Erstes Kapitel

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Einen Monat später

„Du weißt was ich darüber denke", antworte ich und mustere die hübsche junge Frau auf dem Bildschirm. Obwohl ihre Bewegungen wegen der schlechten Verbindung unnatürlich roboterhaft sind, sieht Katariina immer noch märchenhaft aus. Ihr rötliches Haar und ihre extrem helle Haut werden vom weissen Licht in ihrem Zimmer so erhellt, dass sie beinahe mit ihrer Umgebung zu verschmelzen droht.

„Ja...", stöhnt sie und schaut weg von der Kamera.

Am liebsten würde ich sie jetzt bei den Armen packen und so lange auf sie einreden, bis sie es endlich einsieht. Aber die vielen Kilometer zwischen uns kommen eindeutig dazwischen. In diesem Moment vermisse ich sie so sehr wie schon lange nicht mehr. Obwohl ich gerade mit ihr rede, kann ich trotzdem spüren, dass wir uns nicht mehr so nahestehen, wie wir es einmal getan haben.

„Riina", sage ich und lächle wehmütig, „du kannst toll singen. Und wenn das nun selbst dieser Arvid sagt, dann musst du es einfach glauben. Du musst."

„Vielleicht hört er schlecht", witzelt meine Kindheitsfreundin und lacht ihr herzensgutes Lachen.

„Hör doch auf", antworte ich, kann aber nicht ernst bleiben. „Jede andere würde dafür sterben, in einer Band zu singen. Dieser Arvid will dich in seine Band! Wie kannst du da nein sagen?"

„Sin, sei still, ja? Ich will in überhaupt keiner Band singen."

„Das willst auch nur du", sage ich kopfschüttelnd. „Welche Neunzehnjährige möchte bitte nicht die Frontfrau einer coolen Band sein?"

„Du kennst Arvid nicht. Na gut, vielleicht machen sie ziemlich gute Musik. Aber meine Zeit mit diesem Trottel zu verschwenden, das fehlt mir gerade noch. Ausserdem kannst du mir noch so oft sagen, dass ich gut singen kann. Gerne mache ich es dennoch nicht."

Ich nicke da ich Katariina in- und auswendig kenne. Singen vor einem Publikum ist nie ihr Ding gewesen.

„Bestimmt findest du diesen Arvid gar nicht so einen Idioten, na?", frage ich grinsend nach und wackle mit den Augenbrauen.

„Hör bloss auf*, sagt Katariina am anderen Ende und stellt ihren Kopf schräg. Beide lachen wir los. Es tut so gut, wieder einmal mit ihr rumzualbern.

„Jetzt mal ehrlich", sage ich schliesslich und greife nach meiner Tasse Chai Latte, die neben meinem Bett auf dem Boden steht. Das erhitzte Keramik erwärmt meine Hände fast augenblicklich. „Wie läuft es da unten so? Irgendwelche neuen heissen Jungs?"

„I wish", Katariina verdreht die Augen. „Schweden ist so langweilig wie eh und je."

Ich lache, doch der Gedanke an meine Heimat stimmt mich traurig. Ich vermisse mein Schweden, selbst wenn die Jungs Katariina und mir nie haben gefallen können.

„Keine Angst, du verpasst absolut nichts."

„Dann ist ja gut", witzle ich zurück und nehme einen Schluck des heissen Tees.

„Dann ist ja gut?", fragt meine Freundin zurück. „Heisst das, ich verpasse da oben was?"

„Nein, nein", antworte ich schnell, zu schnell.

„Sin? Sei ehrlich zu mir."

„Ich bin ehrlich!"

„Bist du nicht", lacht Katariina und macht grosse Augen. „Das merke ich doch. Erzähl schon!"
„Riina", grinse ich zurück. „Da ist nichts. Wirklich."
Brightons Universität ist zwar voll von hübschen Jungs, dennoch habe ich wie immer überhaupt nichts am Laufen. Also lüge ich meine Freundin nicht direkt an. Nicht direkt. Aber wieso sollte ich ihr auch von meinem mysteriösen Unbekannten erzählen. Überhaupt niemand weiss davon, und so wird es auch bleiben.

Lila LichterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt