Neunundzwanzigstes Kapitel

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Der Lernstress an der Uni nimmt langsam zu, meine Kurse sind nun in vollem Gange und die Professoren haben kein Erbarmen. Weil ich den ganzen Samstag mit Alan und Sonntagmorgen in der Werkstatt verbracht habe, sitze ich nun am grossen Esstisch und versuche, meinen Essay voranzutreiben.

In Jogginghose und schrecklichem Dutt wackle ich auf meinem Stuhl hin und her. Gerade konnte ich mich ganze zehn Minuten lang konzentrieren, nun sind meine Gedanken bereits wieder unbewusst abgewandert. Ich verfluche mich für meine fehlende Konzentration, wenn ich doch nach dem Essay noch die Novelle fertig lesen müsste. Andererseits ist der Gedanke daran, was Alan wohl gerade macht, viel spannender.

Immer wieder reisst mich ausserdem das Blinken und Surren meines Handys aus meiner Konzentration. Dylan und Zach wollen den schönen Sonntagnachmittag unbedingt nutzen, Skye natürlich auch. Wenigstens Miles scheint genauso beschäftigt mit seinen universitären Verpflichtungen zu sein, wie ich. Als ich es nicht mehr länger aushalte schalte ich mein iPhone auf stumm und drehe den Bildschirm nach unten.

„Wer schreibt dir denn da die ganze Zeit?", erkundigt sich meine Mutter und tritt aus der Küche.

„Zach und Dylan", antworte ich ohne aufzublicken. Ich will mich gar nicht auf ein Gespräch einlassen, muss endlich vorankommen.

„Nicht etwa dein Verehrer?", hackt sie nach und ich gucke sie überrascht an. Sie lehnt sich verschwörerisch grinsend gegen den Türrahmen.

„Welcher Verehrer denn?", stelle ich mich nervös dumm. Bisher habe ich ihr noch nichts von Alan erzählt.

„Na der, mit dem du dich immer triffst", lächelt sie wissend und nimmt einen Schluck aus ihrer Kaffeetasse. „Es sei denn, es gibt mehrere."

„Nein, natürlich nicht", will ich mich herausreden. Wieso ich meiner Mutter noch nicht von Alan erzählen will, weiss ich selbst nicht. „Wie kommst du darauf?"

„Sin, du vergisst, dass ich auch mal jung war. Ich weiss, wie es ist, heimliche Treffen zu haben."

Ich verstumme grinsend.

„Keine Sorge, ich lasse dich in Ruhe", entschuldigt sich Mom und tritt in den Gang. „Halt mich auf dem Laufenden, wenn sich was tut."

Ich nicke nur und richte meinen Blick auf meinen Laptop. Wenn es was zu erzählen gibt, werde ich es Mom natürlich nicht verschweigen. Aber was würde ich denn im Moment sagen wollen? Mom, ich date einen Adrenalinjunkie. Oder noch besser: Mom, ich glaube ich habe mich ernsthaft in einen Jungen verliebt, der Dinge konsumiert, die ich nicht einmal benennen kann. Eher nicht.

Andererseits, es ist anfangs März und ich kenne Alan nun seit rund drei Monaten. Verbringe seit zwei davon jede freie Minute mit ihm. Wäre es nicht an der Zeit, ihn meinen Eltern vorzustellen? Oder ist das noch zu früh? Wieso habe ich eigentlich überhaupt keine Ahnung, wie sowas geht?

Was ich brauche, und zwar jetzt, ist eine Freundin. Denn solange ich dieses Hirngespinst in mir habe, werde ich sowieso nicht weiterarbeiten können. Danke Mom.

Schnell tippe ich eine Nachricht an Riina und packe mein Lernmaterial zusammen. Mitsamt Saftglas und Decke stolpere ich die Treppe hoch in mein Zimmer und lege meine Bücher weg. Ein Blick in den Spiegel bestätigt, dass ich absolut furchtbar aussehe, genau wie es sich an einem Sonntagnachmittag gehört.

Keine zehn Minuten später ruft mich meine beste Freundin per Videoanruf an.

„Sin!"

„Hallo Riina", rufe ich begeistert und werfe mich aufs Bett. Wie sehr ich ihre Stimme vermisst habe!

„Du meintest, dass du einen Notfall hast", kommt meine beste Freundin sofort zum Punkt. „Was ist denn los?"

Ohne Umschweife, ohne Skrupel und ohne, dass mir überhaupt irgendwas davon vor Riina peinlich wäre, erzähle ich ihr von meiner Zeit mit Alan, meinen Gefühlen für ihn und meiner Unsicherheit, ihn meinen Eltern vorzustellen. Den Teil mit dem Adrenalin lasse ich aus. Ebenso die Drogen. Wenn überhaupt, dann soll Riina dieses etwas unschöne Detail von mir persönlich erfahren. Und nicht über Videoanruf.

„Na, wenn du mich fragst bist du deutlich verknallt", grinst Riina zufrieden. „Ich kann's kaum glauben. Endlich!"

„Ich weiss", gestehe ich, „ich auch nicht. Aber ob es ihm auch so geht, weiss ich echt nicht."

„Naja, genau genommen kannst du das nie wirklich wissen", meint sie und überlegt kurz. „Meiner Erfahrung nach kann dir ein Typ ja immer etwas vormachen, um das von dir zu kriegen, was er will."

„Ja, eben!"

„Aber das ist sicher nicht in jedem Fall so. Hmm..."

Nach einer kurzen Pause grinse ich breit. „Ich bin froh, dass du auch keine Ahnung hast."

Sie lacht und ich stimme mit ein.

„Aber ehrlich", ergreift sie noch einmal das Wort. „Wenn er dir so wichtig ist, ist es doch ganz egal wie es ihm geht. Sobald du bereit bist, ihn deinen Eltern vorzustellen, frag ihn doch einfach. Dann kann er selbst entscheiden, ob es für ihn noch zu früh ist."

„Du hast recht", nicke ich. „Natürlich, scheint logisch. Dann warte ich jetzt einfach, bis ich mir ganz sicher bin."

„Tu das. Und wie steht es mit ihm?"

Fragend mustere ich ihr Bild auf meinem Handy.

„Na", setzt Riinas helle Stimme noch einmal an, „hast du denn seine Familie schon kennengelernt?"

„Nein", antworte ich nur. „Alan hat nicht wirklich Kontakt zu seiner Familie."

„Was, wieso denn nicht?"

„Weisst du Riina, er hatte wirklich eine schwierige Kindheit, glaube ich. Seine Eltern sind nicht so, wie unsere."

Dann erkläre ich meiner ältesten Freundin, was er mir erzählt hat. Es tut gut, es endlich mit jemandem zu teilen. Solch private Dinge über Alan weiterzuerzählen, ist mir nicht sehr angenehm, weshalb ich meine Freunde hier auch nicht einweihen möchte. Aber Riina scheint so weit weg und ist mir gleichzeitig so nah und vertraut, dass sie eine Ausnahme sein darf. Als ich fertig bin schaut sie betrübt und schüttelt den Kopf.

„Das ist echt traurig", meint sie. „Sowas sieht man doch normalerweise nur in Filmen."

„Mhm", nicke ich. Dann kuschle ich mich tiefer in meine Decke.

Es tut so gut, offen über all meine Gedanken und Gefühle sprechen zu können – und Riina scheint es genauso zu gehen. Obwohl wir eigentlich nur kurz telefonieren wollten, endet unser Gespräch erst nach zwei Stunden Dauergeplapper, verteilten Ratschlägen und etlichen Lachern. Es stellt sich heraus, dass Riina nun doch eine Probezeit in Arvids Band absolviert und er zwar immer noch sehr bescheuert redet, dabei aber eben auch sehr attraktiv ist. Dieser typischen Musiker slash Bad Boy Masche verfällt schlussendlich eben auch Riina. Und ich gönne es ihr von Herzen. Auch wenn ich hoffe, dass er es nicht ausnutzen wird.

„Sin, kannst du diesen Sommer nicht mal wieder zurückkommen? Ich vermisse dich so unendlich doll", bittet Riina kurz bevor wir auflegen.

„Ich dich auch", seufze ich traurig. „Jetzt gerade wieder noch viel schlimmer als üblich."

„Dann komm doch im Sommer einfach für ein paar Tage zu mir", schlägt sie erneut vor.

„Weisst du was? Das mache ich", stimme ich zu. Mom und Daddy werden ganz bestimmt nichts dagegen haben. Riina hat auch in ihren Herzen einen besonderen Platz. „Lass mich gucken, wann ich kommen kann."

„Echt jetzt?", ruft Riina begeistert aus und springt auf, sodass das Bild total verwackelt.

„Ja!"

„Oh mein Gott! Das wird so toll!"

„Und vielleicht kannst du auch bald mal wieder nach Brighton kommen", hoffe ich.

„Ich gucke morgen gleich, wann ich ein paar Tage frei machen kann", antwortet sie begeistert. „Aber meine Ferien sind schon eingetragen und vor Herbst wird das wahrscheinlich schwierig."

„Egal, Hauptsache wir sehen uns überhaupt."

„Ja!"

Als wir auflegen, gucke ich sofort nach Flügen nach Umeå, meinem Heimatsort. Da es noch ziemlich früh zum Buchen ist, sind recht viele erschwinglich. Sofort stürme ich mit Laptop bewaffnet nach unten und weihe meine Eltern begeistert in meinen Plan ein.

Lila LichterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt