Dreissigstes Kapitel

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Die Woche danach vergeht im Schneckentempo. Froher denn je bin ich, als ich endlich in Annies Studio stehe und Katies Kombo folge. Mein Puls rast. Obwohl ich nur einen Sport-BH trage, ist mein Oberkörper vollkommen verschwitzt und ich lechze nach Sauerstoff. Miles, der diesen Tanzkurs ebenfalls besucht, sieht auch nicht viel besser aus.

Nachdem das Musikstück zu Ende gegangen ist, pausiert Katie die Playlist und lobt unsere Fortschritte.

„Wir machen das gleich noch einmal", meint sie zum allgemeinen Entsetzen. Manchmal hat meine Tanzlehrerin einfach zu viel Energie. „Achtet darauf, dass ihr das Grand Jeté wirklich voll ausführt, etwa so."

Währenddem sie die Bewegung problemlos und flüssig vorzeigt, sauge ich gierig an meiner Wasserflasche.

„Ella, achte darauf, dass du bei diesem Sprung den hinteren Fuss flext", ruft Katie zur Gruppe rüber. „Und Sin, wenn du auf den Boden sinkst, kannst du das Bein noch etwas länger oben halten. Geh an deine Grenzen."

Als ob ich das nicht schon täte. Doch ich nicke. Dann geht die Musik von vorne los und wir positionieren uns im Raum. Weil es bereits Ende des Unterrichts ist und wir uns seit eineinhalb Stunden anstrengen, komme ich viel schneller an meine Grenzen und bleibe am Ende der Kombination genau wie die anderen Tänzerinnen und Tänzer am Boden sitzen.

„Sehr gut, das wär's für heute." Katie klatscht in die Hände und schaltet die Musikanlage ab. „Nächste Woche setzen wir die beiden Teile zusammen".

Langsam und ausser Atem raffen wir uns auf und schlurfen mitsamt Wasserflaschen aus dem Studio.

„Das war hart", meint Miles bedrückt, was ihm gar nicht ähnlich ist. Normalerweise ist er nach Katies Unterricht – egal wie anstrengend er war – immer bester Laune.

„Ich bin schon gespannt auf nächste Woche", erwidere ich grinsend. „Ich glaube, wenn wir die beiden Teile verbinden, werden wir alle nach zwei Durchgängen sterben."

„Ich glaube, ich überspringe nächst Woche", murmelt Miles ernst, doch als ich ihn fragend anschaue, steht er bereits im Männerumkleideraum.

Verwirrt folge ich meinen Tanzfreundinnen in unsere Garderobe. Was ist nur in ihn gefahren? Katie war heute recht zufrieden mit ihm.

In Windeseile dusche ich, ziehe mich um und verpacke meine verschwitzten Klamotten in meinem Rucksack.

„Tschüss, Annie", rufe ich wie immer, als ich neben dem Empfang nach draussen in die frische Luft hüpfe. Wie üblich nach unserem gemeinsamen Unterricht wartet Miles draussen bereits auf der niedrigen Mauer auf mich. Obwohl ich versuche, ihn mit freudigen Kommentaren aufzuheitern, bleibt seine Miene auf dem Weg zur Busstation verschlossen. Keine zehn Schritte vom Studio entfernt kommt uns Alan entgegen. Ich grinse unwillkürlich.

„Hallo", rufe ich freudig und hüpfe ihm entgegen. Auch mein geheimnisvoller Fremder, wie ich ihn noch immer heimlich nenne, grinst mir entgegen und empfängt mich mit offenen Armen. Obwohl er mich nun schon so oft abgeholt hat, ist der kurze Kuss, den wir austauschen, noch immer genauso magisch, wie zu Beginn unserer Bekanntschaft.

„Hi", grüsst auch Miles freundlich, obwohl er noch immer sichtlich betrübt ist. Es tut mir leid, ihn so zu sehen.

Eigentlich hatte ich vor, mit Alan einen Döner zu holen, aber Miles so zurückzulassen, ist mir unmöglich. Uns bisher hatte ich leider keine Möglichkeit, ihn auf seine Traurigkeit anzusprechen.

„Miles, kommst du auch mit einen Döner essen?", frage ich ihn deshalb und schubse ihn mit der Schulter an.

„Hatte ich gestern erst", antwortet er entschuldigend, aber natürlich begreife ich sofort, dass er ganz einfach keine Lust auf uns hat.

Lila LichterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt