Kapitel 5

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[Vergangenheit]

Warum?

Tränen strömen in Massen meine Wangen hinunter, doch ich unterdrücke ein Schluchzen. Nicht ich bin es, die leidet, sondern sie. Wer gibt mir also das Recht, mich mehr als sie gehen zu lassen? Aber ich muss es einfach tun. Gerade weil sie es selbst nicht tut – nicht einmal kann. Diese Möglichkeit ist ihr grausam genommen worden und halte ich mir das vor Augen, staut sich wieder der Zorn in mir auf und es kommen nur noch viel mehr Tränen hervor. Diese Welt ist doch viel zu grausam und gemein zu einem kleinen Mädchen, das sogar unter einer einfachen Berührung zerbrechen könnte.

Sagt mir nur, warum! Warum musste das passieren? Gerade ihr?

Meine Umarmung wird fester – als hätte ich Angst, dass ich sie ansonsten verlieren könnte. Trotzdem fühlt es sich so an, als würde ich es. Sie scheint mir nicht einmal am selben Ort wie ich zu sein und das macht mir Angst. Ich hab' solche Angst, dass nichts mehr so sein wird wie früher. Dass nichts mehr in Ordnung kommen wird. Dass ihr Lachen nichts als reine Farce sein wird. Dass ihr Blick für immer ins Nichts blicken und etwas fixieren wird, was nicht einmal ihre beste Freundin sehen kann – was nur sie allein erkennt und sie für sich selbst zu bewältigen versucht. Ich will ihr so gern helfen und diesen Kampf mit ihr zusammen bestehen. Nur... Alles, was ich sehe, ist lediglich, wie sie mir allmählich aus den Händen zu gleiten scheint. Ich kann nichts von ihr auffangen – nichts von ihr retten. Ich weiß, dass ich nur tatenlos mitanschauen kann, wie sie sich vor meinen Augen allmählich verändern wird.

Davor darf ich die Augen nicht verschließen.

Jedoch wird sie für mich immer dieselbe Person bleiben. Egal, wie sehr sie sich verändern wird, ich werde sie immer lieben und an ihrer Seite sein wollen. Ich will sie nicht alleine lassen, sondern ihr stattdessen das Gefühl geben, dass ich immer für sie da sein werde. Es ist mir so verdammt gleich, wie wenig ich von dieser jetzigen Stephanie hinterher erkennen werde. Ich will nur, dass sie mit sich selbst glücklich sein kann. Dass sie mit sich selbst im Reinen sein kann. Dass ihr zumindest diese Möglichkeit nicht verwehrt wird.


[Gegenwart]

Da habe ich es zum ersten Mal realisiert und verstanden – dass Stephanie mir mehr bedeutet als nur als eine einfache beste Freundin. Sie ist für mich weitaus mehr gewesen und trotzdem ist es mir schon ab dem ersten Moment klar gewesen: Sie liebt mich nicht.

Ich wusste von Anfang an, dass diese Liebe unerwidert bleiben würde und trotzdem hab' ich mir viel zu viele Hoffnungen gemacht. Ich hab' meine Gefühle all die Jahre lang für mich behalten, nur um am Ende feststellen zu müssen, dass Stephanie schon längst von ihnen wusste. Wozu dann eigentlich die ganzen Mühen? All die schlaflosen Nächte und die schmerzhaften Tage?

Nein, das steht gar nicht erst zur Debatte. Es geht von Anfang an nur um Stephanie. Ich will es heute noch immer – sie glücklich sehen. Nur dass sie das zurzeit nicht zu sein scheint – zumindest nicht aufrichtig. Ich muss nachdenken.

Bis ich aus meinen Gedanken gerissen werde.

»Erde an Anna. Was ist los?«, fragt mich Stephanie und sobald ich zu realisieren beginne, sehe ich, wie nah ihr Gesicht an meines gerückt ist. Ich schrecke auf und weiche ein paar Zentimeter zurück. Wenn ich schon nicht sonderlich viel Abstand schaffen kann, dann zumindest jeden Millimeter, den ich kriegen kann.

Ich beiße mir auf die Unterlippe. Verdammt, das ist echt das Letzte, woran ich überhaupt noch denken möchte. Ich will mich nicht erinnern. Es tut einfach nur weh.

»Sorry, war in Gedanken versunken.« Ich widme mich wieder dem Teller mit Spaghetti Bolognese vor mir. Es wundert mich ohnehin, was Stephanies Mutter dazu gebracht haben könnte, uns überhaupt etwas zu essen zu machen. Das sieht ihr nicht einmal im Ansatz ähnlich. Vielleicht will sie aber auch einfach Veränderungen in ihr Leben bringen.

Veränderungen?

Wie ihre Tochter. Veränderungen...

Mein Blick wird wieder trübe. »Worüber hast du denn nachgedacht?« Ich blicke sofort auf und sehe, wie sie die Stirn gerunzelt hat und mir misstrauisch in die Augen schaut. Sie scheint etwas zu riechen und das gefällt mir gar nicht. Bei jedem anderen Gedanken hätte ich ihr direkt offen und ehrlich gesagt, was los sei, aber gerade bei diesem Thema kann ich es nicht – ihr zuliebe.

Ich wende den Blick ab. »Nichts Besonderes. Nur zum Beispiel, dass es untypisch für deine Mutter ist, uns wirklich Essen zu machen. Hätte eher damit gerechnet, dass wir noch schnell einen Abstecher in den Supermarkt machen müssten.« Ich bin noch nie gut darin gewesen, zu lügen und gerade deshalb tue ich es nicht. Immerhin hab' ich mir das tatsächlich gedacht.

Stephanie wirft mir noch einen weiteren misstrauischen Blick zu, bevor sie sich dann aber doch wieder ordentlich vor ihren Teller – und mit gebührendem Abstand neben mich – setzt und sich eine kleine Portion auf den Löffel stapelt. »Vielleicht versucht sie ja etwas wettzumachen, was aber schon längst nicht mehr wettzumachen ist. Wobei ich eher denke, dass sie einfach in Stimmung gewesen sein wird. Oder sie hat einfach vergessen, dass sie noch eine Verabredung hat.« Ihr Lächeln wirkt gezwungen und qualvoll. Meine Augen verengen sich und ein schmerzvolles Ziehen macht sich in meiner Brust breit.

Ich Idiot. Ich hab's wirklich vermasselt.

Ich hab' mich schon umgeschaut, als ich ins Haus hereingekommen bin. Ihr Vater ist nicht Zuhause und ich kann es mir wirklich sparen, sie zu fragen, wo er sei. Immer ist es das Gleiche: Er ist auf Geschäftsreise. Und währenddessen hat seine Frau auf einmal ganz andere tolle Dinge zu tun.

Mit einem Mal überkommt mich der gleiche Zorn wie immer. Ich will dieser Möchtegernmutter wirklich nur allzu gern den Kopf abreißen.

Trotzdem ist Ruhe angesagt, denn Stephanie hat gerade Priorität. Daher löse ich mich von meinem Teller und näher' mich ihr an. Daraufhin wendet sie ihren Kopf in meine Richtung und ich drück' ihr einen kurzen Kuss auf den Mund. Anschließend nehme ich wieder meine Ausgangsposition ein, während ich ihr ein sanftes Lächeln schenke. »Dann ist es doch gut, dass ich heute hier übernachte. So musst du die Nacht nicht allein verbringen.«

Ein verschmitztes Grinsen taucht auf ihrem Gesicht auf. Okay, das bereitet mir doch schon Unbehagen – auf eine andere Art und Weise. »Ach ja? Du willst mir doch sowieso nur schmeicheln, damit wir es heute Nacht wieder machen.« Sie macht eine wegwerfende Bewegung und widmet sich wieder ihrem Essen.

Die Röte schießt mir in die Wangen. Ich weiß, dass das verdammt nochmal ein Scherz von ihr gewesen ist, aber genau deswegen will ich mich nicht einfach ihren Regeln beugen. Es schmerzt, wenn ich daran denke, dass das alles für sie nur Spaß ist, während ich es wirklich ernst meine – und das nicht nur erst dieses Mal. »Nein, weil ich nicht will, dass du alleine sein musst, wenn du es nicht ertragen kannst«, erwidere ich mit einem sanften lächeln. Plötzlich lässt sie von ihrem Besteck ab und schaut mich verwundert an. Ihre Augen weiten sich, sobald sie zu realisieren beginnt. Sie will etwas erwidern und ich weiß genau, dass sie mir widersprechen möchte. Gerade deshalb lasse ich es erst gar nicht zu. »Du kennst die Wahrheit besser als ich, oder nicht? Du warst schon immer so gewesen. Du warst noch nie gerne alleine.«

›Und trotzdem fühlst du dich immer so – in diesem Haus mit dieser Frau.‹ Das behalte ich für mich. Ich könnte ihr das nicht antun. Nicht noch mehr, als ich sowieso schon habe.

Sie sagt darauf nichts. Ich weiß, dass sie es will, aber sie behält es für sich. Ich weiß einfach, dass sie sich bewusst ist, dass ich auf meine Meinung beharren werde, egal, was sie mir auch nun sagen würde, einfach weil ich es ihr nicht glauben würde. Selbst wenn, letztlich kann sie sich nicht selbst täuschen.

Never Be MineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt