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Als mein Wecker klingelte war ich sofort hellwach. Draußen war es zwar noch dunkel, doch so langsam setzte die Morgendämmerung ein. Ich war mehr als bereit für diesen Tag.
Marlee drehte sich in ihrem Bett hin und her und ich konnte nur hoffen, dass ich sie nicht aufgeweckt hatte.
Bedacht darauf, keinen Ton von mir zu geben schlich ich mich ins Bad um mich umzuziehen. Fünf Minuten später und mit einem schwarzen Hoodie und einer schwarzen Jeans bekleidet verließ ich das Badezimmer und schnappte mir mein Handy. Mehr würde ich nicht brauchen. Denn ich hatte nicht vor, sonderlich lange bei ihm zu bleiben.

Nachdem ich mir meine Schuhe angezogen hatte, verließ ich unser Zimmer und schloss möglichst leise hinter mir die Tür. Dann lief ich los, und zwar schnell. Ich rannte nicht, denn ich wollte keine Aufmerksamkeit auf mich lenken. Aber ich trödelte auch nicht, denn jetzt war der schlechteste Moment um Zeit zu verlieren.
Heute war nämlich Sonntag. Auch, wenn unser Flug erst um 17 Uhr ging, mussten wir alle bereits beim Frühstück anwesend sein und dann sofort unsere Koffer packen. Würden meine Lehrer merken, dass ich fehlte, würde ich mächtig Ärger bekommen und mit Konsequenzen rechnen müssen. Ich durfte also auf keinen Fall zu spät zurück kommen.

Auch wenn wir oft genug in der Stadt hier unterwegs gewesen sind, musste mir Google Maps helfen, um den Weg zu dem Viertel zu finden, in dem Rio wohnte.
Er wusste nicht, dass ich ihn gleich besuchen würde. Und ich kannte seine Adresse nicht. Ich hatte Angst gehabt, dass er nicht wollte, dass wir uns nochmal sehen würden. Also würde ich ihn einfach anrufen wenn ich schon in der Nähe seines Zuhauses war. Da er mir immer wieder klar gemacht hatte, wie gefährlich das Viertel war, würde er mich wohl oder übel höchstpersönlich abholen kommen müssen.

Das war jedenfalls mein Plan, ob er funktionieren würde oder nicht, davon hatte ich keine Ahnung.

Langsam ließ ich die menschenleere Innenstadt hinter mir und begab mich in die ebenso menschenleeren Gassen. Mit dem einzigen Unterschied, dass ich jetzt meine Kapuze aufsetzte und meinen Blick zu Boden gerichtet hielt. Ich durfte bloß nicht als Tourist auffallen, sonst war ich geliefert. Schließlich war mir bewusst, wie gefährlich Mexiko sein konnte. Ich versuchte, so wenig wie möglich auf mein Handy schauen zu müssen, damit ich so viel Aufmerksamkeit wie möglich auf die Umgebung richten konnte.

Die Häuserblocks waren alt und hässlich, der graue Putz bröckelte an vielen Stellen von der Wand ab. Den kleinen Fenstern hatte man bis zum dritten Stock Gitter verpasst, wahrscheinlich um Einbrüche so gut es ging zu vermeiden. Zwischen den Häusern gab es schmale Durchgänge, die vielleicht einen halben Meter breit waren und in nichts als Dunkelheit führten. Da war die Gasse in der ich mich befand vergleichsweise breit.

Je weiter ich die sichere und beleuchtete Innenstadt hinter mir ließ, desto unbehaglicher wurde mir. Bei jedem Geräusch zuckte ich zusammen und irgendwann bildete ich mir ein, Schritte hinter mir zu hören. Mehrmals warf ich verängstigte Blicke hinter meine Schulter, doch es war niemand hinter mir. Ich hörte lediglich meine eigenen Schritte, die an den Hauswänden widerhallten. Ich zog mir die Kapuze tiefer ins Gesicht und schlang meine Arme um mich. Die Dunkelheit des frühen Morgens machte die gesamte Situation kein bisschen besser.

Langsam zweifelte ich an meinem Plan. Marlee wusste, dass ich mich heute mit Rio treffen wollte, doch sie hatte keine Ahnung, dass ich ihn bei sich zu Hause besuchen ging. Es wusste also kein Mensch, wo ich gerade war. Was wäre also, wenn mir genau jetzt etwas passieren würde? Niemand wüsste, wo sie als erstes nach mir suchen sollten.

Ich verfluchte mich selbst.
Was hatte ich mir eigentlich dabei gedacht, mich hierher zu begeben? Ich, als nicht mexikanische Bürgerin und Tochter von reichen Eltern?
Ich war doch der Jackpot für jegliche Gang Mitglieder!
Und von denen schien es hier laut Rio nur so zu wimmeln. Schließlich war ich bei meiner letzten Wanderung hierher auch in einen von ihnen gelaufen. Zu meinem Glück war es nur Rio gewesen, der nichts Böses von mir gewollt hatte.
Doch wie oft konnte man im Leben Glück haben?

Before DawnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt