Sie liefen nun schon zwei Tage, ohne dass einer von ihnen noch ein Wort miteinander wechselte. Es gab eine bedrückende Stimmung. Alle waren in ihren eigenen Gedanken begraben. Sie dachten über das Geschehene nach, über das, was geschehen wird, und was es nun eigentlich mit Runa auf sich hatte. Besonders Runa wollte wissen, was das alles nun eigentlich auf sich hatte. Sie wusste, dass sie eine Blutzauberin war. Wusste aber sonst nichts. Die Großmeisterin hatte sonst nichts gesagt, außer ... Die Karte! Sie grammte schnell in der Tasche rum, die Linhart im Gefängnis schnell über seine Schulter geworfen hatte und Runa später zurück gab. Nia hatte sich um Runa ihren Rücken und Arm auf dem Weg gekümmert. Ihr ging es jetzt besser, aber sie fühlte sich dennoch komisch. Sie fühlte sich so beklemmt, so frei, so traurig, so ... so ... so anders. Alles war anders. Sie war anders. Sie hatte nicht ein mal ihre Kräfte eingesetzt, um sich zu heilen. Sie wollte es, ja, das wollte sie, sie wollte ihren Rücken berühren, den Schmerz spüren. Sie wollte es mit eigenen Augen betrachten, was ihr angetan wurde, aber das konnte sie nicht. Narben, sagte Nia, die würde sie beibehalten. Sie war eine begabte Heilerin, aber sie war nicht mächtig genug, um das zu schaffen. Runa dachte, wenn nur sie selber dran käme, dann könnte -nein, würde- sie es schaffen. Sie war mächtig. Sie fühlte sich mächtig. So viel mächtiger, als die anderen. Und sie war sich sicher, auch die anderen, die ihr Blut laufen ließen und die Energie in ihr spüren konnten, wussten es. Wussten, wie viel Macht sie besaß. Macht, von der sie bis dahin noch nicht einmal wusste. Macht, die sie bis dahin einfach als etwas Nützliches und Vorhandenes betrachtet hatte. Sie dachte nach. Warum halfen sie ihr? Woher kamen sie? Woher wussten sie von ihr? Die Großmeisterin sagte immer, dass sie nur sich selber trauen durfte. Also, sollte sie dann nicht schnell abhauen? Schnell woanders hin? Aber wohin? Sir hatte die Karte. Die, nach der sie schon die ganze Zeit suchte. Sie holte das kleine Buch raus, in dem die Karte lag, in dem alles lag. Aber es war nicht das Buch. Ihre Augen wurden größer. Vielleicht war es ja einfach nur unter irgendwas. Sie sollte beim nächsten Halt danach suchen. Sie konnte nur nicht mehr normal denken. In dem Heft waren so viele Dinge, wichtige Dinge. Was sollte sie tun, wenn sie es doch nicht finden sollte? Ihre Stimmung blieb bedrückt. Und das merkten die anderen. Kilian interessierte es nicht weiter, zumindest tat er so. Evan schaute ab und zu zu ihr. Nia hatte einen besorgten Blick, wie Linhart und die Kinder. Mara saß auf Linharts Schultern, der ihre Füße festhielt, damit sie nicht runterfallen konnte. Sie hielt sich an seinen, im Licht schimmernden, Haaren fest. Sie konnte einfach auf Runa runtergucken, die beim suchen langsamer geworden ist und deswegen nicht mehr neben Nia, sondern neben Linhart und Mara lief. Sie warf sich die Tasche wieder über ihre dünnen Schultern und seufzte. Sie sah vor. Nia sah sie immernoch besorgt an. Der kleine Junge schlafend in ihrem Arm. Runa schüttelte nur leicht mit ihrem Kopf und versuchte dabei zu lächeln. Ein kläglicher Versuch. Sie wollte ihr aber irgendwie zeigen, dass alles in Ordnung war, dass sie sich keine Sorgen um sie machen brauchte und dass sie gerade niemanden brauchte. Nia nickte nur kurz und drehte sich zögerlich wieder um. Linhart hatte beiden dabei zugeschaut. "Ist wirklich alles okay mit dir?", fragte er leise und lehnte dabei seinen Kopf etwas zu ihr nach unten und hoffte, dass niemand sie hören würde. Zu den anderen war ein Abstand von ein bis zwei Metern, weswegen er nicht ganz davon ausging, aber sie alle hatten geschärfte Sinne, daran dachte er nicht. Erneut schüttelte sie ihren Kopf, diesmal aber noch mit etwas leichterem Gefühl. Ein lrichtes Lächel lag auf ihren Lippen. Diesmal war es kein gequältes. Sie hatte ein ehrliches Lächeln. Er ließ sie leichter, unbeschwerter fühlen. "Es ist wirklich nichts. Ich finde nur gerade etwas nicht. Ich muss später einfach genauer danach gucken.", gab sie ihm zur Antwort. Die anderen hatten es gehört. Nia dachte, dass es vielleicht eine Kette oder so war, ein Andenken oder etwas ähnliches. Evan dachte, dass es vielleicht Medizin war, da sie immer noch leichte Schmerzen im Rücken hatte. Und dann Kilian. Kilian dachte, dass es vielleicht ein Kamm für ihre undurchdringliche Mähne war. Linhart dachte garnichts. Er ließ es einfach dabei. Er würde es ja sicher noch erfahren. Dann fiel den Kindern etwas auf. Sie hatten mehr auf ihre Umgebung geachtet. Die hatten den Unterhaltungen keine Beachtung geschenkt. Sie waren zu begeistert von der Umgebung, die sich, je weiter sie liefen, umso mehr veränderte sich die Umgebung. "Guckt mal!", sagte Mara freudig und zeigte mit ihrem kleinen Zeigefinger auf etwas. Alle drehten sich um. Ein Reh stand da, hatte ein ledernes Band um den Hals gebunden, und fraß Gras, dass ihm bis zu den Schultern reichte. Es bemerkte das Mädchen und sah auf. Es war nicht mehr als fünf Meter von ihnen entfernt. Alle stellten sich zueinander und sahen es an. Nia lächelte. "Bringst du uns zum Baum?", fragte sie es lächelnd und lief vorsichtig zu dem ruhigen Tier. Sie beugte sich zu ihm runter und ließ es an ihrer Hand schnuppern. Es lief an ihr vorbei und sah zu Mara hoch, diese sah es mit einem großem Lächeln an. Es schnupperte an ihrem Fuß und fing an dran zu lecken. "Er mag dich.", sagte Nia lächelnd. Runa starrte das Tier mit großen Augen an. Sie strich ihm sanft über den Rücken, spürte sein weiches Fell. Linhart nahm Mara von seinen Schultern und stellte sie vor das Tier, was genauso groß wie sie war. Es leckte ihr über die zarte Haut ihrer Wangen. "Es hat grüne Augen.", sagte Mara erstaunt. "Ich habe noch nie ein Reh mit grünen Augen gesehen, nur mit braunen." Sie strich dem Tier über den Kopf. Das Geweih war schon verschlungen. So etwas hatte sie bei einem Reh auch noch nie gesehen. "Es ist fast fünfhunfert Jahre alt.", fing Nia an. "Es beachützt uns vor Außenseitern. Leuten wie euch. Aber ihr seid bei uns. Ihr gehört jetzt zu uns. Es wird euch mit zu unseren Bau bringen. Oder wie es bei euch heißt, unser Königreich." Sie kniete sich vor das Tier und schon Mara dabei sanft zur Seite. "Macht nach, was wir jetzt machen. Nur so kommen wir zu unserem Reich. Sonst können wir es nicht sehen oder betreten." Sie legte ihre Stirn an die des Tieres. Linhart musste darüber lachen, aber als sich Nia erhob und die Augen des Tieres zu leuchten anfingen und nachdem es wieder die Augen öffnete wieder verglühten, verstummte er sofort und starrte dem Geschehen nur zu. Nia machte das auch mit dem Jungen, er selber konnte es ja noch nicht, dadurch, dass er immernoch schlief, fiel es ihr leichter. Danach lief sie hinter das Tier und verschwand plötzlich. Mara machte ihr es sofort nach, mit dem einen unterschied, dass sie ihre Hände an die Seiten des Tierkopfes legte. Dann ging Evan schnell hinterher. Runa sah zu Linhart, etwas besorgt, ging dann aber als nächstes. Als sie weg war, sagte Kilian zu ihm: "Mach mal nicht so ein erstarrtes Gesicht. Wenn sie sich traut, dann du auch." Er grinste. "Aber ich folge ihr zu erst." Bevor Linhart auch nur was erwidern konnte, war Kilian schon an dem Tierkopf und lief lachend hinter. Linhart ließ das nicht auf sich sitzen. Von so jemandem ließ er sich nicht so einfach provozieren. Er folgte schnell. Lief hinter das Reh und fühlte sich, als hätte ihn eine große Welle getroffen. Wasser, und darin könne er atmen, aber es war kein Wasser. Es war ein berauschendes Gefühl. Und als er seine Augen öffnete, die er zusammengedrückt hatte, kam ihm ein gewaltiges Licht entgegen und was er sah, fand er so unglaublich faszinierend.
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Blutzauber
FantasyBand 1 Es gibt sie: Blutzauberer. Vor einem Jahrhundert gejagt, doch sie sind zurück. Ein neuer Krieg bricht aus, in dem jeder an seine Grenzen geht. Wem soll man vertrauen? Wer ist Freund und wer ist Feind? Runa, sie lernt ihre eigenen Leute kennen...