° Epilog °

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Mit dem kalten Wind geht der verletzte Körper zu Boden, drückt die gefrorenen Halme des kurzen Grases nieder. Schneeflocken kleben sowohl an dem dicken Schal, als auch in den langen, dunklen Haaren.

Tonlos bahnt sich eine salzige Spur über die, von der winterlichen Kälte, gerötete Haut. Dumpf prallt der Schnee auf den Boden, verbindet sich mit der weißen Decke. Ein grauer, schlichter Stein hat sich darunter versteckt, die Eingravierung vor den traurigen Augen verborgen, als wolle er das junge Mädchen vor dem Anblick bewahren.

,,Hallo Mama..." Die gehauchten Worte werden vom Wind davongetragen, in die Weite dieser Welt, die chaotischer nicht sein kann. Und doch scheint das Mädchen durchzudringen, ihr gewünschtes Ziel erreichen zu können.

Es ist ein trostloses Lächeln, das ihre zittrigen Lippen bedeckt, doch es bricht schnell wieder. Ein falsches Lächeln ist nicht schön und es soll diesen Ort nicht beschmutzten.

Ein kleines Buch, das schon einen Wasserschaden und vereinzelte Risse aufweist, findet vor dem kalten Stein Platz. Der Einband hat schon langsam begonnen sich von den beschriebenen Seiten zu lösen, doch es hält schon seit mehreren Jahren diesen Zustand aus.

,,Ich habe es zuende gelesen." Mit einem bedrückten Seufzen wischt sich das Mädchen zuerst die Tränen unter den strahlend roten Augen weg und schließlich die schwarzen Haare aus dem Gesicht. Ihr Blick gleitet in den Himmel, hinauf zu der hellen Kugel. ,,Der Mond leuchtet, Mama. Der Mond leuchtet heute nur für dich."

,,Papa hatte recht, du konntest wirklich gut schreiben. Ich bin echt eine Niete in Aufsätzen, das glaubst du mir nicht." Ein leises Schmunzeln erfüllt die beruhigende Stille, ehe ein schmerzliches Schluchzen den zusammengekauerten Körper erzittert. ,,Ich vermisse dich so sehr."

Heiß trifft auf Kalt, als die Tränen auf den Schnee tropfen und nur minimale Spuren hinterlassen. ,,Ich hasse dich dafür, dass du mich so früh alleine gelassen hast." Die Schultern des weinenden Mädchens beben stark und ein hohles Keuchen entweicht ihrer Kehle. ,,Ich hasse dich!"

Ein tiefer Abdruck entsteht bei dem Einschlag einer zitternden Faust, welche sofort in den warmen Ärmel gezogen wird. ,,Es tut so weh. Mama, mein Herz tut so weh. Ich fühle mich nicht gut, meine Brust ist so schwer, Mama. Ich brauche dich, siehst du das nicht? Du musst zurückkommen, ich kann nicht ohne dich! Papa kann nicht ohne dich! Shouta, Mina, Shōto und auch Izuku, wir alle brauchen dich, Mama."

Der Schmerz des Verlustes hängt seit einigen Jahren in der Luft und doch ist er bei diesem verletzten Mädchen noch eine tiefe Wunde. Die Hose durchgeweicht vom Schnee und die Stirn auf dem kalten Einband des kleinen Buches, in dem das ganze Leben einer 23-Jährigen Mutter verfasst ist.

Ein Buch, das von Tränen getränkt ist und schon oft von der Verzweiflung zerrissenen und geworfen wurde. Ein Buch, das auf der Hoffnung und Liebe beruht und doch so viel Leid mit sich bringt.

,,Mama, du hättest nicht dein Leben für mich geben dürfen, denn jetzt bin ich alleine. Wieso hast du das nur gemacht? Papa und du wolltet doch endlich heiraten. Wir wollten doch zusammen in den Urlaub, wieso bist du also gegangen?"

Ein erstickter Schrei bricht die Worte ab und voller Verzweiflung lässt die hilflose Kreatur all ihren Kummer aus. All den Schmerz, den der Tod dieser geliebten Person mit sich bringt. Dieses Loch, das danach brüllt endlich wieder mit Freude und Glück gefüllt zu werden und eine unerträgliche Last auf das Mädchen überträgt. Eine Last, die erdrücken zu scheint.

Ich liebe dich

Mit einem hohen Schrei schreckt der zierliche Körper nach oben. Hektisch wandern rote Augen umher und dicke Tränen quillen aus den großen Augen. ,,Mama..." Fest klammert sie sich an das wertvolle Buch, drückt es an ihre Brust und schützt es vor jeglichem Schnee. Ein Hauch der Wärme schien diesem Ort gerade erfüllt zu haben.

Ein Schatten zieht sich auf der weißen Decke entlang und ruckartig zuckt der verschreckte Kopf nach oben. Ein liebevolles Lächeln bringt Ruhe in die aufgewühlte Welt des Mädchens und mit zittrigen Beinen stolpert das Wesen auf den Menschen zu, der seine Arme ausgebreitet hält.

Glück durchströmt ihren Körper und sie vergräbt sich tief in der Brust ihres Vaters, der seinen Kopf auf ihren gelegt hat. Mit einem leichten Lächeln blickt er den friedlichen Grabstein an und drückt seiner Tochter einen kleinen Kuss auf den Kopf, mit dem Wissen, dass die Frau, der er einst sein Herz geschenkt hat, hier bei ihnen ist.

Und so spürt er die mächtigen Flügel, die sie beide einhüllen und vor jeglichen Gefahren schützen, wie sie es seit den Auswahlprüfungen tun und immer tun werden.

Im Lichte des Mondes gehen die zwei zu ihrem kleinen Heim und zurück bleibt nur eine kleine Feder, die dem Wind des Winters zu widerstehen scheint.

Ein Mond unter SternenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt