Einunddreissigstes Kapitel

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Am Samstag stehe ich erneut im Studio, nun mit Eamon an meiner Seite. Obwohl meine Gedanken vom kurzen Treffen mit Alan, zu Miles' und Dylans Beziehungskrise weiter zu meinen unfertigen Uniaufträgen kreisen, versuche ich mich bestmöglich auf den Bewegungsablauf zu konzentrieren.

Katies Choreographie zu Ludovico Einaudis „Divenire" ist so zart und gleichzeitig stark, dass ich ihr nur schwer gerecht werden kann. Und der Schwierigkeitslevel ist so hoch, dass ich immer wieder aus dem Artistischen rausfliege, um mich auf die Abläufe zu konzentrieren. Dass meine Gedanken dabei immer wieder abschweifen, hilft auch nicht gerade.

„Nein, Sin, nur zwei Schritte", ruft Katie durch die Musik, doch ich habe keine Zeit sie anzusehen. Durch die Ablenkung verpasse ich einen Sprung und pralle fast in Eamons starken Oberkörper. Er fängt mich erschrocken auf und Katie stellt die Musik aus.

„Alles in Ordnung?", vergewissert sich Eamon, der die Wucht des Aufpralls mit einem Ausfallschritt ausgleicht.

„Sorry", stammle ich ausser Atem.

„Lasst uns die Schritte noch einmal trocken wiederholen", ruft Katie und ich trete einen Schritt von Eamons starken Armen weg. „Die Zwischenschritte sollten nun sitzen, damit wir an der Sprungkraft feilen können."

Ich nicke, entnervt über meine eigene Unfähigkeit, die Choreographie umzusetzen. Wir repetieren den Ablauf der Schritte und Katie betont, wo wir bereits Akzente setzen sollen: „Die Hände kommen bis auf Kopfhöhe, stopp, dann auf den dritten Schlag weiter. Alles klar?"

Eamon nickt und geht bereits in die Startposition. Weil er ständig auf mich warten muss, werde ich immer aufgeregter. Und die Nervosität stört meine Konzentration, sodass ich zu zittern beginne.

Als wir diese Stelle endlich im Griff haben, üben wir einige alte Choreographieteile, Sprünge und schliesslich Hebefiguren. Mein kräftiger, konzentrierter Tanzpartner ist mir in allem völlig überlegen. Er führt nicht nur die Sprünge auf Anhieb richtig und mit einer enormen Sprungkraft aus, sondern kann sich auch die Abläufe ohne Probleme merken. Und auch bei den Hebefiguren gleicht er meine fehlende Spannung oder Kraft immer wieder aus und fängt mich auf, wenn ich mich nicht mehr halten kann. Je länger wir üben, desto öfter mache ich Fehler und werde zunehmend frustriert.

„Okay, lasst uns damit aufhören", stöhnt Katie irgendwann. Nicht unfreundlich, aber sichtlich entmutigt. Ich würde am liebsten im Boden versinken.

„Tut mir leid", keuche ich kleinlaut. „Ich werde Zuhause üben."

Katie nickt. „Konzentrier dich vor allem auf Kraftübungen. Die Abläufe werden mit der Zeit sitzen, da bin ich mir sicher. Aber du musst Muskeln in Beinen und Armen aufbauen. Zieh dich um und triff mich danach am Empfang. Ich gebe dir ein Leitheft mit, damit du gezielt trainieren kannst."

„Okay", nicke ich den Tränen nahe. Heute habe ich wirklich alles vermasselt, was man falsch machen kann. Und nicht nur heute: Schon seit Wochen zeigt sich, dass mir Eamon tänzerisch deutlich überlegen ist. Dass ich ihn bremse, regt mich mehr auf, als alles Andere.

Als wir das Studio verlassen, entschuldige ich mich kurz bei Eamon, der aber nichts davon hören will.

„Du musst dich nicht dafür entschuldigen, dass dein Körper nicht alles auf Anhieb kann. Aber wenn du willst, können wir ab und zu zusammen trainieren. Wir können zusammen joggen gehen oder ins Fitnessstudio."

„Ich habe kein Abo", antworte ich achselzuckend.

„Dann lösen wir eben eins. Den ersten Monat bekommst du in meinem Gym zu einem Sonderpreis."
„Klingt gut", nicke ich dankbar, obwohl ich eigentlich überhaupt keine Lust aufs Fitnessstudio habe. Geschweige denn Zeit dafür.

„Willst du nachher zusammen einen Trainingsplan erstellen?", fragt er kurzerhand. „Wir können was essen und das gleichzeitig machen. Ich bin am Verhungern."

„Mhm", nicke ich erneut. Kein Wunder, wenn er mein volles Gewicht eine Stunde lang tragen muss. Ich verschwinde in die Damenumkleide und husche schnell unter die Dusche.

Drei Stunden später sitze ich im Bus nach Hause, Katies Heft und Eamons Trainingsplan in meiner Tasche. Die nächsten beiden Monate werde ich wohl oder übel jeden Tag entweder joggen gehen, Krafttraining im Fitnessstudio machen oder Tanzunterricht besuchen. Und das neben Unistress, Arbeit, Alan und meinen Freunden.

Ich schliesse die Augen und atme die muffige Luft im Bus tief ein. Überraschend wärmen einige Sonnenstrahlen mein Gesicht. Mein Herz pocht als würde mein ganzer Körper den Stress fühlen, dem ich in den nächsten Wochen ausgesetzt sein werde.

Lila LichterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt