Kapitel 27

175 13 0
                                    

»Weißt du, was ich mich schon die ganze Zeit frage?«

»Was'n?« Ich bin gerade zu sehr damit beschäftigt, die Hausaufgaben für die nächste Stunde zu machen, um meiner besten Freundin wirklich richtig zuzuhören. In dem ganzen Drama am Wochenende habe ich die Schule ganz einfach völlig vergessen.

»Warum freundest du dich denn nicht mit mehr Leuten an? Mit deinem Charakter könntest du das sicher leicht. Schließlich ist er leicht umgänglich und mit dir würde es nie langweilig werden«, fragt mich Stephanie mit einem zarten Lächeln, während ein neugieriges Augenpaar auf mir ruht. Ich hingegen schaue nicht auf, sondern löse weiterhin die Aufgaben.

»Weil ich sie nicht brauche. Ich hab' doch dich als meine beste Freundin. Reicht das nicht?« Es ist, wie ich es sage. Ich habe Stephanie und mehr benötige ich nicht.

»Ähm, ist ja deine Entscheidung, aber was wäre denn, wenn wir uns auseinanderleben oder zerstreiten sollten?« Daraufhin blicke ich gekränkt auf. Geht sie denn davon aus, dass das passieren wird?

Ich finde Verwirrung in ihren Augen wieder und verstehe, dass sie meine Logik wohl einfach nicht verstehen kann. »Willst du das denn so unbedingt?« Meine Augen funkeln sie wütend an.

Jetzt scheint ihr die Situation sichtlich unangenehm und sie blickt weg. »Nein, es ist nur, ich mach' mir eben Sorgen um dich.«

Dann widme ich mich wieder meinen Hausaufgaben. »Das brauchst du nicht. Notfalls könnte ich danach auch noch Freundschaften knüpfen. Meintest du nicht schließlich, dass ich das mit meinem Charakter mit Leichtigkeit könnte? Dann gibt es doch gar keinen Grund zur Sorge.«

Dabei umspielt ein sanftes Lächeln meine Lippen.

»Wenn du meinst...« Sie wirkt noch immer unsicher, doch ich lasse es einfach dabei beruhen. Es ist nicht so, dass mir die anderen egal wären. Es ist nur so, dass mir Stephanie wichtiger ist, und außerdem kann sie in dieser Schule kaum einer wirklich gut leiden, denn ihr Ruf eilt ihr eben voraus. Allein schon, wenn ich meinen Blick nach links schweifen lasse, erkenne ich bereits die unruhigen Blicke auf Stephanie ruhen, während diese Personen mit vorgehaltener Hand über sie tuscheln. Es braucht kein Studium, um zu sehen, dass sie ihr nicht gerade wohlgesonnen sind. Dabei ist das gerade nur ein einzelnes Beispiel. Würde ich nach mehr suchen wollen, würde ich mit Leichtigkeit fündig werden.

Dann fällt mein Blick auf Julian und mein Atem stockt. Ach ja. Den gibt es ja auch noch.

»Und? Wie läuft es zurzeit so mit Julian? Irgendwelche Fortschritte?«, frage ich und versuche möglichst neugierig zu klingen, selbst wenn es mir wirklich schwerfällt. Es tut nun mal weh, wenn man praktisch danach fragt, verletzt zu werden, weil man sich dann von seiner Liebe anhören muss, wie sie von jemand anderem schwärmen wird. Das ist doch bescheuert, oder nicht? Wäre es nicht Stephanie, würde ich erst gar nicht fragen.

Nicht, dass ich überhaupt jemand anderen fragen könnte.

»Ich hab' ihn in den Wind geschossen. Da läuft gar nichts mehr«, antwortet sie so beiläufig, als wäre das gar nichts – sogar so beiläufig, dass ich ihre Worte im ersten Moment gar nicht so richtig verstehe.

Als es dann aber allmählich in mir Klick macht, halte ich in meiner Schreibbewegung inne und schaue dieses grinsende, rothaarige Mädchen mit weit aufgerissenen Augen an.

Ich suche nach ihm, aber finde den Witz darin einfach nicht. Meint sie das also ernst? Nachdem sie so sehr von ihm geschwärmt hat? Und jetzt ist er auf einmal für sie gestorben? Da ist doch was faul. »Warum das denn? Hast du nicht erst vor Kurzem noch davon geredet, wie toll er ist? Was ist denn passiert? Hat er irgendwas falsch gemacht?« Nachdem sie so fasziniert gewesen ist, könnte es sie doch wohl auch nicht mal abschrecken, wenn er mit ihr ins Bett steigen wollen würde. Ehrlich gesagt wäre sie wohl eher die Letzte, die da ›Nein‹ sagen würde.

Oder könnte er sich doch als richtiges Arschloch herausgestellt und Stephanie vielleicht auch geschlagen haben!? Allein der bloße Gedanke daran verschlägt mir den Atem und lässt den rasenden Zorn hervorkommen.

Sie zuckt mit den Schultern. »Nein, aber ich denke, wir passen einfach nicht zusammen. Außerdem war es scheinbar doch nur eine kleine Schwärmerei gewesen – vielleicht auch nur Einbildung«, sie schüttelt mit dem Kopf, »Ich hab' übrigens für mich beschlossen, keine leichtfertigen Dates oder Zeitvertreibe mehr einzugehen. In Zukunft werde ich nicht mehr spielen, sondern nur noch auf Jungs eingehen, mit denen ich es dann auch wirklich ernst meinen würde.«

Warte.

Nur eine Sekunde.

Ich brauche noch eine Sekunde, um zu verstehen, was sie mir gerade zu sagen versucht. Währenddessen starre ich sie mit offenem Mund sprachlos an. Keine leichtfertigen Dates mehr? Keine Zeitvertreibe? Nur noch Jungs, mit denen sie es auch ernst meinen würde? Passiert das gerade wirklich? Diesen Gedankenumschwung, den ich mir so sehr gewünscht habe, hat sie den gerade etwa wirklich? Es ist fast schon zu schön, um wahr zu sein. Dann würde doch nur noch ein kleiner Schritt fehlen, bis sie tatsächlich die Liebe ihres Lebens finden würde.

»Was?«, ich klinge verwirrt, »Also, ich finde es toll. Versteh mich nicht falsch, aber warum auf einmal?« In einem kurzen Moment der Schwäche sehe ich, wie ihr für eine Millisekunde die Gesichtszüge entgleiten, sie sich aber recht schnell wieder fängt. Irgendwas stimmt also wirklich nicht und wie ich sie kenne, wird sie es mir auch nicht sagen wollen.

»Weniger von mir, aber mal mehr von dir: Wie läuft es denn mit Mark?« Wusst' ich's doch.

Auch wenn es mich wirklich brennend interessieren würde, lasse ich es darauf beruhen. Schließlich will ich Stephanie nicht in Bredouille bringen oder miese Erinnerungen hochbringen. Außerdem ist es doch schon ein großer Schritt, dass sie diese Lebensweise überhaupt überdacht hat.

Also seufze ich nur und stütze meinen Kopf auf meine rechte Hand, während mein Arm sich auf dem Tisch stützt. Unterdessen fällt mein Blick auf die Tür. Warum kann nicht gerade jetzt der Lehrer hereinkommen und mich aus dieser Situation herausholen? Ich will nicht über diesen Jungen reden, den ich von meinem Vater aufgehalst bekommen habe.

»Da läuft gar nichts und das weißt du genau. Ich hab' bisher nur mit ihm geschrieben und er scheint ganz nett zu sein. Man kann auch ganz gut mit ihm schreiben und er hat einen guten Humor. In zwei Wochen sollen wir uns das erste Mal in der Stadt treffen. Vermutlich an einem Samstag«, erzähle ich, während ich sinnlose Striche in mein Heft kritzle. Ich kann Stephanie hier einfach nicht in die Augen schauen.

»W-wäre«, jetzt schaue ich doch auf, »es nicht für alle dann am besten, wenn du dich in ihn verlieben könntest? Ich meine, dann würde dein Vater sich nicht mehr beschweren und du selbst hättest es auch danach einfacher.« Ich sehe ihr Unbehagen hinter ihrem Lächeln und höre die Angst aus ihrer Stimme heraus.

Deshalb hebe ich meine linke Hand und schnipse ihr gegen die Stirn. Ich hebe eine Augenbraue. »Stimmt nicht«, sofort habe ich wieder ihre volle Aufmerksamkeit und sie ignoriert ihre etwas rötliche Stirn, »Dir würde es nicht gefallen. Erinnerst du dich nicht mehr? Deswegen will ich mich gar nicht erst in ihn verlieben. Du bist mir noch immer wichtiger als er.«

Daraufhin schaut sie mich mit weit geöffneten Augen an, während die Überraschung darin nicht zu übersehen ist. Also will ich ihr Zeit geben, meine Worte zu verarbeiten und widme mich wieder meinen Aufgaben, als mich plötzlich wie aus heiterem Himmel eine Umarmung überfällt. Dieser Überraschungsangriff sorgt dafür, dass ich knallrot anlaufe.

›Gewöhnst dich wohl nie an engeren Körperkontakt mit anderen Menschen, was?‹ Meine innere Stimme lacht hämisch, ›Nicht einmal mit Stephanie.‹

Ist mir eben unangenehm!

›Sicher, dass das die ganze Wahrheit ist?‹

Was ist denn schon dabei, wenn ich es nicht mag? Ich meine, Stephanie sieht das alles hier vielleicht als einen Akt der Freundschaft an, aber für mich wird es immer eine andere Bedeutung haben. Mein Körper wehrt sich einfach dagegen, sich auf Menschen einzulassen, von denen er letztlich nur verletzt wird. Deshalb könnte ich auch nur schwer die Initiative ergreifen. Damit würde ich mir doch nur selbst schaden.

Never Be MineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt