Oh du fröhliche... Weihnachten mit Mittelerde

Prolog

Dienstag, der 3. Dezember 2019

 „Ich bin ja so froh, dass Kerker drankam. Da hab ich am Wochenende erst eine ganze Interpretation zu gelesen", seufzte Selina und ließ sich auf unserem Lieblingsplatz im Bus, ganz vorne, nieder. Nicht nur, dass man die beste Aussicht durch die großzügige Windschutzscheibe hatte, nein, noch viel besser, man konnte hier das Radio noch hören, welches die schreienden Fünftklässler aus der hintersten Reihe Gott sei Dank übertönte.

„Stimmt, ich auch", schloss ich mich an und schmiss mich ebenfalls erschöpft auf meinen Sitz, „aber es war trotzdem scheiße anstrengend."

Wir hatten gerade die Deutschklausur über Goethes Faust hinter uns gebracht, die insgesamt vier Stunden gedauert hatte. Nun befanden wir uns im stickigen Schulbus, der uns mehr oder weniger sicher zurück nach Hause bringen würde. Es war bereits Anfang Dezember und regnete schon seit Wochen ununterbrochen, weshalb wir irgendwann vom Fahrrad auf den Bus umgestiegen waren.

„Jetzt kommt endlich ein bisschen Weihnachtsstimmung auf", meinte meine Freundin müde und sah aus dem Fenster, „auch wenn das Wetter nicht so ganz mitmacht. Es sieht eher nach Herbst aus. Ein bisschen Schnee nur und mein Tag ist gerettet!"

„Da kannst du lange von träumen", murrte ich, „laut dem Wetterbericht soll es die ganze nächste Woche noch um die fünf Grad haben, für Schnee eindeutig zu warm. Das wäre auch zu schön."

Mittlerweile strömten weitere Schüler in den Bus und wie immer unterbrachen wir an dieser Stelle unsere Unterhaltung. Bei dem Lärmpegel verstand man kaum sein eigenes Wort.

„Ich fick deine Mutter Bro!", krakelte nun ein blondgelockter Junge, der mir nicht einmal bis zur Taille ging und ich verdrehte die Augen.

„Du fickst höchstens deine Benjamin-Blümchen-Bettwäsche, also halt bitte die Fresse, danke!", fauchte Selina ihn an und ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.

„Der war gut", prustete ich, nachdem der Zwerg – nichts gegen Kili, Fili und Thorin – im Gewühl verschwunden war.

„Ich hasse Kinder einfach", murrte meine Freundin, „zumindest die hier im Bus."

„Verständlich", seufzte ich und schloss die Augen. Endlich setzten wir uns in Bewegung und der Busfahrer drehte tatsächlich das Radio laut. Bayern 1. Schade.

„Ah, aha Ooh Oh - Last Christmas, I gave you my heart But the very next day, you gave it away
This year, to save me from tears, I'll give it to someone special", trällerte es uns aus den Lautsprechern entgegen. Auch das noch.

„Oh nee", stöhnte auch Sel auf, „das brauch ich jetzt echt nicht. Das ist das schlimmste am Advent, wenn überall nur noch diese scheiß Weihnachtslieder laufen. Können die nicht einfach mal normale Musik spielen, so wie das ganze Jahr über auch?"

„Das grenzt schon an Folter", stimmte ich zu, „aber das Lied hört bestimmt bald wieder auf."

Es dauerte tatsächlich nicht lange, bis die letzten Akkorde des Songs verstummten und der Moderator „Who wants to live forever" von Queen ankündigte. Halleluja. Das Lied war alt, aber meiner Meinung nach einfach genial. „Ich liebe diesen Song", murmelte ich und kuschelte mich in meinen Mantel, „aber trotzdem, ich schlaf erst mal ne Runde. Weck mich bitte, wenn wir da sind...

„Aufwachen, wir sind da!", rief Selina und rüttelte mich an der Schulter.

Gähnend öffnete ich die Augen, streckte mich und schnappte mir meinen Rucksack, um so schnell wie möglich den Bus zu verlassen.

Draußen atmete ich erst einmal die gute, frische Luft ein. Kein Vergleich zu dem stickigen Bus.

„Heute mach ich nichts mehr für die Schule", seufzte Sel und lief los, „nur noch Lebkuchen fressen, Glühwein, äh, Kinderpunsch natürlich, trinken und die Weihnachtszeit genießen..."

„Tom kommt heute zu Besuch", erzählte ich und bei dem Gedanken an meinen Bruder wurde ich sofort ein bisschen fröhlicher, „er hat die Prüfungen hinter sich gebracht und hat jetzt erst mal frei, bis nach Weihnachten."

„Cool!", freute sich meine Freundin, „Wenn die Mittelerdler uns dann auch noch besuchen kommen, ist es wieder fast so wie im Sommer. Das waren die schönsten Wochen meines Lebens, aber ich vermisse Kili echt. Und Bilbo würde ich auch gern mal wieder sehen."

Immer wenn ich an unser Abenteuer mit den Mittelerdlern zurückdachte, bekam ich auf der Stelle gute Laune und wurde gleichzeitig ein bisschen traurig. Ja, ich vermisste sie auch.

„Hoffentlich kommen sie uns an Weihnachten besuchen", seufzte ich, „und bleiben bis Neujahr. Ein Feuerwerk von Gandalf wäre der Wahnsinn, dann kann 2020 ja nur gut werden!"

„Kili hat mir versprochen, an Weihnachten vorbeizukommen und die anderen mitzubringen, ich hoffe er hat es nicht vergessen", erwiderte Selina.

„Als ob er das vergessen würde!", kicherte ich, „Der vermisst dich genauso sehr wie du ihn, da bin ich mir ziemlich sicher. Und Tauriel wollte eh auch vorbeikommen, damit Tom endlich sein... Kind kennenlernt."

Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass mein dummer großer Bruder nun echt Vater war. Er war nett und sicher ein süßer Papa, aber er war halt auch... Tom.

„Ich freue mich auf schon auf das Baby", rief Sel, „es ist sicher voll hübsch und alles. Vielleicht wirst du Patentante, das wäre doch was."

„Hoffentlich kommen sie bald", meinte ich und konnte mir ein Seufzen nicht verkneifen, „jetzt, wo wir die Klausur hinter uns haben, kann ich meine Freizeit auch wieder genießen. Ich konnte heute morgen in dem ganzen Stress nicht mal meinen Adventskalender plündern, das musst du dir mal vorstellen!"

Ja, ich war 17. Und ja, ein Adventskalender gehörte für mich immer noch zu Weihnachten dazu. Scheiß egal, dass ich angeblich zu alt dafür war. Schokolade geht schließlich immer!

Wir waren mittlerweile in unserer Straße angekommen und ich verabschiedete mich von Selina. „Ich muss heute noch Plätzchen mit Matteo backen, für eine Weihnachtsfeier in der Grundschule. Ich bin wohl beschäftigt für den Rest des Tages."

„Das hab ich auch vor", lachte meine Freundin, „allerdings backe ich die nur für mich. Und mein Vater bekommt auch was ab, aber nur vielleicht!"