Kapitel 49

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[Stephanie:]

Die Tage fühlen sich wie eine Ewigkeit an. Wie lange ist es schon her, dass Anna und ich nicht mehr geredet haben? Nicht mal eine Woche und trotzdem fühlt es sich so an, als würde es mich bereits umbringen. Ob es sich so anfühlt, wenn man auf Entzug ist?

Warte.

Das klingt fast schon so, als wäre sie eine Droge.

Ich seufze. Dann schmecke ich die Suppe ab, die ich gerade für das Abendessen heute mit Frau Karls am Vorbereiten bin. Zuvor hab' ich bereits das ganze Haus auf den Kopf gestellt, damit alles sitzt und passt. Bei Anna ist es mir immer egal gewesen, da ich sie schon von klein auf kannte, aber Frau Karls ist die erste Person, die ich außer Anna jemals zu mir Nachhause eingeladen habe. Selbst die unzähligen Jungs bekamen mein Zuhause niemals zu Gesicht, denn es würde sich für mich so anfühlen, als würde ich ihnen einen Teil von mir offenbaren, der besser geheimbleiben sollte – den niemanden etwas angeht. Immerhin verbinde ich mit diesem Ort so viele Erinnerungen – sowohl guter als auch schlechter Natur. In dieser Umgebung wüsste ich nie, ob ich meine Fassade aufrechterhalten könnte.

Ich checke die Uhrzeit. Gut, die Viertelstunde wird reichen, um alles vorbereitet zu haben, bis mein Gast hier ankommen wird. Vorsichtshalber fege ich nochmal durch das Wohn- und Esszimmer. Dabei driften meine Gedanken immer wieder unbewusst zu Anna ab.

Wie es ihr wohl jetzt geht? Bestimmt prächtig. Sie scheint sich auch wahnsinnig gut mit ein paar Leuten aus unserer Stufe zu verstehen und mit Mark scheint auch alles wie immer zu funktionieren.

›Ist doch gut, oder nicht?‹

Ist es. Ich wünsche ihr nur das Beste, selbst wenn es mir selber widerstrebt. Solange sie glücklich ist, will ich es akzeptieren. Selbst wenn ich jeden Tag nur damit verbringe, verbissen so zu tun, als würde ich Aufgaben für die Schule erledigen, während ich mich aber selbst immer wieder dabei erwische, wie ich verstohlen Blicke auf Anna werfe, oder mich besonders anstrenge, ihrer Stimme zu lauschen.

Plötzlich klingelt es an der Tür und ich werde aus meinem Gedankenwirrwarr gezerrt. Vermutlich hätte ich dankbar dafür sein sollen.

»Guten Abend, Frau Karls.«

»Guten Abend.« Ein gewohntes Lächeln begleitet sie.

»Sie können mir Ihre Jacke geben und sich schon mal an den Esstisch setzen. Den Flur runter, dann rechts. Am anderen Ende des Wohnzimmers steht das Essen schon auf dem Tisch.« Sie reicht mir ihre Jacke und ein angenehm süßlicher Duft steigt mir in die Nase.





»Gemüsesuppe?« Sie klingt amüsiert.

»Ich hätte Hühnersuppe ja bevorzugt, aber ich wusste nicht, ob Sie Vegetarierin oder gar Veganerin sind. Mit Gemüsesuppe kann man nichts falsch machen und trotzdem schmeckt es unglaublich gut«, lüge ich. Eigentlich mag ich Gemüsesuppe nicht einmal wirklich und Hühnersuppe gefällt mir genauso wenig, aber es stimmt, dass ich kein unnötiges Risiko eingehen wollte.

»Scharfsinnig wie immer, was?« Sie lacht und probiert daraufhin den ersten Löffel. Dann strahlt ihr Gesicht vor Freude. »Es schmeckt wirklich lecker!« Ein einfaches ›Danke‹ überkommt meine Lippen und jetzt kommt allmählich das Problem auf, worüber ich mir schon seit Tagen den Kopf zerbrochen habe: Worüber redet man am besten mit einer Lehrerin, während sie bei einem Zuhause am Esstisch sitzt? So eine Situation habe ich wirklich noch nie erlebt und genauso wenig davon gehört. Allein schon, dass ich mich gerade in einer solchen befinde, ist schon unglaublich seltsam. Daher schweigen wir. Wir schweigen, bis wir zu Ende gegessen haben. Selbst wenn diese Stille bereits unangenehm gewesen ist, fühlt sie sich trotzdem weitaus angenehmer an als die Situation, sobald wir uns nur stillschweigend gegenübersitzen.

Never Be MineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt