Zweiundvierzigstes Kapitel

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Am nächsten Tag melde ich mich auf den Ratschlag meiner Mutter von allen Unikursen ab. Sie hat sich den Tag freigenommen und arbeitet im erblühenden Garten, ihre aufheiternden Augen erscheinen aber immer wieder im Haus, um sich zu vergewissern, dass ich auch ja was esse oder nicht doch ein Buch aufschlage.

Mein Körper hat gestern Abend völlig schlapp gemacht, sodass ich mich nur noch in mein Bett verkrochen habe und meine Mutter völlig aufgelöst mit meinem Vater vor meiner Tür über meinen Zustand diskutiert hat. Sie ist sich sicher, dass ich mir mit dem Training, dem Artikel, der Werkstatt, den ganzen Essays und dem mysteriösen Jungen ganz sicher viel zu viel angehäuft habe. Und immerhin habe ich in ihr eine Verbündete gefunden, wenn es um Skye geht. Ich glaube sogar, dass sie sich mehr empört, als ich selbst.

Nun sitze ich auf unserer Couch und nippe lustlos an einem Tee. Ab und zu schreibt mir Alan eine Nachricht und will wissen, was ich gerade so mache. Ich antworte ganz nach Laune. Die Nachrichten meiner Freunde beantworte ich noch sporadischer.

„Sinia", reisst Mom mich irgendwann aus meiner Starre, „willst du dem Tanzstudio absagen, oder soll ich das für dich tun?"

Ich brauche einen Moment, um in der Realität anzukommen. „Nicht nötig, Mom. Ich will in den Unterricht gehen."

„Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist", wendet sie zweifelnd ein und streift sich ihre Übergangsjacke von den Schultern.

„Ich möchte aber", beharre ich. „Tanzen und die anderen Mädchen zu sehen, wird mir guttun. Ausserdem wollte ich eigentlich bei Alan übernachten, damit ich morgen früh direkt von ihm aus zum Einzeltanzunterricht gehen kann."

Es ist bereits wieder Freitag und die Trainings bis zum April Showcase werden immer knapper. Wenn ich bei Alan übernachte, kann ich eine halbe Stunde früher im Studio sein und die Choreographie bereits selbständig repetieren.

Ausserdem sehne ich mich zutiefst nach Alans Umarmung. Ganz egal, was zwischen uns vorgefallen ist. Ganz egal, wie unfair mein Verhalten Skye gegenüber im Vergleich zu ihm ist. Ich will zu Alan, brauche sein pochendes Herz an meiner Seite. Jetzt mehr denn je.

„Alan", grinst meine Mutter und mir wird bewusst, dass wir vorher nie wirklich über ihn gesprochen haben. Nun ist die Katze aus dem Sack.

„Ja", gestehe ich leise.

„Soll ich uns Kekse holen? Dann können wir mal über diesen Alan sprechen", schlägt meine Mutter eifrig vor.

„Solange das kein peinliches Mutter-Tochter-Gespräch wird", willige ich augenrollend ein.

„Wird es nicht, versprochen."

Mit meiner Mutter über meinen Freund – jedenfalls stelle ich ihn ihr als solchen vor – zu sprechen, ist anders, als ich geglaubt hätte. Zwar seltsam, aber nicht nur. Ich merke, wie stolz ich darauf bin, Alan jemandem beschreiben zu dürfen. Seine zarte, unglaublich aufmerksame Ader und seine Leidenschaft für gewisse Dinge (die anderen lasse ich gekonnt weg). Und als ich Mom davon erzähle, wie gut Alan aussieht, besteht sie darauf, ihn unbedingt kennenzulernen.

Ich lächle. Als die Kekspackung aufgegessen ist entscheidet sich meine Mutter, dass ich tatsächlich bei Alan übernachten sollte.

„Er scheint dir gut zu tun", meint sie und lächelt. Wenn sie nur wüsste, wie verzwickt diese Aussage ist.

Also mache ich mich nach dem Tanzunterricht auf den Weg zu ihm. Seine dunkle, geheimnisvolle Gestalt kommt mir auf halbem Weg entgegen und bewegt sich so selbstsicher und zugleich gefährlich auf mich zu, dass ich bei jedem anderen vermutlich unbewusst ausgewichen wäre. Aber nicht bei Alan.

Lila LichterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt