Etliche Aufregungen und Herzenssprünge später ziehe ich mir meine neue Jacke über. Dann räume ich meinen Beutel so um, dass alle die Sachen, die ich von meinen Freunden bekommen haben, darin ein Plätzchen finden. Glücklicherweise hat sich Skye dieses mal für ein Holzkistchen gefüllt mit Zettelchen und Wünschen entschieden, welches super reinpasst. Ausser von Dylan kriege ich von den Jungs meistens sowieso nicht, weshalb auch ich ihnen normalerweise nichts Grosses schenke. Trotzdem habe ich gestern einen Nudel-Gutschein und fünf Pfund für ein Eis geschenkt bekommen. Beim Gedanken an die Geschenke huscht ein Grinsen über mein Gesicht.
Schnell schliesse ich den Reissverschluss und lege Miles' Pullover auf die Couch. Dann schwinge ich meinen Beutel auf die Schulter und verlasse nach einem anderen Mädchen den Wintergarten. Mit jedem Schritt in Richtung Küche werden meine Beine ein wenig unsicherer. Reiss dich zusammen.
„... und dann hast du völlig bescheuert herumgeklatscht! Weißt du das nicht mehr?", schreit Skye gerade durch den Raum. Obwohl sie erst vor wenigen Minuten aufgestanden ist, scheint sie bereits voller Energie.
„Sin", ruft sie mir freudig entgegen als sie mich im Türrahmen erblickt. „Kannst wenigstens du dich noch an gestern Abend erinnern?"
„So weit ich weiss", antworte ich wenig amüsiert.
„Stimmt doch, dass Zach unbedingt dieses Klatschspiel aus dem Kindergarten spielen wollte? Weißt du noch?"
Ich lächle beim Gedanken an Zachs Euphorie am vorigen Abend.
„Eindeutig", bestätige ich deshalb ihre Worte. Zach protestiert halblaut dagegen, doch seine Erklärung geht im lauten Gelächter unter.
„Das ist ja wohl gar nichts gegen euer Tanzbattle", wendet Zach da ein und streckt sich ziemlich gelassen. Darauf folgt ein Gähnen.
„Letzte Nacht war ein einziges Riesen-Battle", stellt einer der anderen Gäste mit müden Augen fest.
Während die Anderen weiter plaudern, stelle ich meinen Beutel auf den Boden. Dann schlängle ich mich durch die Kaffee trinkende Menge zu Dylan, auf dessen Schoss nun Skye sitzt. Dem Armen sind mittlerweile bestimmt die Beine eingeschlafen.
„Ich glaub ich geh mal langsam", sage ich und packe meine Hände in die Jackentaschen. „Meine Eltern drehen durch wenn ich nicht wenigstens den halben freien Tag zu Hause verbringe."
„Nein", stöhnt Skye und erhebt sich. „Du kannst mich doch nicht alleine hier lassen."„Ich weiss", antworte ich entschuldigend, „ich würde auch nicht schon gehen, wenn es nicht wirklich nötig wäre."
„Weiss ich doch."Im nächsten Moment bin ich in einer dicken Umarmung meiner besten Freundin. Obwohl ich noch immer enttäuscht vom Abend bin, kann ich ihr nicht wirklich böse sein. Enttäuscht bestimmt – das Gefühl der Wertlosigkeit wird so schnell nicht vergehen. Da ich mir aber immer und immer wieder klar mache, dass sie daran grundsätzlich keine Schuld trägt, überwinde ich meinen Egoismus wenigstens momentan. Ich will das doch alles gar nicht fühlen.
Wenig später stehe ich wieder im Türrahmen. Obwohl ich mich von all meinen Freunden verabschiedet habe, ist mein Trotz wohl bei keinem richtig angekommen. Warum bin ich eigentlich immer die Erste, die nach Hause muss? Weil du die Einzige bist, die ihrer Familie nicht ganz egal ist. Trotzdem, unfair.
„Warte", ruft eine bekannte Stimme aus dem Raum. Ich schaue sofort auf und in Richtung Alan, der sich ebenfalls seine Jacke überzieht und mir entgegenkommt. „Ich komme auch mit."
Ich kann Dylans Freudeworte förmlich hören. Dennoch vermögen sie mein hüpfendes Herz nicht zu übertönen. Verlegen stecke ich meine Hände erneut in die Jackentaschen und schaue kurz zu Boden.
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Lila Lichter
Romance"Ich hadere mit mir. Tue es unbewusst wahrscheinlich schon länger. Es hat sich langsam und quälerisch in mein Bewusstsein geschlichen, ohne Vorwarnung, rücksichtslos. Und nun beherrscht es mein Wesen, all meine Gedanken. Ich hätte es kommen sehen so...