Kapitel 29

166 12 4
                                    

Ehrlich gesagt interessiert mich der Film nicht sonderlich. Bei der Auswahl habe ich einfach auf irgendeinen Standard-Liebesfilm gezeigt und Mark hat sich nicht beschwert. Nicht, dass er es überhaupt mal tun würde. Ich könnte ihn wohl auch um zweihundert Euro bitten und er würde sie mir, ohne zu zögern, einfach aushändigen – dieser Typ von Mensch ist er eben. Allerdings denke ich nicht, dass er es bei allen machen würde. Warum er überhaupt noch keine Freundin hat und stattdessen gerade mit mir hier in einem langweiligen Liebesfilm voller übertriebener Dramatik sitzt, ist mir ja das größte Rätsel.

Ich luchse zu ihm rüber. Sein T-Shirt sitzt lose an seinem Körper und wenn es mal verrutscht, gelingt einem ein Blick auf seinen nahezu perfekten Körper. Mit diesem Sixpack, von dem die meisten Jungs nur träumen könnten, und allgemein mit seinem ganzen Aussehen könnte er bestimmt mit Leichtigkeit als Model arbeiten. Allen voran stört es mich aber, dass sein ganzer Körper sowie sein Gesicht keinerlei Makel aufweisen – genauso wie bei Stephanie.

›Die wären bestimmt das perfekte Paar‹, schießt es mir durch den Kopf.

Daraufhin beiße ich mir auf die Unterlippe. Verdammt, daran sollte ich nicht denken. Vor allem, weil Stephanie selbst meinte, dass sie nur noch ernsthaft was mit Jungs anfangen würde, und sie würde bestimmt niemanden daten, den sie sichtlich nicht einmal leiden kann.

Dann wandert mein Blick auf seine vollen Lippen. Ich muss grinsen. Ich wette, dass nahezu jedes Mädchen dafür töten würde, um Bekanntschaft mit diesen Lippen machen zu dürfen. Danach schaue ich weiter auf und sehe in seine Augen – wie sie mich verwundert fixiert haben. Plötzlich überkommt mich die Verlegenheit und ich schaue sofort weg. »Sorry«, murmle ich leise vor mich hin und ich kann nur hoffen, dass das fahle Licht die Röte in meinen Wangen verstecken kann. Verdammt ist das peinlich!

Trotzdem kann ich nicht anders, als einen verstohlenen Blick auf den Jungen neben mir zu werfen. Im nächsten Moment fällt mir schon die Kinnlade runter und mein Mund bleibt offenstehen, als ich sehe, dass er sich sichtlich ein lautes Lachen zu verkneifen versucht. Wenn nicht schon vorher, wäre mir spätestens jetzt die Röte ins Gesicht geschossen. Ich könnte gerade wirklich vor Scham sterben. Warum musste ich ihn überhaupt wie ein gaffender, dummer Idiot anstarren?

Ich schüttle kaum merklich den Kopf. Nein, jetzt habe ich definitiv keine Zeit, mir Gedanken darüber zu machen, sonst halte ich es sicher nicht aus, noch den ganzen restlichen Film neben ihm zu sitzen. Wie lange dauert er überhaupt noch? Ich schaue nach vorne. Läuft er denn nicht schon eine ganze Weile? Nichts wäre mir gerade lieber, als dass er endlich enden würde und ich dieses Treffen danach möglichst schnell beenden könnte.

»Es tut mir leid, aber ich liebe Sebastian«, höre ich das Mädchen im Film sagen und plötzlich ist alles andere zuvor vergessen. Meine Augen weiten sich, mein Herz rutscht mir in die Hose und mit einem Schlag fühlt sich alles so eiskalt an. Um ehrlich zu sein, ich habe dem Film nicht sonderlich viel Aufmerksamkeit gewidmet, aber gerade tue ich es umso mehr. Um noch ehrlicher zu sein, ist der Film tatsächlich ziemlich großer Mist und legt nun wieder den Fokus auf dieses Mädchen und ihrem Sebastian, mit dem sie letztlich zusammenkommt, während der arme Junge von dieser einen Stelle, in der er eine Abfuhr kassiert hat, nicht einmal mehr erwähnt wird. Ist das denn alles, was er wert gewesen ist? Nur weil er nicht der Richtige für sie ist, spielt er plötzlich für die Geschichte keine Rolle mehr, sobald er seine Liebe gestanden hat? Sobald er seine Rolle in diesem Film erfüllt hat? Mein ganzer Körper spannt sich krampfhaft an und ich beiße die Zähne zusammen.

Nehme ich dann nicht genau die gleiche Rolle wie er ein? Bin ich dann nicht genauso unwichtig für Stephanies Liebesleben wie dieser Junge? Kann ich wirklich nur stillschweigend zusehen, wie sie die Liebe ihres Lebens finden wird? Dass sie diesen Gedankenumschwung hatte, ist das nicht vielleicht jemand Bestimmtem zu verdanken? Jemandem, den sie vielleicht liebt? Heißt das, ich habe keine Chancen mehr?

Nein, dieser Gedanke bringt mich um. Allein die Vorstellung treibt mich bereits in den Wahnsinn. Ich beiße mir auf die Unterlippe und balle meine Hände zu Fäusten, doch der Schmerz, diese Gedanken und Gefühle vergehen einfach nicht, egal, wie fest ich auch zubeiße, während sich langsam meine Fingernägel schmerzhaft in meine Handinnenflächen bohren. Trotzdem triumphiert der innere Schmerz.

Ich will dass dieses schmerzvolle Ziehen in meiner Brust endlich aufhört.

»...na? Anna?« Ich schrecke auf und finde mich in einem hellbeleuchteten Raum wieder. Im ersten Moment blendet mich das grelle Licht, aber meine Augen gewöhnen sich schnell daran. Dann neige ich meinen Kopf zu Mark und schaue ihn verwirrt an – noch immer mit geweiteten Augen. Er hingegen scheint besorgt. »Ist alles okay bei dir? Der Film ist zu Ende.«

Warte, was? Seit wann? Dennoch zwinge ich mir ein Lächeln auf. »Nein, alles gut. War nur etwas in Gedanken versunken.«

Er zögert kurz, doch dann erscheint ein breites Grinsen auf seinem Gesicht. »Gut, wollen wir uns dann einfach in ein Eiscafé setzen und etwas plaudern?« Ahh, und da ist es schon wieder – diese Angewohnheit an ihm. Nie fragt er mich, wenn ihm etwas seltsam vorkommt oder wenn ihn etwas eigentlich sichtlich interessiert. Schließlich glaube ich nicht, dass er nicht bemerkt hat, wie ich gerade drauf gewesen bin. Kein normaler Mensch hätte das übersehen können, aber jeder andere hätte mich gefragt, woran ich denn gedacht habe. Dieser Junge stattdessen tut alles mit einem einfachen Lächeln ab.





Sobald wir das Eiscafé betreten und uns in eine ruhige Ecke gegenüber voneinander hingesetzt haben, kann ich mir die Frage einfach nicht mehr verkneifen: »Sag mal: Warum fragst du mich eigentlich nie etwas Persönliches? Oder fragst mich, warum ich überhaupt diesem Arrangement mit dir zugestimmt habe?«, ich stoppe kurz, »Oder was das eben im Kino sollte?«

Nun schaut er mir für mehrere Sekunden ernst ins Gesicht und unterdessen breitet sich eine längere Stille aus, die keiner von uns unterbricht – ich nicht, weil ich keinen Grund dazu habe, und er nicht, weil er nachzudenken scheint. Scheinbar muss er die richtigen Worte erst einmal zurechtlegen.

Dann blickt er zur Decke hinauf, während er seinen Kopf in seine rechte Hand stützt. »Hmm, weil wir uns vielleicht eigentlich gar nicht kennen? Es wäre, als würde ich eine Fremde über ihr Privatleben ausquetschen und mir gefällt der Gedanke einfach nicht. Es ist wahrscheinlich nicht einmal so, als würden wir beide das hier wirklich wollen«, dann hebt er plötzlich abwehrend die Hände und wirkt nervös, »Ah, aber das soll nicht heißen, dass ich nicht gerne Zeit mit dir verbringe! Ich mag es, mit dir zu schreiben, und auch dieses Treffen heute war wirklich schön«, trotz seines Lächelns scheint sein Blick betrübt, »Nur, zu Beginn wollten wir Beide das wohl nicht, aber haben es letztlich einfach hingenommen.«

Never Be MineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt