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Wir quetschten uns durch den Spalt hindurch wieder in die Gasse, nachdem wir uns sorgfältig umgeschaut hatten und überprüft hatten, ob die Luft auch wirklich rein war. Die Kapuzen unserer Hoodies hatten wir uns tief ins Gesicht gezogen in der Hoffnung, dass man uns nicht sofort erkennen würde.

Wir huschten so schnell es ging durch die Gassen und Straßen, darauf bedacht keine Geräusche zu erzeugen. Vor jeder Kreuzung und Abbiegung bleiben wir stehen und lugten äußerst vorsichtig um die Ecken, damit wir auch ja niemandem begegneten. Jedes Mal schlug mir mein Herz bis zum Hals und mein Atem stockte wenn ich glaubte, jemanden zu hören. Zu groß war die Angst, dass man uns erwischen würde.

Doch bis auf eine abgemagerte Katze begegneten wir niemandem, was vielleicht auch an der frühen Uhrzeit lag. Mit jeder Minute die verstrich wurde ich jedoch zuversichtlicher, dass wir unsere Verfolger inzwischen abgehängt hatten. Die Häuser sahen auch nicht mehr allzu heruntergekommen aus und die Straßen wurden wieder breiter und hatten weniger Schlaglöcher. Wir hatten das von der Nuestra Familia besetzte Viertel hinter uns gelassen und waren schon in der Nähe des Hotels.

Ich fühlte mich wieder sicher.
Und genau das war das Problem.

Ich war zu unaufmerksam und achtete nicht mehr genau auf meine Umgebung. Sonst hätte ich nämlich bemerkt, wie Rio hinter mir abrupt stehen geblieben ist, als er etwas gehört hatte. Ich hätte es auch hören sollen. Dieses Geräusch, nach dem wir Ausschau gehalten hatten, vor dem wir uns die ganze Zeit gefürchtet hatten.

Doch stattdessen lag mein Fokus auf dem, was in der Ferne war. Ich wusste nämlich wieder genau wo wir waren. Wir müssten nur noch die Straße entlang laufen, nach links abbiegen und schon wären wir beim Hotel angekommen. Ich fing an, schneller zu laufen, rannte schon fast.

Es schien alles so einfach.
Fast waren wir da.
In Gedanken war ich praktisch schon in Sicherheit.
Unser Ziel lag doch direkt vor uns.
Nicht auch nur eine Sekunde lang hatte ich daran gedacht, dass so kurz davor wirklich alles schief gehen konnte.

„Malu! Nicht!", zischte Rio, während ich - mein Ziel fest im Blick - davon lief.
Verwirrt drehte ich meinen Kopf zu ihm um.
Was war denn jetzt? Wir waren doch fast da!

Rio war einige Meter hinter mir wie angewurzelt stehen geblieben. Doch ich hatte keine Ahnung warum. Es war doch alles normal, oder? Die Luft war doch rein gewesen.
Rios Reaktion verunsicherte mich extrem. Er war hier schließlich aufgewachsen. Er kannte das Leben auf der Straße, die kriminellen Aktivitäten. Er wusste, worauf er achten musste um sich selbst zu schützen.

Ich blieb auch stehen.
Das mulmige Gefühl in meinem Magen war dort nicht zu unrecht. Denn irgendjemand packte mich plötzlich von hinten. Ich spürte, wie sich zwei kräftige Arme um meinen Bauch und um meinen Hals legten, wodurch meine Luftröhre verengt wurde. Sofort keimte die Panik in mir auf.

Jetzt, da ich fast genau dasselbe heute schon einmal erlebt hatte, war ich noch frisch traumatisiert. Der Alptraum, dem ich vorhin gerade so entflohen bin, wiederholte sich nun und ich wusste nicht, ob es mir wieder gelingen würde, zu entkommen.

Gerade noch sah ich, wie Rio mit aufgerissenen Augen auf mich los sprintete, dann wurde ich mit einem Ruck nach hinten in eine Gasse hinter eine Hauswand gezogen.
Ich schrie wie am Spieß und versuchte mit aller Kraft den Arm der Person von meinem Hals zu lösen. Doch es brachte nichts, ich war einfach zu schwach.

Tränen der Verzweiflung flossen meine Wangen hinab. Ich wollte nicht sterben, nicht heute!

„Lass mich los, du Idiot!", rief ich, doch es hörte sich ziemlich erbärmlich an da ich gleichzeitig weinte.
Ich hasste es, dass Männer ständig ihre anatomischen Vorteile für schlechte Zwecke nutzten.

Before DawnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt