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Kilian legte sich, in einer Wiese mit hoch wachsenden Gräsern, nieder. Runa legte er vorsichtig neben sich. Ihre Augenlieder flackerten, aber sie wachte nicht auf. Er drehte sich um, damit er sich um ihre aufgerissenen Wunden kümmern konnte. Er schaffte es nicht, sie ganz zu heilen, was ihn sehr verwunderte. Ihre Wunden hätten doch ganz heilen müssen. War er denn wirklich so unfähig? Nein. Da stimmte etwas nicht. Er war ein wirklich begabter Heiler, er hätte es schaffen müssen. Wäre doch nur Nia hier, sie war sogar noch besser, sie hätte es sicher geschafft. Aber umsolänger er wartet; umso länger sie nicht geheielt wird, umso schlimmer wird es. Wenn es zu lange dauert, können manchmal nicht einmal Blutzauberer Wunden heilen. Er drehte Runa wieder um. Er zog sie wieder auf seinen Rücken und lief zum Wald, der neben der Wiese ein paar Hundert Meter entfernt war. Runa wachte langsam auf. "Mein Kopf ...", flüsterte sie. Kilian drehte seinen Kopf zu ihr um. "Alles okay?", fragte er, ohne anzuhalten. Sie sah sich um, aber als er das fragte sah sie zu ihm und ließ ihre Hand langsam sinken, die sie bis eben noch an ihren Kopf gehalten hatte, um den Schmerz zu lindern. "Wer bist du?", fragte sie ihn zischend. Sie kannte ihn nicht. Wo war Linhart? Er wollte sie doch rausholen? Warum ist dann jetzt dieser Fremde da? Und warum trägt er sie auf seinen Rücken? "Wow, mal etwas ruhiger. Ich kann dir alles erklären.", sagte Kilian. Sie funkelte ihn böse an. "Dann fang mal an. Und lass mich gefälligst runter!", gab sie lauter von sich und versuchte runter zu kommen. Sie wurde von Kilian losgelassen und landete auf ihren Füßen. Kilian drehte sich zu ihr um und wollte ihr alles erklären, aber da hatte sie sich aus Schwindel erneut an den Kopf gefasst und war wieder dabei umzufallen. Er fing sie erneut auf. Seine Augen wurden in diesen Moment größer. Warum muss ich sie immer davor schützen, zu fallen?, dachte er sich. "Wieso immer?", fragte Runa. Er sah sie verwundert an. Er hatte keinen Gedanken an sie geleitet. Warum konnte sie dann wissen, was er dachte? "Komm erstmal mit. Linhart und die anderen warten schon." Bei Linharts Namen horchte sie auf. Ihre Augen wurden größer. "Linhart?", fragte sie aufgeregt. "Ja, der. Ich erzähle dir alles auf dem Weg zu ihnen. Er zog sie hoch. Eigentlich wollte sie keine Hilfe von ihm, aber er ließ sie einfach nicht los. Also gingen sie zusammen. Ihr Arm über seine Schulter. Sein Arm um ihre Taille. Sie kamen nur langsam voran. Nachdem Kilian Runa alles erklärt hat, haben sie nicht weiter miteinander gesprochen. Beide hingen ihren eigenen Gedanken nach. Der Tag war nun vollends eingebrochen. Die Sonne schien durch das dichte Blätterdach, der Bäume. Vögel saßen auf Ästen oder flogen von einem Ort zum andern und zwittscherten. Durch Runa zog ein gewaltiger Schmerz, als sie an einer rutschigen Stelle vorbei liefen. Kilian hielt sie, aber leicht gerutscht ist sie trotzdem. Sie zehrte sich leicht ihren Rücken und schrie kurz auf. Ein paar Schritte von ihnen entfernt war ein kleiner Fluss. Er brachte sie hin und sie trank draus, indem sie ihre Hände zu einer Schale formte, dann in den Fluss hielt, wieder rausnahm und dann an ihren Mund führte. Kilian sah sie bedrückt an. Ihr zerissenes Kleid hing ihr leicht von den Schultern. Die Wunden waren nicht zu übersehen. Ganze Zeit pulsierten sie. Nachdem sie getrunken hatte, versuchte sie ihre Wunden zu berühren, aber sie kam nicht dran. Beide hörten etwas. Runa ignorierte es, sie versuchte einfach nur diese Schmerzen zu beenden. Kilian drehte sich dafür so schnell er konnte um und legte seine Hand auf das kurze Schwert, welches an seiner Hüfte befestigt war. Er sah Nia, wie sie zu ihnen rannte. Besorgnis zierte ihr Gesicht. Hinter ihr waren auch schon Evan und Linhart mit je einem Kind auf ihren Rücken. Sie sahen weniger besorgt als eher erschrocken und verwirrt aus. Nia sah erst Kilian und dann Runa, die immer noch verzweifelt versuchte an ihren Rücken zu kommen. Nia schmiss sich sofort neben sie auf die Knie. Sie fasste Runa an ihre Schulter, welche sofort die sinnlosen Versuche unterbrach und stattdessen zu Nia auf sah. "Zeig mal her.", sagte Nia. Runa war benommen, sie konnte nicht richtig denken, zu verzweifelt war sie. Sie drehte einfach nur ihren Rücken zu ihr um. Nia erschauderte es bei diesem Anblick. Sie drehte wütend ihren Kopf zu Kilian und Evan. "Habt ihr denn garnicht versucht sie zu heilen? Das sieht ja furchtbar aus! Wie sie noch am Leben sein kann ist ein Wunder!", schrie sie die beiden herrisch an. Sie legte ihre Hände auf Runas Rücken. Die beiden versuchten sich zu rechtfertigen, zu sagen, dass sie es versucht hatten. "So sieht es für mich aber nicht aus.", sagte sie zischend. Linhart trat dazu, der nun verstand, dass sie allesamt Blutzauberer waren, von dieser Tatsache aber immer noch zu verwirrt war. "Sie sagen die Wahrheit." Nia drehte sich zu Linhart um, sie machte gerade Kreisförmige Bewegungen auf Runas Rücken. Dann drehte sie sich zu den beiden Jungen. "Aber wie kann sie dann immer noch solche Verletzungen haben?" Die beiden zuckten mit ihren Schultern. "Das wissen wir auch nicht so genau.", meinte Kilian und sah bedrückt zu Boden. Er sah wieder zu Nia. "Aber vielleicht schaffst du es ja. Du bist unter uns dreien die beste Heilerin." Nia sah zurück auf Runas Rücken. Ihre Stimmung wurde nicht gerade fröhlicher, so wie sie es sonst war. Leise sagte sie: "Heilen ja, aber sie wird trotzdem eine Narbe davon tragen -oder wohl eher einige. Und die werden auch nicht gerade klein sein. Was haben die denn mit ihr gemacht?" Nia stand auf und sah die Jungs an. Sie erzählten ihr, was sie gesehen hatten. "Das hört sich wirklich schrecklich an, aber ihre Wunden müssten trotzdem heilen -komplett heilen. Da dürften keine Narben übrigbleiben." Runa stand vorsichtig auf. Kilian und Nia bemerkten es sofort. Beide wollten zu ihr eilen und ihr helfen, aber sie schaffte es auch schon alleine. Sie lief von allen weg. Alle sahen ihr nur nach. Linhart konnte ihre Schmerzen schon fast spüren. Den Kindern schien es ähnlich zu gehen, denn das Mädchen sprang von Evans Rücken runter und rannte Runa mit ihren kurzen Beinen hinterher. Runa lehnte an einem Baum. Sie sah noch oben. Als die kleine an kam sah sie zu ihr. "Wer bist du?", wollte Runa von ihr wissen. "Mara.", gab sie kurz als Antwort. "Bist du traurig?", fragte Mara sie. Runa zog ihre Beine an und vergrub ihren Kopf zwischen ihren Knien. "Ja. Sogar sehr." Mara setzte sich neben Runa und sah sie bekümmert an. "Ich bin auch traurig. Auch sehr traurig." Runa drehte ihren Kopf zur Seite, um Mara ansehen zu können. "Ja? Warum denn?" Eine Träne lief ihre Wange runter und sie schniefte einmal. Der bis eben noch nichts sagende Blick von Mara wurde traurig. Sie verzehrte es. Bis sie dann doch noch anfing zu weinen und in Runas Arme sprang. Runa ging erschrocken mit ihrem Oberkörper dabei nach oben, so, dass Mara jetzt ihren Kopf an Runa ihre Brust drückte.

"Sollten wir ihr nach laufen?", fragte Kilian. Linhart war schon dabei los zu gehen und Runa zu folgen, aber Nia hielt nur ihren Arm vor ihn und schüttelte mit ihrem Kopf. Linhart ließ den quängelnden Jungen runter. Er wollte auch zu Runa, aber war noch zu klein zum laufen. "Ich gehe alleine zu ihr.", sagte Nia und lief los. Die Jungen sahen sich nur Ratlos an.

Nia hatte gehört, was beide sagten. Da Mara nicht antwortete, übernahm Nia das Sprechen. "Sie hat gesehen, wie Ritter ihre Mutter vergewaltigt und umgebracht haben." Runa drehte sich zu Nia. Beide sahen sich an. Mara lag immer noch bei Runa, die Mittlerweile schon ihre Arme um Mara gelegt hatte und fürsorglich über ihren Rücken strich. Runa sah von Nia zu Mara, in das zur Seite liegende kleine Gesicht, das nun schon gefüllt mit Tränen war. Sie hatte Mitleid mit ihr. Sie wusste selber zu gut, wie es war, die eigene Mutter zu verlieren. So gesehen hatte sie es sogar zwei Mal. Die Großmeisterin sah sie auch als eine Art Mutter an. Nun hatte sie keine mehr. Bilder drangen in ihren Kopf. Bilder von ihrer Mutter. Ihr Lächeln war vor Runas innerem Auge. Sie sah wunderschön aus. Ihre Haare waren aber nicht rot, sie waren strahlend blond, als wären sie die Sonne selbst. Eigentlich hätten sie rot sein müssen. Sie hatte das Gefühl, dass sie irgendetwas wichtiges vergessen hatte. Nia sah ihr streng überlegendes Gesicht. "Alles okay, Runa?" Runa sah auf. Nia sah sie besorgt an. Runa nickte nur und schüttelte dann ihre Gedanken ab. "Ja, alles bestens."

Nachdem sich Mara beruhigt hatte, gingen die drei Mädchen wieder zurück zu den Jungen. Linhart nahm den Jungen wieder auf seinen Rücken, der seine Arme ganze Zeit nach ihm ausgestreckt hatte, nachdem er seine Schwester umarmt hatte. "Na dann können wir ja los.", sagte Nia. Runa, die von Nia die Felljacke bekam und nun trug, ging mit Linhart nichts ahnend mit.

BlutzauberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt