Kapitel 37

164 12 5
                                    

»Ich glaube, ich sollte langsam gehen. Es ist schließlich schon ziemlich spät«, meine Mutter steht auf, »Gute Nacht, mein Schatz, und schlaf gut. Es war wirklich schön, mal wieder mit dir geredet zu haben«, verabschiedet sie sich von mir und ich tue es ihr gleich. Immerhin ist es schon zehn Uhr abends. Danach verlässt sie den Raum und schließt leise die Tür.

Ich schaue sehnsüchtig auf mein Handydisplay.

Sollte ich Stephanie dann wirklich noch anrufen? Eigentlich hab' ich es ja vorgehabt, aber dann kam meine Mutter hereingestürmt. Nicht, dass es mich gestört hätte, denn ich finde die Zeit mit meiner Mutter immer wundervoll, jedoch muss ich Stephanie das mit nächster Woche unbedingt erzählen.

Ich seufze.

Dann hab' ich doch eigentlich am Ende gar keine andere Wahl, oder nicht? Es heißt wohl ›Augen zu und durch‹...

Ich scrolle durch meine Kontaktliste. Daraufhin muss ich schmunzeln. Viele hab' ich da sowieso nicht drinnen.

Dann drücke ich auf Stephanies Nummer und warte, während ich versuche, mich mental auf das folgende Gespräch vorzubereiten. Ich hasse es wirklich, Stephanie etwas zu beichten, aber gerade noch viel mehr, weil ich weiß, dass es ihr auf gar keinen Fall gefallen wird, was ich ihr zu sagen habe.

»Hat mich da jemand etwa so sehr vermisst, dass er mich sogar zu solch später Stunde noch anrufen muss?«, versucht sie mich direkt zu necken, doch ich gehe nicht darauf ein. Nicht, dass ich es wirklich mit Absicht getan hätte. Ich bin einfach gerade zu sehr mit der Beichte beschäftigt, die ich gleich abliefern muss.

»Sei still und hör zu. Ich muss dir was gestehen und es wird dir gar nicht gefallen.«

Stille.



[Stephanie:]

Ich trau' mich nicht einmal, nachzufragen. Wie so oft versagt mir die Stimme in den entscheidendsten Momenten. Ehrlich gesagt will ich es auch gar nicht wissen. Wirklich, das schlimmste Szenario, das ich mir ausmalen könnte, wäre, wenn sie mir sagen würde, sie wäre jetzt mit diesem Mark zusammen und wolle deshalb nicht mehr mit mir befreundet sein. Obwohl ich mir das eigentlich nicht vorstellen kann, ist die Wahrscheinlichkeit für dieses Szenario gerade sogar ziemlich hoch. Ich meine, sie hatte eben erst ein Treffen mit ihm und sie sagt, dass es mir gar nicht gefallen werden würde. Sie hat mich wahrscheinlich auch direkt nach dem Date angerufen, sonst hätte sie sich schon viel früher gemeldet, also scheint es schon ziemlich schlimm zu sein.

»Steph?« Ich schrecke auf. Was, wenn ich wirklich recht haben könnte? Will ich es dann wirklich wissen? Wirklich hören?

›Sieh nur, wie die Ehrlichkeit dich zugrunde richtet!‹, die Stimme lacht hämisch, ›Es kommt nie etwas Gutes dabei raus, wenn Menschen ehrlich zueinander sind.‹

Ich schlucke schwer.

»Meintest du nicht, ich solle still sein? Warum willst du denn dann, dass ich jetzt wieder rede?« Ich versuche wirklich mit aller Kraft gelassen zu klingen. Ich zwinge mir sogar wie automatisch ein Lächeln auf, obwohl sie das doch gar nicht sehen kann - die Macht der Routine.

»Es ist eben ungewohnt, dass du plötzlich brav auf mich hörst!«, beschwert sie sich in einem genervten Tonfall. Ich kichere. Ja genau, so ist es richtig. So gefällt mir das. Dass ich vorhin still gewesen bin, war ja auch nicht ihrem Befehl, sondern meiner Sprachlosigkeit geschuldet - was sie jedoch nicht unbedingt wissen muss. Sie fährt fort: »Also, ich hatte ja heute dieses Treffen mit Mark und dabei kam es zu einer Situation, die ich leider nicht mehr rückgängig machen kann. Er hat mich nämlich gefragt, ob ich-«

»Sorry«, sage ich schnell und lege dann auf.

Vielleicht habe ich es geschafft, still zu sein, aber auch noch unter diesen Umständen zuzuhören? Das ist einfach zu viel verlangt. Es wäre mir wahrscheinlich sogar leichter gefallen, mich in den Tod zu stürzen, als mich hier in diesem Gespräch schmerzvoll töten zu lassen.

Never Be MineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt