„Mom?", frage ich scheu, während mein Vater schon zum dritten Mal seinen Teller mit dem besten Weihnachtsessen aller Zeiten füllt: Janssons Frestelse. Auch ich lade einen weiteren Bissen des Schwedischen Gerichts auf meine Gabel und mustere ihn gierig, während ich darauf warte, dass meine Mutter antwortet.
„Ja?", sagt sie aus Gewohnheit auf Englisch. Dennoch fahre ich auf Schwedisch fort.
„Weißt du noch, dass ich dich einmal gefragt habe, ob ich an Heiligabend eventuell noch zu Miles nach Hause gehen darf?", erinnere ich sie vorsichtig. Die Kerzen auf dem Tisch flackern und in ihrem sanften Licht wird mir ganz warm. Mein vollgestopfter Bauch mag wohl auch noch etwas dazu beitragen, und dennoch muss ich weiteressen. Ich muss einfach. Es ist zu lecker.
Meine Mutter seufzt: „Nein, ehrlich gesagt habe ich daran nicht mehr gedacht."
„Oh", mache ich unschlüssig. Soll ich meine Eltern darum bitten, unseren gemeinsamen traditionellen Heiligabend etwas früher beenden zu dürfen? Eigentlich würde ich schon sehr gerne zu Miles, andererseits habe ich meinen Eltern gegenüber ein total schlechtes Gewissen. Nie zuvor haben wir an diesem Familienabend etwas Anderes unternommen als zu Hause zu essen und gemütlich zu feiern.
„Um was geht es?", erkundigt sich nun mein Vater und stopft sich eine Gabel voll Essen in den Mund.
„Naja", fange ich noch einmal an und lege mein Besteck nieder. „Alle meine Freunde sind heute bei Miles eingeladen, weil doch seine Verwandten zum ersten Mal nicht in England sind. Deshalb hat Miles uns alle zu sich zum Feiern eingeladen."
„Und alle anderen feiern nicht mit ihren Familien?", fragt Mom verständnislos. Ihre hübschen, blauen Augen reflektieren das Kerzenlicht, so dass sie wild leuchten.
„Mhm", gebe ich zur Antwort und presse meine Lippen zusammen.
„Wieso denn das?", will sie weiter wissen.
„Das weiss ich doch nicht", sage ich ehrlich und zucke mit den Schultern. „Also Skye ist sowieso immer allein, Zach und Dylan feiern wohl vorher oder vielleicht auch erst morgen."
Meine Mutter nickt und Dad starrt mich sorglos an. Den Blick kenne ich: Er wägt wohl gerade ab, ob meine Freunde wichtiger sind als unsere Traditionen.
„Es wäre echt schön, wenn ich da auch dabei sein könnte", helfe ich ihm bei seiner Entscheidung.
„Du hast recht, Sinia, du hast wirklich bereits gefragt", erwidert nun meine Mutter und schneidet ein Stück Fleisch in kleinere Teile. „Das geht schon in Ordnung."
„Ja, klar doch", bestätigt nun auch Dad und nickt zufrieden. „Solange ich noch mein Geschenk kriege..."Ich lache leise und nehme meine Gabel wieder auf.
„Danke, das ist der Hammer. Das wird sicher super. Und keine Angst, ein Geschenk hätte ich dir sowieso nicht gehabt, Daddy."
Etwas über zwei Stunden später haben sowohl Mom wie Dad ihre Geschenke ausgepackt und sich nicht mehr eingekriegt vor Freude. Obwohl sie mir jedes Jahr sagen, dass ich beiden nichts mehr schenken soll, halte ich mich selbstverständlich nicht daran. Am Geschenk für meinen Vater hatte ich ausserdem mindestens genauso viel Freude wie an Moms: Er hat ein sehr altes Buch über die ersten Automobile bekommen, welches ich auf einem Flohmarkt gefunden habe.
Und auch meine Bescherung ist wieder unglaublich ausgefallen. Nebst einem Büchergutschein für meinen Lieblingshändler habe ich einen neuen lila Leotard zum Tanzen gekriegt. Doch der absolute Höhepunkt ist eine Jeansjacke, die ich vor einer Ewigkeit beim Bummel mit Mom in einem kleinen Geschäft gesehen habe. Da ich normalerweise eher elegante, nordische Kleidung trage, habe ich die Jacke am Ende nicht näher angeschaut und meiner Mutter tagelang die Ohren voll geheult. Doch dass sie tatsächlich zurückgegangen ist und die Jeansjacke geholt hat, damit hätte ich im Leben nicht gerechnet. Als ich sie also in einer Pappschachtel habe liegen sehen, habe ich vor Freude fast den Baum umgefegt. Und auch noch nach einer Stunde habe ich mich nicht eingekriegt. Wie in aller Welt hat sie das Einzelstück noch bekommen? Solch eine alternative Jacke mit bunten Stickereien auf dem Rücken wird man wohl nicht so schnell wieder finden.
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Lila Lichter
Storie d'amore"Ich hadere mit mir. Tue es unbewusst wahrscheinlich schon länger. Es hat sich langsam und quälerisch in mein Bewusstsein geschlichen, ohne Vorwarnung, rücksichtslos. Und nun beherrscht es mein Wesen, all meine Gedanken. Ich hätte es kommen sehen so...