Vierzigstes Kapitel

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Wieder schlafe ich schlecht, wieder nehme ich kaum etwas vom Unterricht auf, wieder schmerzt jeder Gedanke an Alan und Skye. Ich habe mich so an Alan gewöhnt, dass die Vorstellung, ihn zu verlieren, einschlägt wie ein Blitz. Ich bin erst so mit Skye beschäftigt gewesen, dass ich das völlig übersehen habe. Doch nun erscheint es glasklar vor mir, die Möglichkeit, Alan zu verlieren. Die Angst davor. Sie ist grösser als die Wut.

Also vereinbare ich mit Alan, dass er mich wie immer nach meinem Tanzunterricht abholt. Deshalb kann ich mich im Tanzkurs auch kaum konzentrieren. Annie zeigt uns einige neue Schritte und korrigiert einen nach dem anderen. Mein Körper schwitzt, aber mein Kopf ist einfach nur überfordert. Noch nie zuvor habe ich eine Tanzstunde als solch eine Tortur empfunden.

Heftig atmend und völlig verwirrt, aber auch aufgeregt wegen dem bevorstehenden Treffen mit Alan verabschiede ich mich am Ende von Annie und den anderen Tänzern und ziehe mich schnell um. Meinen Kopf wasche ich nur notdürftig, sodass auch der Rest der Schminke auf meinem Gesicht abgewaschen wird. Mir ist völlig egal, wie ich aussehe. Hauptsache, ich bringe das Gespräch mit Alan hinter mich.

Als ich schliesslich nach draussen in die kühle Abendluft trete, trifft mich fast der Schlag. Eine meiner Tanzkolleginnen, Sam, steht bei Alan, sie reden gedämpft und Sam kichert. Sie sind nicht weit entfernt und Alan entdeckt mich fast augenblicklich. Er trägt für einmal keine Kapuze, sodass ich sein fröhliches Gesicht dabei beobachten kann, wie er sich Sam zuwendet, ihr noch einmal etwas sagt, dass sie zum Kichern bringt und sich schliesslich von ihr verabschiedet. Dann kommt er auf mich zu. Ich habe mich inzwischen keinen Zentimeter bewegt, der Türgriff ist noch immer in meiner Hand und eine andere Tanzschülerin drängt sich entschuldigend an mir vorbei. Ich stelle bekümmert fest, dass Sam meinem schönen Fremden grinsend nachguckt, bevor sie mich entdeckt und sich endlich abwendet.

„Hi", reisst mich Alans schöne Stimme aus meiner Starre, aber ich antworte nichts. Stattdessen fängt es in meinem Innern zu rumoren an, so als würde seine Anwesenheit einen Steinbruch in mir aktivieren. Ich gucke ich an, bis er meine Hand greift und mich sanft vom Eingang wegzieht. Als er seine Hand mit meiner verschränken will und ich sie instinktiv zurückziehe, überkommt mich tiefe Trauer. Es fühlte sich immer so gut an, wenn er das tat.

„Willst du zu mir kommen?", fragt er mit einem Seitenblick auf mich. Ich verweigere einen Blick in seine wunderschönen Augen, die mich sofort wieder einfangen würden. Ich schüttle den Kopf.

„Kennst du Sam?", will ich wissen, als wir in einen kleinen, dunklen Park treten. Es ist mir egal, was er davon haltet, wenn ich solch eine Frage stelle. Schliesslich scheint es ihm auch egal zu sein, was ich von gewissen Dingen halte.

„Sam?"

„Ja. Sie gerade eben."

„Ach so", murmelt er. „Eigentlich nicht."

Ich nicke nur.

„Wieso?", fragt er gleichgültig und führt mich an eine niedrige Mauer, auf der wir uns niederlassen.

„Weil du gerade mit ihr gesprochen hast natürlich."

„Na gut, dann kenne ich sie halt seit gerade eben."

„Toll", gebe ich sarkastisch zurück und vergrabe meine Hände zwischen meinen Knien, damit Alan sie auch ja nicht zu fassen kriegt. Ihm die Berührung zum ersten Mal freiwillig zu verwehren, gibt meinem Herz einen dumpfen Stoss.

„Ist das ein Problem?", will er verwirrt wissen.

„Nicht direkt. Ist ja nicht so, dass sie die einzige wäre, die dir hinterherguckt."

„Was soll das denn heissen?"

„Dass sie dir hinterhergeguckt hat, ganz einfach."

„Und wieso ist das meine Schuld?"

Lila LichterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt