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Der Prinz hatte das Mädchen die ganze Zeit beobachtet. Sie hatte ihre Gestalt zum Führvogel gemacht. Er sollte sie zum gewünschten Ziel bringen, denn das Buch hatte Flecken bekommen, durch die man den richtigen Weg nicht mehr finden konnte. Sie stand ganz vorne mit ihm. Der Prinz wollte an seiner Stelle stehen. Ja, er stand auch ganz vorne, aber nicht so. Der Ritt dauerte lange. Zwei ganze Tage sollte es noch so gehen. Eine lange Zeit, in der der Prinz das Mädchen beobachtete. Sie schien es nicht mit zu bekommen, aber sie war auch zu sehr mit diesem ... Ding beschäftigt. Zum schlafen schickte sie ihn an einen Baum, wenn er sich erleichtern musste schickte sie ihn hinter einen Baum, wenn er trinken oder essen musste, warf sie ihm was vor die Füße. Aber es war nie viel. Immer gab sie ihm eine Hand voll und sie hatte nicht besonders große Hände, eher die Größe eines Kindes. Nun fragte er sich, wie alt sie wohl sein mochte. Sie war recht klein, dünn, zerbrechlich. Vielleicht zwölf? Nein, eher nicht sie hatte schon eine weibliche Statur, soweit er das beurteilen konnte. Zwanzig? Dazu wäre sie wohl doch zu klein. Er selber war siebzehn. Er hätte schon längst heiraten sollen, aber sein Vater hatte sich die hübschen Prinzessinnen vorher schon ins Bett geholt, womit er nicht gerade ein erfreuliches Bild hinterließ. Die Könige und deren Töchter hatte er beschämt und verhöhnt. Nun wollte niemand mehr ein Bündnis mit dem König eingehen. Sein Sohn blieb damit Fraulos. Das störte ihn zwar nicht besonders, aber wenn er bald König werden sollte, dann würde er wegen seinem Vater Probleme bekommen. Er wusste das ganz genau. Das gehörte auch zu einem der vielen Gründe, warum er seinen Vater so sehr hasste. Äußerlich tat er zwar so, als würde er seinen Vater respektieren und zu ihm auf sehen, aber innerlich verachtete er ihn so sehr, als wäre er nur ein kleines Insekt auf das er tritt. Noch wusste er nicht, was mit seinem Vater war, aber es würde ihn sehr erfreuen. Aber in diesem Moment dachte er an etwas ganz anderes. Sie waren in einem Abschnitt im Wald angekommen, den er noch nie zuvor gesehen hatte. Er war oft im Wald jagen. Er war mehr im Wald als im Schloss, könnte man sagen. "Wir sind da.", sagte das Mädchen. Der Prinz sah in ihre Augen. Er glaubte ein Leuchten in ihnen sehen zu können. Er konnte nichts denken, außer, dass sie wunderschön war. Dann zeigte sie auf etwas. Er sah in die Richtung, in die sie ihren dünnen Arm hielt. Es war ein Reh. Es sah außergewöhnlich aus. So ein Re hatte er noch nie zuvor gesehen. Dann fiel ihm ein, weswegen sie eigentlich da waren. "Ja, aber wo ist jetzt das Mädchen? Du wolltest mich zu ihr führen."
"Sie ist da."
"Wo?"
"Hinter dem Reh. Das Reh hat die Macht etwas zu verstecken. Es wird der Weg nach drinnen sein. Nur haben wir keine guten Absichten. Es würde uns töten."
"Wie das?"
"Es kann sich in eine Bestie verwandeln. Es würde so groß wie ein Baum werden, ein Geweih wie ein Baum seine Äste trägt würde erscheinen und so spitz, dass es die kaum berühren müsste, um dich zu zerschneiden, seine Zähne würden so eine Kraft besitzen, dass es dich mit einem Biss zermalmen würde, seine Hufe spritz wie die schärfsten Schwerter und es würde dich mit seinem Anblick lähmen." Bei diesem Gedanken erstarrte der Prinz. Wie konnte so etwas möglich sein oder gar existieren? "Wie sollen wir dann durch kommen?", fragte er heiser. "Durch ihn." Das Mädchen zeigte auf die Gestalt, die sie ganze Zeit bei sich hatte. "Wie bist du an ihn gekommen?"
"Durch meinen Schatten."
"Dieses Ding, das du erschaffen hast?" Sie nickte. Dann fiel ihm etwas auf. "Sagtest du nicht, dass es niemanden rein lassen würde, der schlechte Gedanken hat?"
"Das ist richtig."
"Wie ist er dann reingekommen?"
"Er ist ein Schatten. Er hat weder Gefühle, noch Gedanken. Dadurch konnte er unbemerkt eindringen. Er hatte nur einen Auftrag von mir bekommen. Und jetzt bekommt er noch einen. Mach deine Männer kampfbereit. Jetzt kommt etwas, das man als Hölle auf Erden bezeichnen würde."

BlutzauberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt