Es ist Silvester. Nachdem mein Kopf gestern den ganzen Tag gebrummt hat und mein Herz sich nach der Begegnung mit Alan nicht hat beruhigen können, fühle ich mich wie gerädert. Obwohl unser Whatsapp-Gruppenchat schon wieder am explodieren ist und sich offensichtlich alle auf den Abend freuen, ignoriere ich das Beepen meines Handys.
Das dampfende Wasser plätschert, als ich eine Hand aus der Badewanne nehme. Obwohl mich die Hitze schläfrig stimmt, rattert mein Hirn auf Hochtouren. Alan. Alan. Alan.
Als stünde er vor mir sehe ich seine blauen, gefährlich glühenden Augen vor mir. Seine Lippen, die im Kontrast fast blass wirken und sein durchwühlter Haarschopf, der ihm teils in die Stirn hängt und seinen Blick verdunkelt. Sein ganzes Wesen strahlt so viel Sicherheit aus.
Ich kann es nicht glauben, dass ich Alan tatsächlich kennengelernt habe. Dass gerade ich sein Interesse geweckt habe. Ein Lächeln kämpft sich auf meine Lippen.
Gedankenverloren greife ich nach meinem Handy und ignoriere die vielen Nachrichten auf dem Display. Stattdessen scrolle ich durch meinen Pinterest Newsfeed und lese mich wie so oft durch unzählige clevere und einfach nur schöne Zitate aus Büchern und Gedichten. Während andere stundenlang ihre Lieblingssendungen gucken, vergrabe ich mich lieber in meinen Büchern oder auf Pinterest, um der Welt da draussen zu entkommen.
Be fearless in the pursuit of what sets your soul on fire. Sei furchtlos im Streben danach, was deine Seele zu entfachen vermag. Genau das versuche ich. Und genau das ist es, was niemand so richtig zu verstehen scheint.
Ich will nicht nur ein tolles Leben leben. Ich will mehr als das: Das Feuer finden, das mich berühren kann. Ich bin mir absolut sicher, dass jeder eine Leidenschaft oder etwas hat, wofür er geschaffen ist. Und im Gegensatz zu vielen Menschen werde ich alles daran geben, mein Leben nach meinem eigenen Feuer zu leben. Mein Feuer ist das Tanzen. Das weiss ich.
„Lebst du noch?", reisst mich Moms Stimme aus meinen Gedanken.
„Ja", murmle ich zurück, wodurch es im Bad hallt. Mit einem Blick auf die Zeit stelle ich erschrocken fest, dass ich bereits über eine Stunde in der Wanne liege. Typisch ich.
Drei Stunden später stehe ich vor meinem Wandspiegel und betrachte mein Outfit. Mein Makeup sieht irgendwie seltsam aus, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es im Neonlicht zur Geltung kommen wird.
Skye hat für Silvester eine Neonparty in einem Bunker einer ihrer zahlreichen Freunde ausgesucht. Deshalb wurden wir alle beauftragt, uns „spacig" anzuziehen (ihre Worte, nicht meine).
Um dem gerecht zu werden hat sie mir ein hautenges, weisses und ärmelloses Top ausgeliehen, das am Rücken zusammengeschnürt wird. Dazu habe ich mich für eine hellblaue Jeans und einen Zopf im Nacken entschieden, was meiner Freundin ganz bestimmt viel zu unauffällig sein wird. Das ist mir egal. Mindestens ein bisschen wohl muss ich mich selbst im Halbdunkeln der Neonlichter fühlen können.
Der dicke, schneeweisse Liedstrich, der meine braunen Augen um einiges grösser macht, habe ich von einer Instagram-Bloggerin abgeschaut. Es sieht besser aus, als ich erwartet hätte.
Zufrieden stelle ich die Musik aus und überprüfe zum dritten Mal, ob ich auch alles eingepackt habe. Handy, Kopfhörer, Geld, Ausweis, Fahrschein, Lippbalm, Kaugummis. Gut. Dann nehme ich meine glitzernde Handtasche und die Pullis vom Bett und lösche das Licht.
Unten erwartet mich bereits Mum, die ihre Nase in einem Buch vergraben hat. Sie schaut erst auf, als ich meine Sachen direkt neben ihr auf das Sofa lege.
„Hübsch siehst du aus", mustert sie mich zufrieden. „Wann geht es denn los?"
„Mein Bus fährt in fünf Minuten", stelle ich verblüfft fest. Wie schnell die Zeit vergangen ist. „Mist. Ich habe Skye versprochen, dass ich dieses mal die Vodkabull mitnehme."

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Lila Lichter
Romantiek"Ich hadere mit mir. Tue es unbewusst wahrscheinlich schon länger. Es hat sich langsam und quälerisch in mein Bewusstsein geschlichen, ohne Vorwarnung, rücksichtslos. Und nun beherrscht es mein Wesen, all meine Gedanken. Ich hätte es kommen sehen so...