Kapitel 45

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[Stephanie:]

Ich wollte es wissen – jetzt bereue ich es, Gewissheit zu haben. Es tat einfach in der Seele weh, als ich gesehen habe, dass sie sich sofort wieder aus dem Staub machen wollte, sobald sie mich erspäht hat. Die Gefühle haben einfach die Oberhand gewonnen. Ja, ich weiß, es war falsch, ihre Gefühle vor allen Leuten zu offenbaren. Selbst wenn ich sagen würde, dass ich im ersten Moment gar nicht über meine Worte nachgedacht, sondern meinen Emotionen das Reden überlassen habe, würde das gar nichts besser machen. Selbst wenn ich sagen würde, dass ich mir etwas dabei gedacht habe, hätte ich es nicht so weit treiben müssen. Ich hätte genügend andere Möglichkeiten gehabt und wählte dennoch diese. Wenn das nicht verwerflich ist, würde ich 'nen Besen fressen.

»Dann noch viel Spaß euch beiden«, erwidere ich knapp, mache auf dem Absatz kehrt und verschwinde – ziehe diesen Hohlkopf unterdessen mit mir. Ja, ich wollte unbedingt wissen, ob ich mich nicht vielleicht doch hätte irren können, aber ich wusste nicht, wie schmerzhaft die Wahrheit sein könnte, würde man sie noch vor Augen geführt bekommen. Ich hätte nicht einmal gedacht, dass Mark sie insoweit verändern könnte, dass sie sich sogar trauen würde, jemanden vor anderen zu küssen – sogar die Initiative zu ergreifen. Wirklich, Anna ist etwas ganz Besonderes. Ein sanftes Lächeln stiehlt sich auf mein Gesicht, während ich mit aller Kraft versuche, die heißen Tränen wegzublinzeln. ›Behandle sie bloß gut und pass für mich auf sie auf‹, spreche ich in Gedanken zu Mark. Immerhin haben sie es mir bewiesen: Unter jeglichen Umständen würde er sie vor Gefahren und Feinden schützen und Anna würde sich nicht so einfach fertigmachen lassen. Egal, wie kitschig es auch klingen mag, ihre Liebe scheint stärker als alle Hindernisse zu sein. Dann kann ich sie doch beruhigt ziehen lassen, oder nicht?

Am Ende des Flurs bleibe ich stehen. Keine Menschenseele in Sicht. »Ich mache Schluss«, werfe ich ein. Dabei schaue ich ihn nicht an. Im ersten Moment drehe ich mich nicht einmal um. Erst nach diesen Worten wage ich es und sobald ich in seine Augen blicke, weiß ich, warum ich mich davor gestrotzt habe: In ihnen erblicke ich die gleiche Kälte wie in denen von dem Mann damals auf jenem Spielplatz. Vielleicht mag es Einbildung sein, aber es lässt mein Blut mit derselben Wirkung gefrieren.

Auf wen habe ich mich da bitteschön eigentlich eingelassen?

»Hä?« Auf einmal glüht in seinem Blick der Zorn auf, aber ich wende meine Aufmerksamkeit nicht von ihm ab.

»Ich will das zwischen uns beenden. Ich denke nicht, dass ich das hier noch weiterhin will.« Anna hätte bestimmt ein leichtes Zittern in meiner Stimme wahrnehmen können. Ich hätte lachen können. Dieser Idiot aber würde es nicht können – nicht einmal in hunderttausend Jahren.

Plötzlich packt er mich an beiden Oberarmen und unter dieser festen Berührung zucke ich vor Schmerz kaum merklich zusammen. Kann er es denn nicht auch etwas sachter angehen? »Du hast hier gar nichts zu melden! Ich sage, wann Schluss ist! Haben wir uns verstanden!? Wie würde ich denn vor meinen Freunden stehen, wenn sie herausfinden würden, dass ich bereits nach einem Tag abgeblitzt worden wäre!? Das lasse ich nicht zu!«, brüllt er mich mit extrem lauter Stimme an, dass ich fast schon befürchten muss, mein Trommelfell würde platzen. Als ich erneut in sein Gesicht blicke, überkommt mich die Angst. Dieses Gefühl, in Bedrängnis zu sein, es ist das gleiche wie damals. Meine Kehle schnürt sich zu und das Atmen fühlt sich auf einmal zu schwer an. Ich will ihn von mir drücken, doch er ist bei Weitem stärker. Sein selbstgefälliges Grinsen eröffnet mir eine weitere Ähnlichkeit mit dem Mann von damals – wie er mir mit solch einer ekelhaften Freude unbändige Schmerzen zugefügt und mich psychisch gänzlich terrorisiert hat. Wie könnte ich das auch vergessen? Erneut drohe ich zu hyperventilieren.

Dieses Mal aber ergreift mich der Wahnsinn und in dieser einen Sekunde setzt mein Verstand vollkommen aus. Mit aller Kraft schleudere ich mein Knie zwischen seine Beine und während er sich vor Schmerzen krümmt und zu stöhnen beginnt, löse ich mich aus seinem Griff und schaffe schweratmend beträchtlichen Abstand zwischen uns. Nein, diese Situation ist sicher nicht wie damals. Er kann mich mit nichts bedrohen und diesmal bin ich schlauer. Ich bin nicht mehr das gleiche kleine, schwächliche Mädchen von damals. Dieses Mal werde ich es sein, die zuletzt lacht!

Never Be MineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt