Dreiunddreissigstes Kapitel

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„Und dann ist er die Klippe runtergeklettert", erzähle ich immer noch leicht schockiert.

„Woah", raunt Zach auf dem Beifahrersitz. „Krass."

„Ich hatte fast einen Herzinfarkt."

„Das glaube ich", nickt Zach eifrig. „Das ist wirklich nächstes Level."

„Ich weiss", murmle ich ohne zu verstehen, ob Zach das ehrfürchtig oder herablassend meint. Ich weiss selbst nicht genau, was ich davon halte. Seither ist eine Woche vergangen und ich bin keinen Schritt weitergekommen.

Auf der Rückbank meines Jeeps sitzen Skye, Dylan und Patrick. Miles wollte nicht in einem Auto mit Dylan mitfahren und hat sich gegens Mitkommen entschieden, was Zach und Patrick gerade gelegen gekommen ist. Denn so biete ich ihnen die optimale Mitfahrgelegenheit zu ihrem Akustik-Gig nach London. Weil Steph sich gerade von einer Zahn-OP erholt, die Band Yellow Hearts das Minikonzert aber längst gebucht hat, wird Zach kurzerhand an seiner Stelle singen. Ich freue mich seit Tagen auf den Raodtrip und das kleine Konzert.

„Dass du mal mit solch einem Adrenalinjunkie ankommst, hätte ich nicht für möglich gehalten", meldet sich Dylan von hinten.

„Wieso denn nicht?", meint Skye. „Also ich finde das viel spannender als so ein Bücher-Langweiler."

„Heh", rufe ich aus, weil ich genau so ein Bücher-Langweiler bin.

„Du wiesst, wie ich das meine."

„Trotzdem." Wieder Dylan. „Irgendwas ist mit dem doch nicht richtig. Ich meine, was spricht denn dagegen, dass man sich wenigstens sichert."

Darauf weiss niemand eine Antwort.

„Hier musst du von der Autobahn weg", meldet sich Zach und ich schalte den Blinker an. Die Autobahn rund um London ist so chaotisch, dass ich nur zu froh bin, endlich davon weg zu kommen. Nicht, dass es in der Stadt selbst ordentlicher zu und her geht.

Als wir endlich im Parkhaus angekommen sind, laden Zach und Patrick die wenigen Instrumente aus dem Kofferraum und verschwinden sofort. Ihr Konzert an einem kleinen Strassenfestival beginnt in rund vier Stunden, genug Zeit für uns, um irgendwo etwas essen zu gehen. Als Zach weg ist, bereue ich sofort, dass Alan nicht mitkommen konnte. Dylan ist noch immer ein Nervenwrack wegen seiner Krise mit Miles und Skye und ich können ihn alleine kaum aufheitern. Trotzdem schleppen wir ihn durch die Strassen zu einem Burgerstand.

Die ersten Frühlingstage haben angebrochen, sodass wir nur in Pullis und Turnschuhen die kleine Bühne in der Stadt suchen. Die Strassen wimmeln bereits von bunt angezogenen Einheimischen und verwirrten Touristen. Wiederholt sprechen uns junge Londoner an, die Spenden für Flüchtlinge sammeln, denen das Festival gewidmet ist. Im Gehen verdrücken Dylan und ich unsere Burger und Skye ihre Fritten. Etwas später kaufen wir Waffeln, sitzen uns auf ein Brückengeländer und beobachten die Menschenmenge. Wir lachen über verliebte Teenager, die auf offener Strasse aneinander herumfummeln, spekulieren über die Herkunft von Touristen, dessen fremde Sprachen wir aufschnappen und rotieren die Waffeln immer wieder, sodass jeder von jeder probiert hat.

Zachs Konzert ist wie immer wunderschön. Die akustische Musik lässt mich träumen und seine Stimme ist überraschend sanft, sodass einige Mädchen vor uns lautstark dahinschmelzen.

Dass Zach so gefühlsvoll singen kann, überrumpelt mich völlig. Einige Male bekomme ich eine Gänsehaut, andere Songs verleiten mich dazu, die Augen zu schliessen und den Klängen zu lauschen. Immer wieder verleiten sie mich dazu, Alan an meiner Seite zu imaginieren, seine Nähe, seine Berührung zu ersehnen. Wie schön wäre es, nun in seinen Armen zu liegen, sein Kinn auf meiner Schulter zu spüren.

Ganz egal, wie sehr Zachs Stimme Mädchen zum Schmelzen bringt: Mein Herz gehört nur Alan. Jede Faser meines Körpers sehnt sich nach ihm, will ihn umschlingen und liebkosen. Ich bin ihm völlig verfallen. Zum ersten Mal in meinem Leben ist mir jemand für einen Moment lang wichtiger, als meine Freunde. Erschrocken und zugleich kribbelig über die Erkenntnis mustere ich meine beiden Freunde neben mir, die ebenfalls in ihren eigenen Welten versunken sind.

Lila LichterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt