Sechsunddreissigstes Kapitel

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Alan, der Beschützer. Alan, der gefährliche, geheimnissvolle Fremde. Alan, der Mensch, in den ich mich verliebt habe.

Mit Kaffee in der Hand stehe ich am Eingang eines Nebengebäudes der Uni und schaue ihm zu, wie er auf mich zukommt. Sein Gang ist so selbstsicher wie an Tag eins, seine Anziehungskraft hat kein bisschen nachgelassen. Mein ganzer Körper fängt zu kribbeln an, als ich ihn entdecke.

Sein blonder Haarschopf ist ein wildes Durcheinander und eine Hand krallt sich an einem Rucksackträger fest. Selbst wenn ich es wollte, könnte ich meinen Blick nicht von ihm lösen. Mein Herz schreit regelrecht nach ihm.

„Hey du", ruft er als er nur noch wenige Schritte entfernt ist.

„Hi", antworte ich und trete ihm entgegen. Für einen winzigen Moment legt er seine Lippen auf die meinen und drückt einen sanften Kuss darauf. Es ist genug, um die Schmetterlinge in meinem Bauch aufzuwecken.

„Wie geht es dir?", will ich wissen, als wir Seite an Seite ins Gebäude treten. Endlich konnte ich es einrichten, dass wir eine kurze Pause zusammen verbringen können – was bisher an meinem vollen Terminkalender und seiner mehrheitlichen Abwesenheit vom Unterricht gescheitert ist.

„Ganz gut", antwortet er schelmisch grinsend. „Obwohl ich nun wieder weiss, wieso ich so lange keine Seminare besucht habe."

„So schlimm?"

„Ach was", schüttelt er lachend den Kopf. „Und wie geht es dir?"

„Gut", antworte ich während er meine Hand in seine nimmt. Ich drücke seine zärtlich. „Ich kann allerdings doch nur eine Viertelstunde bleiben. Professor Kingsley will mich nachher kurz sehen. Ich hoffe, dass ich meine Arbeit nicht versemmelt habe."

„Wann hast du sie denn abgegeben?"

„Vor einer Woche."

„Nein, dann hast du sie bestimmt nicht verbockt", antwortet Alan ruhig und lässt sich an einem kleinen Tisch im Gang des Gebäudes nieder. „Dann würdest du nicht so schnell eine Antwort kriegen."

„Wieso denn nicht?"

„Ist einfach so."

„Woher willst du das wissen?", frage ich unverblümt.

„Du vergisst", grinst er verschwörerisch, „dass ich schon viel länger hier bin, als du."

„Stimmt", lache ich leise auf. Ob das lustig sein sollte, weiss ich nicht genau.

Alan gönnt sich einen grossen Schluck aus meinem Kaffee.

„Du bist wirklich der koffeinsüchtigste Mensch, den ich kenne", meint er kopfschüttelnd.

„Na und?"

„Ich sag' ja nichts."

Die Zeit mit ihm verfliegt viel zu schnell. Die ganze Zeit über versuche ich ihn aufzusaugen, jede seiner Züge einzuprägen und festzuhalten. Ich merke, wie ich mich in seiner Anwesenheit voll und ganz entspannen kann. Doch bald schon sind die fünfzehn Minuten abgelaufen.

„Ich sollte gehen", verabschiede ich mich nachdem wir uns für den Abend bei ihm verabredet haben. Nach dem Fitnessstudio natürlich. Beim Gedanken daran sträubt sich alles in mir.

„Alles klar", antwortet er und schiebt mir den Rest des Kaffees entgegen. Ich greife nach dem Becher und gehe schnellen Schrittes in den dritten Stock.

Stunden später stürme ich völlig entgeistert durch die Eingangstür und rufe nach meiner Mum.

„Ich bin hier", ruft sie aus dem Garten. Schnellen Schrittes durchquere ich das Haus und trete durch die Hintertür zu ihr in den Garten. Sie ist gerade dabei das Blumenbeet neu zu besäen.

„Mum, du glaubst nicht, was heute passiert ist", erzähle ich aufgeregt.

„Was denn?"

„Professor Kingsley will meine Arbeit drucken lassen!"

„Oh, das sind ja tolle Neuigkeiten", ruft sie überrascht aber glücklich und legt das Werkzeug weg. „Welche Arbeit ist das genau? Und wo will er sie drucken lassen?"

„Er will, dass ich daraus einen Artikel für ein wissenschaftliches Magazin mache. Also in Zusammenarbeit mit ihm. Die Arbeit über George Eliot's Literaturkritik!"

„Nein!", ruft sie erfreut aus und kommt mit offenen Armen auf mich zu. „Das ist ja grossartig."

„Nicht wahr?"

„Absolut. Lass uns gleich darauf anstossen."

Ich grinse und umarme sie freudig. Solch eine Chance bietet sich kaum einem Studenten. Dass ausgerechnet ich sie bekomme ist unglaublich.

„Ich hole deinen Vater."

„Mum, ich kann nicht lange bleiben", kommt mir plötzlich in den Sinn und ich hebe entschuldigend die Schultern. „Ich habe noch mit Skye abgemacht."

„An einem Montag?", fragt meine Mutter überrascht und klopft die Erde von ihrer Jeans. „Arbeitet Skye montags nun nicht mehr in dieser Bar?"

„Doch", versuche ich mich aus meiner Notlüge zu winden. „Aber heute hat sie frei."

„Ach so", meint Mum nur, wobei ich mir ganz sicher bin, dass sie die Lüge regelrecht riechen kann. Umso dankbarer bin ich, dass sie nicht weiter nachfragt. Diese Dankbarkeit verweht aber sogleich, als sie hinzufügt: „Du verbringst in der letzten Zeit auffällig viel Zeit mit Skye."

„Sie ist meine beste Freundin?", sage ich schulterzucken und fliehe ins Haus zurück.

„Ich dachte das sei Riina?"

„Sie auch", rufe ich ausweichend hinaus und stürme die Treppe hoch.

Lila LichterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt