Kapitel 14

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»Mäuschen, wie geht es Stephanie zurzeit? Trefft ihr euch nicht normalerweise gerne samstags? Ist heute etwa etwas dazwischengekommen?«, versucht meine Mutter ein Gespräch einzuleiten und die Stimmung aufzulockern, aber vergeblich. Sie ist mindestens genauso angespannt wie vorher auch. Trotzdem stellt Mum Fragen, die mein Vater sich aufgrund fehlenden Wissens – wohl eher mangelnden Interesses – nicht einmal hätte überlegen können.

Bevor ich zu sprechen beginne, gehe ich sicher, dass ich auch selbst das kleinste Stück des Steaks – um natürlich den Anstand extra für meinen Vater zu wahren – runtergeschluckt habe: »Ihr geht es eigentlich ziemlich gut«, meine Antworten sind merklich dezenter, wenn wir nicht nur zu zweit sind, »Und sie hat heute ein Date. Deshalb hab' ich das Treffen verschoben, damit sie es nicht absagen muss.« Ehe ich die Worte ausgesprochen habe, bereue ich sie schon. Ist es nicht mein Vater, der mich ständig dazu drängt, endlich einen perfekten Freund zu finden, damit er später in die Fußstapfen meines Vaters treten kann? Ich bin auch echt hohl, meinem Vater so eine Steilvorlage zu geben.

»Warum suchst du dir nicht auch bald einen Freund? Ich höre nicht einmal davon, dass du dich überhaupt mit Jungs triffst oder den Versuch tätigst, dich nach einem umzuschauen. Alleine wirst du gar nichts im Leben ausrichten können.« Seine eiskalten, blauen Augen und sein strenger Blick durchbohren mich, aber ich versuche mit aller Kraft seinem Blick standzuhalten. Ich hasse es, dass ich gerade seine Augen erben musste und nicht Mums braune Augen, die stattdessen Wärme und Zuneigung ausstrahlen.

Ich könnte es mir nicht verzeihen, jetzt seinem Blick auszuweichen. »Du meinst wohl eher, dass ich als Frau nichts alleine ausrichten kann – deiner Meinung nach«, will ich am liebsten sagen, doch beiße mir rechtzeitig auf die Unterlippe. Dieses Thema anzusprechen, wäre fatal. Stattdessen entscheide ich mich, es auf die rationalste Art und Weise zu regeln, sodass das auch in seinen verdammten, nur von Logik getriebenen und doch eigentlich so unlogischen Schädel geht: »Erstens hat sie nicht einmal einen Freund und zweitens geht dich mein Liebesleben rein gar nichts an. Du kennst es nicht, also stell keine Vermutungen an. Noch dazu werde ich mich ganz sicher nicht von dir drängen lassen«, entgegne ich ihm mit unbändiger Entschlossenheit. Ich werde nicht wie Mum immer klein beigeben. Im Gegensatz zu ihr liebe ich ihn nicht. Daher kann ich ihm ebenbürtig entgegentreten.

Ich begegne erneut seinen eiskalten Augen, doch diesmal mischt sich ein Hauch von grenzenlosem Zorn, Verachtung und auch Enttäuschung darin. Ich zucke kaum merklich zusammen und hoffe, dass niemand es bemerkt hat. Noch dazu überkommt mich üble Gänsehaut und es fühlt sich so an, als würde mein Blut gefrieren. Dieser Mann braucht keine Gewalt – keine Schläge oder Tritte –, allein sein Blick reicht schon aus, um einen in Angst und Schrecken zu versetzen, und seine Worte, um einen unendlich tief zu verletzen.

Er stützt sich mit den Ellbogen am Esstisch ab, während er seine Hände ineinander verflechtet und sein Kinn auf seine Daumen legt. »Ach ja? Ich bin dein Vater und habe dich erschaffen. Also willst du mir ernsthaft weismachen, dass ich als dieser kein Recht habe, mehr über dein Leben zu erfahren und daran teilzuhaben?«, er schnaubt verächtlich, »Mach dich nicht lächerlich. Wenn ich nicht dieses Recht nicht habe, hast du kein Recht, umsonst in meinem Haus zu leben. Wenn du hier Regeln aufstellen willst, werde erst mal erwachsen! Verschwinde von hier und bau dir dein eigenes Leben ohne fremde Hilfe auf. Dann akzeptiere ich deine Meinung vielleicht, dass ich in dieser Angelegenheit keine Rechte besitze.«

Seine eiskalten Augen lodern vor Zorn und ich schaue diesmal wirklich betreten weg. Irgendwo hat er recht und ich will es nicht darauf anlegen, dass er mich wirklich noch aus dem Haus wirft. Das ist aber nicht einmal der Hauptgrund. Hätte ich nicht bereits jemanden, den ich liebe, und wäre das nicht gerade Stephanie, würde ich mich ihm erhobenen Hauptes entgegenstellen. Allerdings kann ich es gerade deshalb nicht. Ich weiß nur zu gut, was er von Homosexuellen hält. ›Verabscheuenswürdig und niederträchtig‹ und ›Haben das Leben nicht verdient, wenn sie es so mit Füßen treten‹. Ich brauche seine Meinung nicht, denn ich kenne sie schon und ich will sie auch nicht hören. Ich will ja nicht einmal, dass er davon weiß. Er will doch, dass ich einen starken Mann anschleppe, der mir mal zeigt, wie das Leben funktioniert, aber stattdessen gehört mein Herz einer Frau – keine Frage, sie ist stark, aber das würde dieser Mann nicht akzeptieren. Für ihn sind alle Frauen gleich – schwach und zerbrechlich. Bräuchten eine starke Hand, die ihnen nur ein Mann reichen kann. Nicht einmal Mum ist da für ihn wohl eine Ausnahme.

Ich glaube, mir wird speiübel. Mein Magen rebelliert. Das gefällt mir gerade gar nicht.

»Es tut mir leid. Ich hab' es zu weit getrieben«, ich stoppe kurz und schlucke wegen der nächsten Lüge schwer, »Nein, bisher ist nichts sonderlich in meinem Liebesleben los.« Ich hasse es, ich hasse es, ich hasse es. Von meiner Mutter hab' ich bereits von klein auf eingetrichtert bekommen, dass es falsch ist, zu lügen, und das hat sie wirklich gut hingekriegt. Zurzeit habe ich deswegen ein verdammt schlechtes Gewissen, aber das hält mich trotzdem nicht davon ab. Hier geht es nicht um kleinere Vergehen, die ich vielleicht begangen habe – von dieser Lüge hier hängt meine ganze Existenz ab. Würde ich die Wahrheit sagen, könnte ich mich gleich schon nach einem neuen Schlafplatz umschauen. Mir bleiben als nichts als Lügen übrig. Nicht einmal meine Mum weiß, dass ich Stephanie liebe. Ich hab' einfach zu große Angst, dass ihr das mal aus Versehen herausrutschen oder ihre Reaktion bereits zu deutlich eine Antwort aufzeigen könnte. Ich habe ganz einfach Angst – vor meinem eigenen Vater.

Ich hasse es, wie er diese Macht über mich besitzt.

»Solange du es verstehst«, sein Zorn scheint allmählich zu schwinden und seine Züge werden weicher, »Im Übrigen habe ich mir das bereits gedacht. Ich habe vor ein paar Tagen mit ein paar Bekannten auf der Arbeit darüber geredet. Du sollst den Sohn eines Kollegen kennenlernen – vielleicht sogar später heiraten. Er geht auch auf deine Schule, aber sollte eine Klasse über dir sein«, verkündet er leichtdahin gesagt und wendet sich nun seinem Salat zu, während mir hingegen die Galle hochkommt.

Ist das sein Ernst? Nicht wirklich, oder? In welchem Jahrhundert ist er denn bitteschön steckengeblieben? Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert! Hier wir in Deutschland ganz bestimmt nicht mehr zwangsverheiratet! Würde ich nicht schon sitzen, hätte ich es spätestens jetzt wohl getan, um das verarbeiten zu können.

Okay, es ist nicht üblich, aber es ist mein Vater. Er würde auf so etwas kommen und nach der Ansprache eben kann ich ihm nicht einmal widersprechen.

»Liebling, jetzt mach aber mal bitte halblang. Anna ist doch erst siebzehn!«, versucht Mum, auf ihn einzureden.

Ja genau, mach mal halblang. Ich habe das Ganze ja nicht einmal verarbeitet und hier wird schon drüber diskutiert.

»Veronika«, es ist nur ihr Name, der gefallen ist, aber selbst der klingt bereits wie eine massive Drohung, »Sie ist wohl eher schon siebzehn. Noch ein Jahr und sie ist volljährig und noch immer hat sie keinerlei Erfahrungen mit Männern – auch nichts im Leben erreicht. Selbst wenn es mit diesem Jungen nichts werden würde, dann hätte sie zumindest ein wenig Erfahrung. Ich verlange ja wohl nichts Unmenschliches.« Und ob er das tut!

Er tupft sich mit einer Serviette die Soße an seinen Mundwinkeln weg, als wäre das gerade seine größte Sorge, während hier über mein Leben entschieden wird – wohlangemerkt: über meinen Kopf hinweg. Erst jetzt bemerke ich, wie sich bereits kalter Schweiß auf meiner Haut ausgebreitet hat und mir unglaublich heiß ist.

Das alles gefällt mir wirklich gar nicht.

Never Be MineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt