° Kapitel 36 °

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Rufe, Krachen, Explosionen und viele weitere individuelle Geräusche drangen in das Gehör der Schwarzhaarigen. Immer wieder zuckten ihre blauen Ohren zu etwas, dass unter dem ganzen Tumult deutlich hervordrang, ob es nun ein Schrei oder etwas anderes war.

Jeder ihrer Klassenkameraden arbeitete an einer Spezialtechnik, einer Erweiterung ihrer Fähigkeiten. Nur Jamini saß auf Knien in einer der Ecken der Halle und versuchte herauszufinden, was überhaupt in ihr steckte.

Reiß dich zusammen und konzentriere dich!

Tief durchatmend schloss sie ihre Augen. Ihre Hände ruhten auf ihren Schenkeln und ihr Rücken war durchgestreckt. Sie fokusierte sich einzig und allein auf ihren oberen Rücken, entspannte jedoch gleichzeitig jeden Muskel.

Es war wie damals, als sie mit ihrem Vater übte ihre Flügel zu rufen. Man musste sich genau auf den Punkt zwischen den Schulterblättern konzentrieren und der Energie freien Lauf lassen.

Das war die natürliche Art, doch vor allem als sie noch klein war, kam es vor, dass sie durch Wut oder Angst als Schutz erschienen sind. Die ersten Male war es schmerzhaft gewesen, damals hatte es sich nach dem Aufreisen von Haut angefühlt.

Jamini blendete ihr Umfeld unbewusst aus, auch Shouta, der sie die ganze Zeit beobachtete, auch wenn er sagte, er ließe sie allein. Das angenehme Gefühl strömte ihre Wirbelsäule hoch. Wärme und Kraft.

Ihre Braue zuckte, als ihre Arme und Finger anfingen zu kribbeln und der Strom in ihre Fingerspitzen floss. Ihre ganze Hand schien sich zu erhitzen, etwas, dass ihr noch nie zuvor passiert war.

Es war neu und trotzdem fühlte es sich richtig an und so verließ sie sich auf ihr Bauchgefühl. Es zog etwas, als die dunklen Federn langsam aus ihrem Rücken wuchsen und ihr Körper vorsichtig nach oben gezogen wurde.

Für einen klitzekleinen Moment schien etwas durch ihre Augenlider zu stechen und vor Schreck riss Jamini diese auf.

Nichts.

Alles Schwarz.

Die Enttäuschung fegte das Gefühl von Stärke beiseite und die Schwarzhaarige atmete traurig aus.

Das wäre auch zu einfach gewesen.

Schnell schüttelte sie ihren Kopf, warf die negativen Gedanken beiseite. Noch gestern hatte sie sich selbst gesagt, dass sie alles gäbe um wieder mit ihren Freunden auf der selben Stufe zu stehen und jetzt würde sie dafür kämpfen.

Mit neuer Entschlossenheit bewegte sie ihre Flügel wie automatisch und verlor den Boden unter den Füßen. Das Glücksgefühl beim Fliegen bestärkte sie nur noch mehr. Schon lange war Jamini nicht mehr in der Luft gewesen. Die Freiheit hatte ihr gefehlt.

Ein Lächeln huschte über die Lippen des Mädchens und sie griff mit der rechten Hand nach hinten. Es zwickte als sie sich eine Feder herausriss, die ihr jedoch vor Schreck aus der Hand glitt. Nicht nur der plötzliche Schmerz, als sie sich ausversehen schnitt, sondern ihre Finger ließen sie wieder landen.

Ohne etwas zu sehen, starrte Jamini ihre Hände an und schloss sie vorsichtig zu einer Faust, nur um spitze und harte Finger zu spüren. Ohne groß drüber nachzudenken, drückte sie ihre Fingerspitzen auf ihren linken Unterarm und zog sie quer über die Haut.

Sofort zog sie ihre Hand zurück, als die Wunde zu brennen und schmerzen begann. Das Blut quoll aus den drei Schnitten und tropfte auf den Boden.

,,Was zur..", hauchte die Schwarzhaarige und tat das Gleiche am anderen Arm. Die rote Flüssigkeit sickerte aus der offenen Haut ihres Unterams und verschmierte nicht nur ihre Arme und Hände, sondern auch den Boden.

,,Jamini!" Sofort fuhr der Kopf des Mädchens hoch und sie spürte, wie ihr Klassenlehrer auf sie zugestürmt kam. Sein Schrei war so laut und erschrocken, dass nicht nur seine Aufmerksamkeit auf der Blauäugigen lag.

,,Warum blutest du?", fragte Shouta besorgt und nahm vorsichtig ihre Arme in seine Hände. Ohne auf ihn einzugehen stellte Jamini eine Gegenfrage. ,,Habe ich Krallen oder sowas?"

,,Da schau ich einmal weg... Was hast du gemacht, verdammt?", fuhr der Schwarzhaarige sie an und zog sie leicht am Oberarm hinter sich her, ignorierte ihre Frage ebenfalls. ,,Ich hab' kaum Kraft benutzt...", murmelte sie und wurde von Shouta auf eine Bank gedrückt.

,,Ist alles in Ordnung? Du ziehst eine ganze Spur hinter dir her.", wandte sich einer der anwesenden Helden an das Mädchen. ,,Ich denke nicht, dass es genäht werden muss, trotzdem sollte sie gleich mal zu Recovery Girl.", sprach der Schwarzhaarige ihm zu und kniete sich vor Jamini.

Kaum eine Sekunde danach wurde etwas weiches auf ihren rechten Arm gedrückt und ihre Finger zuckten kurz, durch das plötzliche Brennen. ,,Sag doch vorher was.", meinte sie und atmete tief ein. ,,Du bist selbst Schuld, wie kommst du nur auf so eine dämlich Idee?"

Jamini setzte zur Rechtfertigung an, als erneut zwei Personen auf die beiden zugelaufen kamen. ,,Was zum Teufel, bist du total bescheuert?"  ,,Bakugou, Ashido, sorgt dafür, dass ihr Blut nicht weiter den Boden versaut. Ich hole Verbandszeug.", unterbrach Shouta Katsuki sofort und stand auf.

Die beiden kamen auf die Schwarzhaarige zu, welche sich das Handtuch um den rechten Arm wickelte, während ihr linker Arm schmerzhaft pochte.

Grob wurde ihre Hand beiseite gedrückt und der Stoff fester um ihre Haut geschlungen. ,,Du bist der größte Idiot, den ich kenne.", motzte der Blonde und Jamini verzog ihr Gesicht etwas, als Mina ihren anderen Arm einpackte und nicht weniger zupackte.

,,Jami, was machst du nur?"  Die Angesprochene ging auf keine Frage ein, sondern konzentrierte sich auf ihre Finger, die zu kribbeln begannen. Das Gefühl verschwand und sie wandte sich an die beiden. ,,Sind die Krallen weg?"

,,Ja verdammte Scheiße, was sollte der Mist überhaupt, huh?", fuhr Katsuki Jamini erneuert an, als ihr Klassenlehrer zurückkam. ,,Das würde mich auch mal interessieren."

Die Flügel schrumpften und verschwanden schließlich wieder im Rücken der Schwarzhaarigen, welche sich seufzend zurücklehnte und sich die Wunden verbinden ließ. ,,Meine Finger haben sich komisch angefühlt und dann hab ich es einfach getan, keine Ahnung. Ich weiß selber, dass es dumm und unüberlegt war.", verteidigte sie sich bestmöglich.

Trotz allem hoben sich ihre Mundwinkel etwas. ,,Was grinst du so dumm? Deine scheiß Aktion ist wohl kaum witzig!", brüllte Katsuki, doch Jamini ignorierte seine Wut und Sorge. ,,Seht es so, ich kann noch Fliegen, meine Federn verhärten und habe jetzt auch noch Krallen. Das ist doch ein guter Anfang."

Und es war noch nicht mal schwer, das zu schaffen. Ich hab' mir eindeutig zu viele Gedanken gemacht.

Voller Tatendrang stand Jamini auf und lächelte in die Runde. ,,Also, das Training ist noch nicht zuende.", sprach sie und ging zurück in ihre Ecke, bekam aber das Kopfschütteln ihres Klassenlehrers noch mit.

Ich kann es schaffen. Ich muss einfach, egal wie anstrengend es wird.

Ein Mond unter SternenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt