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Sie setzten sich auf eine Art Schaukel, um die sich schon viele wunderschöne Schlingpflanzen rangen. Das Holz selber hatte eine schöne Eingravierung von keltischen Zeichen. An ein paar Bäumen erkannte Runa Runen. Aber sie kannte die Bedeutung und die Auswirkungen von ihnen nicht. Die Priesterin sah sie an. Ein Lächeln lag auf ihren Lippen. Sie sah aus, als wüsste sie etwas über Runa, das sie versuchte zu verbergen; vor jedem geheim zu halten oder etwas, was Runa selber garnicht über sich wusste. Runa sah die Priesterin fragend an. "Wie alt bist du jetzt, Runa?", fragte sie. "Vor ein paar Tagen bin ich achtzehn geworden.", gab sie der Priesterin zur Antwort. Sie grübelte kurz, verlor dabei aber nicht ihr Lächeln. "Achtzehn. Achtzehn, so so. Achtzehn, das Alter, wo die Gabe ihre volle Stärke zeigt. Das Alter, wo die ganze Macht freigesetzt wird. Dann sollte wohl auch bald ein Schutztier deine Wege kreuzen."
"Was für ein Tier?"
"Ein Schutztier. Es ist dein bester Freund und ewiger Begleiter. Etwas wie dann Seelenverwandter. Oder wohl eher: Es ist dein Seelenverwandter."
"Was ist das für eine Sprache? Gott hat uns nie so eine Sprache gegeben! Ihr seid eben nur ein paar Wilde aus dem Wald.", sagte eine Stimme, die Runa bekannt vorkam. Sie sah das Lächeln der Priesterin verschwinden. Linhart trat hinter einem Baum vor. "Dachte ich mir doch schon, dass uns jemand belauscht.", sagte die Priesterin und sah nicht sehr erfreut aus. "Und wer bist du?", fragte Linhart barsch. "Ich werde Priesterin genannt.", antwortete sie ihm zornig. Er lachte auf. "Priesterin? Eine Frau mit so einem Titel? Dass ich nicht lache! Frauen werden keine Priester. Nur Männer. Es ist gegen Gottes Wille, dass Frauen einen solchen Stand haben. Frauen sind nicht befähigt oder in der Lage dazu, solch einen hohen Stand zu haben."
"Du vergisst dabei nur etwas.", sagte sie knapp. "Und das wäre?"
"Dein Glaube ist nicht mein Glaube! Frauen sind bei uns mit Männern gleichgestellt. Es gibt hier keine Ungerechtigkeiten. Wir haben einen Zusammenhalt. Sind nicht Habgierig. Leben ohne Unterdrückung. Werden nicht von anderen befehligt. Helfen einander aus freien Stücken! Wi-"
"Sei ja still! Wir Christen sind nicht unterdrückend! Wir sind auch frei! Leben auch aus freien Stücken! Haben unsere eigenen Meinungen und Gedanken! Wir haben auch einen Zusammenhalt!"
"Unterbrich mich nicht! Ihr wart es doch, die uns umgebracht haben, weil wir nicht euren Maßen entsprachen, weil wir zu etwas besserem bestimmt waren! Wir mussten weg! Ihr habt uns vertrieben. Und du kannst das alles nur sagen, weil du ein Mann bist! Frauen haben bei euch garkeine Rechte! Sie leben unterdrückt! Dürfen garkeine eigene Meinung haben! Müssen immer tun und lassen, was ihnen gesagt wird. Eure Religion ist Frauen unterdrückend und wenn nicht sogar feindlich und verachtend! Wir dienen euch nur, damit ihr eure gewollten Söhne in die Welt tragen! Ein Eigenleben dürfen wir bei euch doch garnicht führen! Ihr denkt garnicht an Töchter! Ihr wollt nur Söhne! Und wenn dann doch eine Tochter kommt, dann bestraft ihr die Frauen und verachtet die Töchter! Wir dürfen bei euch kein eigen Brot verdienen! Dürfen nicht selber Haus und Hof führen! Dürfen nicht über unser Leben selbst entscheiden! Dü-"
"Ist ja schon gut! Ich hab's kapiert!" Er ging wütend weg. Aber dachte dabei noch bei sich: Was bildet die sich bitte ein? Die hat ja gar keine Ahnung! Aber ... Hat sie denn so unrecht?

Runa hatte sonst nicht viel mehr mit der Priesterin gesprochen, da ihr von Linhart gründlich die Laune verdorben wurde. Sie suchte stattdessen Nia und die beiden Kinder. Sie waren bei den Hühnern, die vor ein paar Tagen Küken bekommen hatten. Mara quitschte vergnügt über ein schwarzes Küken, das ihr auf die kleine Hand gesprungen war. Runa grüßte die Kinder und Mara erzählte ihr sofort, was sie alles erlebt hatten. Nia sah zu Runa, als die Kinder sich wieder den kleinen Tieren widmeten, und fragte sie: "Hast du dich mit Linhart gestritten? Er ist zum Fluss gelaufen und sah dabei ziemlich finster aus. Als ich ihn fragen wollte was denn los ist, da hat er nur gebrummelt und ist weiter gelaufen. Ich hab mir zwar nichts weiter dabei gedacht, aber wenige Augenblicke kommst du dann hinterher. Also, ist was zwischen euch vorgefallen?" Runa lächelte leicht, etwas unsicher. "Nicht direkt, eher zwischen ihm und der Priesterin. Beide haben sich gestritten, bis auf die Knochen. Wollten schon garnicht mehr aufhören. Dann ist Linhart irgendwann einfach weg und die Priesterin wollte dann nicht mehr weiter reden."
"Ah. Worum ging es denn?"
"Religion und er wollte wissen, in was für einer Sprache wir sprechen, dabei haben wir uns ganz normal unterhalten."
"Ach, sie hat was auf einer anderen Sprache gesagt und du auch, ohne es zu bemerken?"
"Nein, wir haben ganz normal miteinander gesprochen."
"Wirklich? Ganz normal?"
"Ja, ganz normal."
Nia fing an zu grinsen. Mara zupfte an den Ärmeln der beiden. Beide sahen sie an. Runa mit Verwunderung und Nia immer noch mit einem Lächeln auf ihren Lippen. "Was habt ihr da gesagt? Ich hab euch garnicht verstanden!" Runa sah zu Nia. "Weißt du, was sie meint?" Nia lächelte noch etwas breiter. "Ja. Ja, das weiß ich. Mit Sicherheit. Wir haben nämlich gerade auf Gälisch miteinander gesprochen." Runas Augen wurden groß. "Auf Gälisch?" Nia nickte, konnte garnicht mehr zu grinsen aufhören. "Aber ich habe doch nie Gälisch gelernt."
"Dann hast du es wohl als Kind immer gesprochen."
"Aber ... Wo denn? Meine Mutter ... sie war doch auch im Dorf, da haben wir doch auch immer normal miteinander gesprochen. Und mein Vater ... den habe ich nie kennengelernt. Und die Großmesterin ..."
"Du hast es sicher auch bei ihr unbemerkt gesprochen."
"Muss wohl so sein. Aber das muss man doch eigentlich merken oder etwa nicht?"
"Du hast es ja scheinbar nicht bemerkt. Dann muss man es wohl nicht merken. Oder?"
"Muss wohl so sein."

"Wo ist es denn nur?", murmelte Runa vor sich hin. "Was suchst du denn?" Erschrocken fuhr Runa um und sah Kilian, wie er mit überkreuzten Armen und Beinen am Türrahmen lehnte. Er stieß sich ab und lief zu ihr ins Zimmer. Sie ließ ihn dabei nicht aus den Augen. Ihre Hände in ihrer Tasche, drumherum ein Haufen Sachen verteilt: Bücher, ihre einzigen weiteren Kleider: ein braunes und ein graues, ein Kamm, Federn, ein paar Tüscher. In der Tasche waren auch noch ein paar Sachen, wie Felle und Flaschen, gebundene Kräuter, Tinkturen und Salben, weitere Bücher und Federn. "Ich finde mein Buch nicht."
"Da sind doch ein Haufen Bücher. Da kannst du genug lesen."
"Haha, sehr witzig. Nein, ich suche ein ganz bestimmtes Buch und unter denen habe ich es nicht gefunden."
"Ach ja? Und was ist an dem Buch so besonders?"
"Meine Großmeisterin hat mir es gegeben. Es ist eine Karte, zu einem Ort. Ein Ort, an den ich gehen soll. Es waren auch Runen und Zeichnungen, Wegbeschreibungen und dergleichen drine."
"Und was ist das für ein Ort?", er sah misstrauisch zu ihren Sachen. "Ich glaube der Ort hieß Silv oder Sülv oder so." Er bekam große Augen. "Der große Baum vielleicht?"
"Kann sein."
"Das ist hier. Das ist unser Baum. Du musst das Buch finden!" Er packte sie an ihren dünnen Schultern und schüttelte sie durch. Sie sah ihn ganz erstarrt an. "Ich weiß es nicht ... Ich weiß einfach nicht, wo ich es habe. Es lag in meiner Tasche, in dem grauen Fell. Ich weiß es ganz genau, dass ich es da reingelegt habe. Wo kann es nur sein?" Ihre Stimme zitterte. "Wo nur?" Ihr lief eine Träne die Wange runter. Ihre Lippen bebten. "Verdammt!", fluchte Kilian und sah nach hinten. Er sah sich im ganzen Zimmer um. Runa ließ ihren Kopf hängen. Sie kannte die Gefahr, die da war. Sie kannte die Gefahr, wenn jemand das Buch fand, dass nicht für Außenstehende gedacht war. Er lief schnell aus dem Zimmer. "Ich muss zur Seherin."

BlutzauberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt