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„Das fandest du also gut?", schmunzelte er und wieder wurde der Druck von seiner Hand ausgehend auf meinen Oberschenkel stärker.
Ich betrachtete die Tattoos auf seinen Fingern, es war je ein Buchstabe auf dem Rücken des untersten Fingerglieds, doch sie ergaben kein Wort. Einfach nur Buchstaben. Ich fuhr die Linien mit meinem Zeigefinger nach und auf seinem Unterarm stellte sich eine Gänsehaut auf.
Soso.

„Ich meine, sowas wünscht sich doch jedes Mädchen, oder? Einfach einen Jungen, der sich ihre Probleme anhört."
Mein Bruder war immer dieser Junge für mich gewesen. Ganz egal, womit er gerade beschäftigt war, er hatte immer sofort alles stehen und liegen gelassen, wenn es mir gerade schlecht ging. Dann hatte ich immer in seinen Armen gelegen und geweint, während er mir mit seinen weisen Worten Mut zugesprochen hatte.
Nach seinem Tod stand ich dann alleine da, ich war plötzlich Einzelkind und meine Eltern so gut wie nie zu Hause, da sie viel arbeiteten.
Dadurch ist meine Freundschaft zu Carter und Marlee viel enger geworden und durch die beiden habe ich Jack kennengelernt. Er kannte meinen Bruder vom sehen, denn sie hatten immer gleichzeitig Football Training gehabt.
Jack hatte mich immer getröstet, wenn ich an meinen Bruder dachte. Oder zumindest hatte ich damals geglaubt, er hätte mich getröstet. Doch jetzt, wo ich hier bei Rio saß und mich wirklich besser fühlte wurde mir klar, dass Jack sich damals nie wirklich um mich gekümmert hatte. Er hatte mir immer nur gesagt, alles wäre ok und mich dann geküsst. Ich dummes, naives Stück hatte mich natürlich freudig darauf eingelassen, denn er sah gut aus und war beliebt. Doch er war nie wirklich für mich da gewesen, sondern hatte mir lediglich das gegeben, womit ich zufrieden war und wovon er auch einen Nutzen hatte.
Rio aber sorgte dafür, dass es mir besser ging, ohne dafür irgendwelche Gefühle auszunutzen.

„Weißt du eigentlich, an wen du mich erinnerst?", fragte ich und drehte meinen Kopf zu ihm.
Zwischen unseren Gesichtern war nur ein kleiner Abstand und ich spürte seinen Atem meine Lippen streifen.

„No, ich habe keine Ahnung.", raunte er  und sah mir gebannt in die Augen.
Eingeschüchtert durch die Intensität unseres Blickkontaktes musste ich schlucken.

„Du erinnerst mich an Elijah, meinen Bruder.", sagte ich, ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen.
Rios Augen weiteten sich und er zog seine Augenbrauen hoch.

„¿Porque? (Warum?) Was von mir erinnert dich an ihn?", fragte er neugierig und legte seinen Kopf schräg.

„Ihr habt die gleichen Haare.", meinte ich und betrachtete lächelnd seine Locken.
„Deine sind zwar ein bisschen dunkler aber Elijah hatte die gleichen Locken wie du."

„Und jetzt siehst du jedes Mal deinen Bruder vor dir anstatt mich?"
Gespielt verletzt zog Rio einen Schmollmund.
Es war ungelogen das Süßeste, was ich jemals gesehen hatte und ich musste mich unglaublich zurückhalten, um nicht los zu quieken.

„Nein, natürlich nicht.", lachte ich.
„Du erweckst in mir einfach positive Erinnerungen an Elijah. Das ist mir schon aufgefallen, als ich dich das erste Mal wegen Jack voll geheult habe. Obwohl du mich nicht kanntest und bestimmt genug andere Dinge zu tun hattest, bist du bei mir geblieben. Mein Bruder hätte das genau so getan. Und heute hast du mir das Gefühl gegeben, dass es ok ist auch mal zu weinen und dass ich deswegen nicht gleich schwach bin. Genau das gleiche hat Elijah mir damals immer vermittelt."
Ich lächelte traurig in Erinnerungen an meinen Bruder. Er war einfach zu gut für diese Welt gewesen. Vielleicht musste er deswegen sterben.
Umso glücklicher war ich nun, denn ich hatte einen winzigen Teil von meinem Bruder in Rio wieder gefunden.

„Ok wow... das ist glaube ich das krasseste Kompliment, das ich je bekommen habe.", raunte Rio überwältigt.
„Dein Bruder muss dir sehr viel bedeutet haben und nach dem, was du von ihm erzählt hast war er ein toller Mensch. Man könnte ihn nicht einmal annähernd mit mir vergleichen aber dass ich ihm wenigstens ein bisschen gleiche... wow. Du kannst gar nicht glauben wie viel mir das bedeutet."
Als Verdeutlichung für seine Dankbarkeit küsste er mich, ganz zu meiner Verwunderung, sanft auf die Stirn.
Mit geweiteten Augen und offenem Mund starrte ich ihn an, während er mich einfach nur anlächelte.
Klar, es war kein richtiger Kuss gewesen, aber manchmal lag in einem Kuss auf die Stirn viel mehr Bedeutung als in einem auf den Mund.

Before DawnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt