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Sie fühlte sich, als würde sie ertrinken. Ein roter Schleier umgab sie. Alles war finster und blutig. Schwamm sie im Blut? Sie versuchte nach oben zu kommen, aber wusste sie nicht, wo Oben sein sollte. Sie hatte keine Orientierung. Ein Druck lag auf ihren Lungen. Es war ein schreckliches Gefühl. Sie versuchte zu schreien, aber nicht ein Ton entkam ihrer Kehle, nicht mal ein Krächzen. Sie schlug um sich, aber das brachte genauso wenig. Sie versuchte in diesem Blutnebel irgendetwas zu erkennen, aber nichts half. Langsam lichtete sich alles. Bilder kamen ihr entgegen, aber sie waren undeutlich zu erkennen; verschwommen. Sie trat näher an das Bild heran. Sie wollte es anfassen, doch dann löste es sich auf, wie der Blutroteschleier davor. Vor ihr erschien ein neues Bild. Sie sah sich um. Überall waren verschiedene Bilder, und immer sah sie ein kleines Mädchen, wie sie die unterschiedlichsten Sachen machte: Einmal kochte es eine Suppe, ein anderes Mal verband es einem Vogel den Flügel, dann kam ein Bild, wie sie Salbe herstellte und dann war da ... Ihr Magen krampfte sich bei diesem Anblick zusammen. Sie würgte, aber es kam nix raus. Sie hielt ihre Hand vor das Bild, um den Anblick nicht mehr ertragen zu müssen, aber dann spürte sie etwas auf ihrer Haut, an der Stelle, wo sie ihre Hand hin hielt. Es war das Bild. Sie berührte es. Es lag wie Wasser auf ihrer Haut. Sie betrachtete ihre Hand, die leicht im Bild verschwand. Sie zog sie raus, und selbst da reagierte das Bild wie Wasser. Sie steckte ihre Hand rein, dann die andere, bis sie mit ihrem ganzen Körper ein trat. Alles sah so klar plötzlich aus. Nicht mehr wie Wasser, vernebelt oder gespiegelt. Naja, fasst alles. Sie selber sah nun wie das die Bilder zuvor aus. Neblig. Als wäre sie eigentlich gar nicht da. Und dann war da wieder das Mädchen. Das Bild ging von ganz von vorne los, von da an, wo sie es noch nicht gesehen hatte. Das Mädchen war eine Blutzauberin, das wusste sie nun. Aber sie war nicht wie die anderen ... Sie war mächtig. Sie konnte Dinge, die kein Blutzauberer so konnte. Und Nia wusste, wer dieses Mädchen war ... Und sie wusste nicht, ob es ihr Angst machen sollte ...

Du dummes Mädchen! Wie oft muss ich dir das noch zeigen, bis du es kannst?", herchte die alte Frau das kleine Mädchen an. "Ich kann doch nichts dafür! Meine Hände sind so taub von den vielen Brennnesseln, die ich für die Salben plücken sollte. Ich spüre sie gar nicht, wie soll ich da auch noch versuchen sie zu heilen?", gab sie mit leichten Tränen in ihren Augen zurück. "Du musst es nur stark genug wollen! So, kreisen, dann geht es." Das Mädchen machte die kreisenden Bewegungen der alten Frau auf ihren Händen nach. Ein seltsam gribelndes Gefühl entstand auf ihrer Haut. Sie sah wie die Schwellungen auf ihren Händen verschwanden. Eine Erleichterung machte sich in ihrem Inneren breit. "Na siehst du, du kannst es ja doch.", sagte nun die alte Frau etwas munter und nicht mehr so grummelig. Die Kleine lächelte leicht und nickte kurz. "Na gut, dann als nächstes-", die Alte hielt inne. "Hast du das gehört, Mäd'l?" Die kleine drehte sich kurz um und lauschte. Ein kurzes Nicken, dann nichts mehr. "Das hat sich nicht wie ein Tier angehört.", sagte die Alte. "Das war ein Mensch." Das kleine Mädchen erstarrte kurz. Wie lange hatte sie schon niemanden mehr gesehen? Wie lange hatte sie schon keinen anderen Mensch mehr gesehen, abgesehen von der Alten? "Ein Mensch!", rief sie freudig. "Sei still, Mäs'l! Oder willst du uns noch umbringen?", zischte die Alte. Die Kleine erstarrte kurz. Sie war verwirrt. Warum sollte sie denn ruhig sein? Es war doch ein Mensch. Er war sicher nicht böse. Das glaubte sie nicht. "Warum denn?", fragte sie nun leise. "Ich habe die gesagt, was wir sind. Wir sind Blutzauberinen." Die kleine nickte. "Dann musst du noch etwas wissen. Wir haben rote Haare. Nur wir haben rote Haare, niemand sonst. Nur Menschen mit unserer Macht. Es gibt zwar Menschen mit roten Haaren, die haben diese Macht nicht, aber sie stammen trotzdem von solchen wie uns. Bei ihnen ist das Gen nur schon verkümmert. Sie haben nicht mehr das, was ihre Vorfahren einst mal hatten. Die Menschen hatten nur gutes von unserer Macht bekommen. Wir heilten sie alle, aber dann kam die Kirche. Menschen sind stark vom Glauben beeinträchtigt. Wir wurden als Heiden zum Tode verurteilt. Man hat uns gejagt und verbrannt. Hexen, Ketzer, Heiden ... Wir mussten fliehen. Wir mussten uns vor ihnen verbergen. Bis wir nur noch Märchen und Legenden von Kinderbüchern waren. Das ganze Leid von uns und der ganze Hass, der gegen uns gebracht wurde. Alles nur, weil diese Menschen neidisch waren, diese Männer von der Kirche. Wir wären nicht eines von Gottes Werk. Der Teufel hätte uns geschaffen, sagten sie. Rot wie vom Teufel sind unsere Haare, sagten sie. Unsere Götter empfanden sie als falsch, dabei hat ihr Gott nicht mal einen Namen. Wir dürfen diesen Mensch nicht zu uns lassen. Bitte hör auf mich. Ich will dich vor diesen Menschen beschützen. Versteck dich im Haus. Auf dich würden sie besonders jagt machen, bei dieser kräftigen Farbe. Meine Haare sind unterm Tuch versteckt, und sie sind schon verblasst, mich wird man nicht jagen wollen. Und nun geh! Versteck dich! Er ist schon fasst hier." Das Mädchen rannte schnell hinter das kleine Häuschen, das ein paar Meter hinter ihnen stand. Sie wollte sich nicht drinnen verstecken, sie wollte sehen was passierte und hören, was gesprochen wurde. Im Häuschen hätte sie nichts gehört, auch, wenn sie die Tür einen Spalt offen gelassen hätte. Und durch das kleine, verdreckte Fenster hätte sie nicht mal die Umrisse richtig erkennen können. Dazu noch das ganze Gestrüpp, das vor dem, eh schon kleinem Fenster wuchs. Nein, sie versteckte sich so, dass sie an der Seite vorbei sehen konnte, mit einem guten Blick auf die alte Frau und dem gerade heran laufenden Mann. Sie war nur erleichtert, dass die Alte es nicht mitbekam, da sie dem Mann ein Stück entgegen kam. Er war recht groß, hatte dunkle Haare, einen kurzen Bart, einen dunkelgrünen Umhang, der um seine breiten Schultern lag, einen dazu passenden Hut, lederne Schuhe und einen selbst geschnitzten Wanderstock. Er musste Wohlhabend sein, denn als er seinen Arm unter dem Umhang vorzog, kam eine Ledertasche zum Vorschein. Leder! Das musste man mal sehen. Sie hatten so etwas teures nicht. Sie aßen ja auch kein Fleisch, dass sie sich über eigenes Schlachten welches machen konnten. Blutzauberer waren strikte Vegetarier. Es konnte ja immer das gesuchte Seelentier unter einen von ihnen sein. Der Mann machte eine kurze Handbewegung zum Gruß und sagte dann: "Hallo, altes Weib. Mein Name ist Christian von Liebenstein. Ich bin der Jäger dieser Gegend. Vom König selbst zu einem ernannt, und ich stehe, wohlgemerkt, in seinen Diensten. Euch habe ich allerdings nie irgendwo gesehen. Dürfte ich wissen, wer Ihr seid? Und ob Ihr Eure Steuern auch bezahlt." Sein Ton war höflich, aber das Mädchen spürte seine schlechten Absichten. Sie konnte sein Blut spüren. Es war, als könnte sie es vor ihren Augen sehen und einfach so anfassen, seine Bahnen lenken. Den Weg zu seinem Herzen kapseln oder zu einem anderem wichtigem Organ. Sie spürte ein eigenartiges Gefühl. So etwas hatte sie noch nie gespürt. Ihr eigenes Blut fühlte sich kochend an. Ihr kribbelte alles. In ihren Fingern fing es schon zu zucken an, sie juckten regelrecht. Sie sah, wie der Mann seine Hand wieder unter dem Umhang verschwinden ließ. Sie konnte sehen, dass er sie auf etwas legte. Aber was konnte das nur sein? Sie konnte nur seine Blutbahn sehen, aber seine Sachen, die waren nicht aus Blut, die konnte sie nicht so sehen, wie das Blut unter dem Umhang. Sie fühlte sich plötzlich ganz mächtig. Ein unglaubliches Gefühl war das. Nur die Stimme der Alten hinderte sie daran, etwas schreckliches zu tun. Sie kam Augenblicklich wieder zur Besinnung, als die Alten zu reden begann, aber vorher nochmal kräftig aus spuckte, was dem Mann sichtlich wenig gefiel: "Ist mir egal, wer oder was du bist. Das hier, das ist mein Haus, ich habe es mit meinen eigenen Händen gebaut, nicht dein ach so toller König. Dem Halsabschneider werde ich sicher nicht Geld geben dafür, dass ich es gebaut habe." Der Mann fing an zu lachen, aber die säuerliche Miene der Alten ließ sich nicht erweichen. "Ein Weib? Ein Weib soll eine Hüte gebaut haben? Und dazu noch eine aus Steinen und Lehm? Das kann ich nicht glauben. Dazu kommt, dass, egal wenn es so wär, dass ein Weib eine Hüte gebaut hat, was sicher nicht so ist, das trotzdem sein Land ist und dafür bezahlt wird, auf seinem Land leben zu dürfen." Die Alte spuckte bei seinem Gerede erneut aus. Dieses Mal zuckte etwas in seiner Miene. "Ist mir egal, was du da für nen Stuß labascht. Niemandem gehört etwas, was er nicht selber geschaffen hat. Dein König hat das alles, die Bäume, Wälder, Häuser, das ganze Land, alles was darinne ist, ganz aicher nicht erschaffen. Ihm gehören höchstens die vollgeschissenen Windeln, die seine Mutter noch wechselt, bis sie selber nen zu grummen Buggel von bekommt, und seine Diener rann müssen." Sie spuckte erneut aus. Mit jedem Wort, das die Alte gesagt hatte, verfinsterte sich seine Miene immer ein Stück mehr. Runa sah die Gelassenheit der Alten und die Wut des Mannes. Er zog Blitz schnell etwas unter seinem Mantel vor. Zum Vorschein kam ein kleines silber glänzendes Messer. "Hat mir der König höchstpersönlich überreicht. Von seinen vielen Besitztümern. Ein goldener Knauf. Wahrhaft wertvoll. Der König besitzt viele wertvolle Sachen." Er betonte viel, wertvoll und besitzen dabei. "Wer solche Sachen gegen den König sagt, der muss bestraft werden." Er wollte auf die Alte losspringen, da zuckte sie kurz zusammen. Sie wollte ihn eigentlich mit ihrer Kraft töten, aber das war, als sie noch nicht wusste, dass er ein Messer besaß. Sie kannte das Gefühl der Angst und genau in diesem Augenblick hatte sie welche. Er würde sie töten, da war sie sich sicher. Kurz bevor das Messer sie erreichte, kam ein Zucken durch seinen Körper. Er krampfte zusammen und fing zu schreien an. Die Alte sah sich verwundert an. Ihre Angst wandelte sich sofort in Schockiertheit um. Da sah sie sie. Versteckt hinter dem Haus, mit Fingern, die wie Krallen geformt waren vor ihrer Brust. Ihr Blick war so schrecklich verstörend. Die Alte ging sofort auf sie zu, die Aufmerksamkeit kein bisschen mehr dem Mann gewidmet. Seine Schreie ignorierte sie. Bevor sie das Mädchen erreichte, kam nochmal ein lauter Schrei, ein zusammenbrechendes Geräusch, das ahnen ließ, dass der Körper nun am Boden lag, ein Blitzen in den Augen des Mädchens, dann Stille. "Was tust du da? Warst du das? Wie kommst du dazu!? Das ist keine Macht die wir besitzen! Nicht so! Ich hätte ihn getötet! Du hättest das nicht tun dürfen!" Das Mädchen sah die Alte an, die sie gerade so voller Wut angeschrien hatte, aber diese Wut wandelte sich beim Blick des Mädchen in einen Schauer um, der ihr eiskalt den Rücken runter lief. Der Blick des Mädchens brach, nun sah sie voller Zweifel aus. "Aber dazu wärst du gar nicht mehr gekommen! Ich habe nur getan, was ich tun musste! Er hätte dich getötet! Ich konnte ihn doch nicht einfach ... Ich konnte doch nicht einfach dabei zusehen, wie er ... wie er ... Wie er dich umbringt!" Tränen stiegen dem Mädchen in die Augen. Die Alte sah sie schockiert an, nahm sie in den Arm und strich sanft über den dünnen Rücken. Sie war nie so sanft, sie war es noch nie und wollte es nie, aber das musste dann mal so sein. Besonders in so einem Moment. Die Alte hätte den Mann nicht am Leben lassen können, das wussten sie beide, aber sie wollte das Mädchen nicht in diesem Jungen alter mit so etwas belasten. Sie sollte in diesem Alter einfach noch nicht jemanden getötet haben. Da kam der Alten ein Gedanke. "Was kannst du sonst noch?" Sie sah runter in das nun aufblickende, verwunderte und verweinte Gesicht. "Was ich noch kann?" Sie löste sich von der Alten. "Ja, wie hast du das gemacht? Mann muss eine Person berühren, um ihre Blutbahnen zu kennen. Du hast das nicht gemacht. Wie also?"
"Ich habe sie einfach gesehen. Wie eine Berührung oder so. Sie waren einfach da. Ich nahm sie und drückte zu."
"Zeig mir, was du noch so kannst." Das Mädchen stellte sich vor den Körper. Dann fing sie an ihre Arme langsam auszubreiten. Mann sah den Mann, wie er sich bewegte, ihre Bewegungen nach machte. Dann, als es nicht weiter ging, tat sie, als würde sie an etwas ziehen. Seine Schultern bewegten sich unnormal und man konnte Knochen knacken hören. Der Blick, den sie hatte, als sie den Mann tötete, kam zurück. Dann riss seine Kleidung und dann seine Arme. Blut strömte aus den offenen Stellen. Sie machte eine Bewegung, als würde sie etwas greifen und zog dann schnell dran, da flogen ihm die Augen raus. Sie formte als nächstes ihre Hände, als würde sie aus Lehm oder Erde eine Kugel formen wollen, indem sie ihre Hände dabei gegen etwas drückte, was aber nicht da war. Sie sah angestrengt dabei aus. Sie nahm immer mal eine Hand weg und presste sie dann wieder gegen die unsichtbare Kugel. Da sah man seinen Kopf, wie aus den Augenhöhlen von neuem Blut trat, aber auch etwas schleimiges. Es war sein Gehirn. Seine Knochen knirschten wieder. Nun kam auch aus seiner Nase und seinen Ohren Blut und Gehirn. Sein Kopf drückte sich ineinander, bis der Druck zu groß wurde und er zerplatzte. Sie wollte schon weiter machen, da unterbrach sie die Alte. "Das reicht. Komm wir sollten in begraben." Der Blick des Mädchens wurde wieder normal und sagte der Alten dann, dass sie sich darum kümmern könnte. Bevor die Alte was sagten konnte, machte die Kleine ihre Beine etwas auseinander, damit sie einen besseren Halt hatte, kniete sich leicht rein, knickte ihre Arme, krümmte ihre Finger nach oben, schloss kurz ihre Augen, atmete nochmal tief durch und ließ dann ihre Arme schnell nach unten gleiten. Der Körper zog sich sofort in die Erde. Nichts war mehr von ihm übrig, nicht mal ein Bluttropfen. Es sah aus, als wäre nie etwas dort gewesen. Das Mädchen richtete sich wieder auf und ging ins Haus. Sie war etwas erschöpft und wollte zur Stärkung etwas essen. Die Alte sah ihr stumm hinterher, nicht wissend, was sie sagen sollte. Sie drehte sich um.


Nia fühlte sich, als würde die Alte sie jetzt direkt angucken. Es sah aus, als hätte sie sie mitbekommen, als sie erschrocken zusammen zuckte. Hatte sie das etwa mitbekommen? Aber wie sollte sie das? Sie konnte Nia doch gar nicht sehen. Nia erstarrte. "Sorgt dafür, dass sie nicht in die falchen Hände gerät und missbraucht wird. Das darf nicht geschehen." Als die Alte das sagte, zuckte Nia erneut zusammen. Sie ging ein paar Schritte schockiert zurück, ohne die Alte aus den Augen zu lassen. Da ging die Alte schon wieder weg. Hinters Haus. Ob sie vielleicht doch nur die Götter bitten wollte, oder hatte sie Nia wirklich gesehen? Nia wusste nicht, vor was sie mehr Angst haben sollte: dieser Frau, die sie so angesprochen hatte oder diesen rot glühenden Augen, die sie hinter dem Fenster beobachteten.

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