzdem kann ich mir diese Worte nicht verkneifen.

»Drohst du mir?« Ich sehe, wie er auf mich herabblickt und seine Augen bedrohlich auf mir ruhen. Ich hasse es, wenn er mich anschaut. Dann werde ich immer nervös – als müsste ich dann auf jede noch so kleine Bewegung von mir achtgeben, weil er jeden noch so kleinen Fehler finden und kritisieren könnte.

»Keinesfalls.« Okay, das klang gerade in Verbindung mit meinem Lächeln ziemlich ironisch, aber ich bin eben angespannt!

Daraufhin senkt er seinen Blick und schneidet sein Steak in aller Seelenruhe zurecht. »Ihr werdet ohnehin erst mal nur schreiben und vielleicht auch noch telefonieren. Da kannst du das für dich selbst feststellen.« Jetzt schaut er mir wieder unverwandt in die Augen und er scheint ziemlich von seiner ganzen Planung überzeugt. Ich hingegen immer weniger. Heißt das nicht, dass er keine Ahnung hat? Ist es das, was er mir damit sagen möchte, aber nicht explizit aussprechen kann?

Dann kann das ja noch heiter werden. Dieser Junge könnte also alles Mögliche sein und egal, was, laut ›Vertrag‹ muss ich ihn irgendwann trotzdem treffen.

Never Be MineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt