24.12.2019 - Tim

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Ich fahre direkt zu meinen Großeltern, wo der Rest der Familie sich schon versammelt hat. Als ich auf die Uhr schaue, stelle ich fest, das ich ausnahmsweise sogar mal pünktlich ankomme. Also zumindest, wenn man fünf Minuten Verspätung noch als pünktlich an sieht. Überschwänglich werde ich von meiner Familie begrüßt. Neben meinen Eltern und Großeltern sind auch meine Tante mit ihrem Mann und meine Cousine mit ihrem Lebensgefährten da. Natürlich müssen sie mich mit meiner Pünktlichkeit aufziehen, aber das bin ich mittlerweile wirklich gewohnt.

Im Wohnzimmer steht ein wunderschön geschmückter Weihnachtsbaum und ich werde freudig von Henry begrüßt, welcher beinahe den Baum umgeschmissen hätte. Ich setzen mich auf das Sofa vor dem Kamin und mir wird ein Teller mit Plätzchen sowie eine Tasse Tee in die Hand gedrückt. Alle unterhalten sich fröhlich miteinander, aber mir fällt zunehmend auf, dass alle zu zweit sind, außer ich. Toll. Fragend schaut mich mein Mutter an, aber ich beschließe dieses Gespräch später zu führen. Sie weiß noch nicht, dass wir jetzt wirklich zusammen sind. Also wahrscheinlich ahnt sie es schon, weil ich im Prinzip zu Jan gezogen bin, aber sie hat noch nichts gesagt und ich auch nicht. Das will ich noch ändern, aber nicht jetzt vor der ganzen Familie, die nicht einmal weiß, dass ich auch auf Männer stehe, besser gesagt auf diesen einen speziellen Mann stehe. „Was grinst du so vor dich hin?", fragt mich Paula, meine Cousine, welche sich gerade neben mich auf das Sofa gesetzt hat. „Ach nichts", versuche ich möglichst nicht zu offenbaren, woran ich gedacht habe. „Das glaube ich dir nicht. Ist es ein Mädchen?", fragt sie ohne zu wissen, wie schwierig diese Frage für mich ist. Da ich nicht sofort antworte, zieht sie weiter ihre Schlüsse. „Du bist verliebt!", stellt sie fest und ich nicke unmerklich. „Und sie scheint dir sehr wichtig zu sein, sonst hättest du nicht diesen Blick drauf." Zu gerne würde ich jetzt antworten, wie wichtig er mir ist, aber ich kann nicht. Ich will mich nicht hier im Wohnzimmer vor ihr und all den anderen outen. In einem privaten Gespräch gerne, aber nicht so. Bedrückt schaue ich auf die Decke über meinen Beinen und antworte ihr dann: „Ja, sie ist mir sehr wichtig."

Im gleichen Moment zieht sich ein kalter Schmerz durch mein Herz. Ich habe ihn verleugnet. Ich habe uns verleugnet. Etwas, was ich mir geschworen habe, nie zu tun. Ich kann nicht länger im Wohnzimmer bleiben und springe auf. Schnell verlasse ich das Wohnzimmer und stürme zur Haustüre. Henry folgt mir verwirrt. Ich laufe einfach in irgendeine Richtung und bin froh, dass ich wenigstens meinen treuen Begleiter dabei habe und nicht ganz alleine bin.

Heiße Tränen kullern über meine Wangen, während ich versuche zu begreifen, was für ein Arschloch ich eigentlich bin, Jan zu verleugnen. Ich bereue sofort, diesen Satz gesagt zu haben und es dann noch nicht mal als der Schmerz kam aufzuklären. Warum habe ich nicht einfach gleich die Wahrheit gesagt? Niemand wird mich dafür verurteilen und ob ich es jetzt dort vor allen oder später mache, ist doch auch kein großer Unterschied. Wütend stampfe ich durch den Matsch am Straßenrand und schon bald sind meine Füße nass und kalt.

Mein Handy vibriert in meiner Hosentasche und für einen kurzen Moment hoffe ich, dass es Jan ist, der mir sagt, dass es okay von mir war, dass er es nicht schlimm findet, dass er mich versteht. Aber woher soll er wissen, dass ich gerade, dass jetzt brauche. Enttäuscht stelle ich fest, dass es nur meine Mutter ist, die ich fragt, wo ich bin. Ich schreibe ihr, dass ich mit Henry Gassi gehe und dass ich in ein paar Minuten wieder zurück sei. Ihr darauffolgendes Aha lässt durchblicken, dass sie später auf jeden Fall noch mit mir reden wollen wird.

Tatsächlich schlage ich wieder den Weg zu meinen Großeltern ein. Ich setze ein Lächeln auf und klingle. Meine Mutter öffnet mir: „Da bist du! Ich habe mir echt Sorgen gemacht als du plötzlich weg warst." „Sorry, Henry musste raus und da habe ich irgendwie vergessen was zu sagen.", versuche ich eine logische Erklärung für mein Verhalten zu finden. Sie akzeptiert meine Ausrede und ich folge ihr wieder ins Wohnzimmer. Paula wirft mir einen fragenden Blick zu, aber ich ignoriere sie. Ich weiß sie kann nichts dafür, weil ich ganz alleine so blöd war, aber trotzdem, hätte sie nicht weiter gefragt, dann... und außerdem, will ich erst mit meiner Mutter darüber reden, dass es zwischen mir und Jan jetzt offiziell ist.


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Mir tut Tim leid...

Was hättet ihr an Tims Stelle getan?

Liebe Grüße

Gewitter im Kopf - FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt